Indien:Die Sieben steht

Indien: Glücklich ist, wer kein Geld braucht, wie die indische Gottheit Ganesha. Sie bekommt aber trotzdem welches, hier im Jahr 2016: Gläubige hängen ihr 500er-Scheine um den Hals. Die Note wurde abgeschafft.

Glücklich ist, wer kein Geld braucht, wie die indische Gottheit Ganesha. Sie bekommt aber trotzdem welches, hier im Jahr 2016: Gläubige hängen ihr 500er-Scheine um den Hals. Die Note wurde abgeschafft.

(Foto: Noah Seelam/AFP)

Die indische Regierung präsentiert nach der rabiaten Bargeldreform eine hohe Wachstumsrate. Das Finanzministerium ist ganz begeistert, manche Experten wollen diese Zahlen aber nicht so recht glauben.

Von Arne Perras, Ayodhya/Singapur

Geld hätte der Bauer Keshar Ram Yadav auf seinem Konto schon gehabt. Jeden Tag lief er brav zur Bank im Nachbarort, stellte sich stundenlang in die Schlange, um dann schließlich vom Mann hinter dem Schalter zu hören, dass er heute - leider, leider - wieder nichts auszahlen könne. Was solle er machen, es seien eben keine neuen Banknoten bei ihm angekommen. So kehrte der Bauer Yadav ohne Geld wieder nach Hause ins Dorf Puari zurück. Vielleicht ja morgen, hatte ihn die Bank vertröstet.

In einer Blitzaktion wurden 86 Prozent Bargelds für ungültig erklärt

Das ewige Warten hat den Bauern aus Uttar Pradesh in den vergangenen Wochen völlig zermürbt, er sieht wütend aus an diesem grauen Tag im Februar, er brauchte doch seine Ersparnisse, 40 000 Rupien oder 565 Euro, so dringend, jetzt und in bar. Schließlich steht die Hochzeit seiner Tochter an und alles, was zu einem solchen rauschenden Fest in Indien dazugehört. Yadav grübelte, ob er die Hochzeit aufschieben soll. Keiner konnte ihm finanziell aushelfen, alle mussten ja selber sehen, wie sie noch an ein paar Scheine kamen.

Der Premier Indiens, Narendra Modi, hat im vergangenen November unangekündigt die 500- und 1000-Rupien-Scheine, fast 90 Prozent des im Umlauf befindlichen Bargeldes für ungültig erklärt. Erst schrittweise wurden neue Scheine in Umlauf gebracht. "Mag sein, dass das ein Schlag gegen die Bargeldmafia war", sagt Bauer Yadav. Doch dann hebt er hilflos die Arme und ruft: "Aber was hat das alles mit der Hochzeit meiner Tochter zu tun?"

Das Familiendrama im Dorf Puari ist nur eines von Millionen Beispielen, wie der drastische Bargeldmangel in Indien die Nerven und die Geduld im Volk wochenlang strapazierte. Umso größer war nun die Spannung, als die indischen Regierungsstatistiker am Dienstag die Wachstumszahlen für das vergangene Quartal Oktober bis Dezember vorlegten. Viele Ökonomen hatten zuvor gewarnt, dass die Einbrüche massiv sein könnten. Doch in ersten Reaktionen wirkten Analysten äußerst überrascht, als das "Central Statistics Office" (CSO) das Wachstum auf immer noch stolze sieben Prozent bezifferte. Für das gesamte Fiskaljahr 2016/2017 rechnet die Regierung mit einem Wachstum von 7,1 Prozent.

Die Zeitung Economic Times reagierte so: "Für ein Land, das zusehen musste, wie ihm über Nacht 86 Prozent des Bargeldes abgesaugt wurde, ist Indien doch überraschend widerstandsfähig." Indiens Medien nahmen auch alle zur Kenntnis, dass der große asiatische Rivale China im vergangenen Quartal ein etwas niedrigeres Wachstum verzeichnete, dort waren es zuletzt 6,8 Prozent.

Die Inder erfüllt es mit Stolz, den Vorsprung gegenüber Peking zu halten, trotz umstrittener Bargeldreform.

Das Finanzministerium konnte seine Begeisterung kaum verbergen: "Die Zahlen zeigen keinen großen Negativeffekt der Bargeldreform", sagte Staatssekretär Shaktikanta Das, sie widersprechen seiner Ansicht nach allen "negativen Spekulationen", die in den vergangenen Wochen im Umlauf waren.

Offen bleibt allerdings, wie aussagekräftig die jüngsten Daten überhaupt sind: In Indien sind neun von zehn Arbeitern im informellen Sektor beschäftigt, der sich schwer in Statistiken erfassen lässt. Der ökonomische Chefberater der Regierung, Arvind Subramanian, hatte schon vor der Veröffentlichung der neuesten Zahlen gesagt, dass die Daten die "realen und bedeutsamen Härten" für die meisten Inder der unteren Klassen kaum widerspiegelten. Es ist möglich, dass es später noch zu Korrekturen kommt, sobald Daten weiterer kleinerer Unternehmen ausgewertet sind, die von der Bargeldreform besonders stark getroffen wurden.

Doch selbst dann dürften die Statistiken das Bild immer noch verzerren. Rupa Rege Nitsure, Chefökonomin der Finanzfirma L & T Finance Holdings in Mumbai, gab in der Times of India zu bedenken: "Das Wachstum ist überbewertet, weil unsere Statistiken die Aktivitäten im unorganisierten Sektor nicht richtig erfassen."

Die Zahlen aus Delhi decken sich immerhin mit Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die vor einem Jahr noch ein Wachstum von 7,4 Prozent für Indien prognostiziert hatte, diese Zahl nun aber im Lichte der Bargeldreform auf sieben Prozent nach unten korrigierte. Dennoch war der OECD-Generalsekretär Angel Gurria in Delhi voll des Lobs für den Staat Indien. Er pries die Südasiaten als "Topperformer innerhalb der G 20" und nannte Indien einen "Star in düsteren Zeiten."

Andere Stimmen sind skeptischer. Die aktuellen Schätzungen seien deutlich höher als die erwarteten Zahlen, sagte etwa Upasna Bhardwaj, Chefökonom bei einer der größten Banken des Landes, dem Sender NDTV. Er glaubt, dass die allgemeinen Effekte der Bargeldreform mindestens ein weiteres Quartal spürbar sein werden. Daher erwarte er, dass die endgültigen Zahlen für das Bruttoinlandsprodukt deutlich niedriger liegen dürften. Ähnlich äußerte sich der Investment-Experte Aneesh Srivastava von der Lebensversicherungsgesellschaft IDBI. "Ich bin völlig sprachlos, wenn ich diese Zahl betrachte." Auch er rechnet damit, dass die Effekte der Bargeldreform erst später in den Daten sichtbar sein werden.

Premierminister Modi musste mit einem Rückgang des Wachstums rechnen. Dennoch hatte er den großen Rundumschlag gewagt, den seine Anhänger noch immer als klugen Schachzug gegen die Schwarzgeldsünder preisen. Wie viel illegales Geld tatsächlich auf diese Weise unschädlich gemacht wurde, ist aber noch immer nicht bekannt.

Dazu hat die Regierung noch keine Zahlen vorgelegt. In mehreren Bundesstaaten wurden in den vergangenen Wochen neue Regionalparlamente gewählt, die Ergebnisse kommen gesammelt am 11. März. Dann werden der Premier und seine Partei wissen, ob die Wähler sie für die umstrittene Bargeldreform abgestraft haben oder dem Premier weiter zutrauen, Indien zu erneuern, auch wenn es weh tut. Schwer abschätzbar ist weiterhin, wie sich der Konsum im Land entwickeln wird. Was die Leute in den vergangenen Wochen erlebten, fasste der Textilhändler Sarfaraz Quereshi aus der Stadt Lucknow so zusammen: "Alle Leute waren so geschockt, dass sie ihre Ausgaben erst einmal auf das Nötigste beschränkten", sagte er. "Auch wenn die meisten Leute nun neue Scheine bekommen haben, sind sie immer noch vorsichtig. Sie wollen erst mal abwarten, was die Regierung noch alles an Überraschungen auspackt." Der Verkauf von Motorrädern, der besonders auf dem Land stets als guter Indikator für die Nachfrage gilt, ist drei Monate in Folge gesunken.

Händler Quereshi hat keinen Zweifel, dass die Bargeldreform für seine Geschäfte Gift war. "Aber ich hoffe doch mal, dass die Menschen wieder mehr kaufen, wenn sie sich erst einmal entspannen." Allerdings fällt es Analysten schwer vorherzusehen, wie hartnäckig sich solche psychologischen Schutzreflexe halten. Die Konsumbranche klagte zuletzt jedenfalls über "mächtigen Gegenwind", den die Bargeldreform erzeugt habe, wie der Finanzdienstleister Religare Capital Markets in einem Bericht schrieb.

Staatssekretär Das sieht jedoch schon alles wieder ganz rosig. Von April an würden die Menschen die Vorteile der Bargeldreform schon zu spüren bekommen, versicherte er. Zwar gab er zu, dass der Konsum getroffen wurde, doch auf mittlere und lange Sicht werde es viele positive Effekte geben. Wie sie genau aussehen werden, erklärt er nicht.

Stattdessen lenkte er die Aufmerksamkeit nun auf die Steuerreformen, die Modis Regierung weiter vorantreibe, und die von Sommer an positive Wirkungen haben sollen. Vor allem sollen neue Jobs entstehen. Die wird die Regierung dringend brauchen, wenn sie 2018 von den Indern wiedergewählt werden will.

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