Indien:Der Maharadscha und die Stadt der Millionäre

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Azim Premji hat dafür gesorgt, dass Europas Computer heute von Indien aus betreut werden - und so Hunderte Landarbeiter reich gemacht.

Markus Balser

Im indischen Nest Amalner, zwölf Busstunden östlich von Bombay, erinnern sich die Alten noch gut an den Ausbau der kleinen Speiseölfabrik. Als die Western India Vegetable Products - kurz Wipro - auch Seife produzieren sollte, fehlte Ende der 50er Jahre das Geld.

Die Gründer sammelten Rupie für Rupie gegen Anteilscheine. Nur widerwillig kauften sich Freunde und Verwandte schließlich ins Unternehmen ein. Fünf Jahrzehnte später geraten Markttage in Amalner plötzlich zu Treffen stolzer Millionäre. Denn mit dem Börsengang von Wipro 2000 wurden Hunderte Landarbeiter über Nacht reich. Für das Original von damals bekamen die perplexen Bauern 12.000 Wipro-Aktien. Wert: eine Million Dollar. Vergleichbares hatte die indische Börse noch nicht erlebt.

Zu Millionären machte die Bauern aus Amalner Azim Premji, der Sohn des Gründers und bis heute Chef von Wipro. In einem Vierteljahrhundert hatte er aus der Fabrik des Vaters einen der weltweit größten Konzerne für Informationstechnologie mit fünf Milliarden Dollar Umsatz und 70 000 Mitarbeitern geformt.

Milliardär in der Touristenklasse

Ein modernes Märchen, das den 62-Jährigen zu einem der einflussreichsten indischen Unternehmer, zum gefragten Berater westlicher Spitzenpolitiker und zum Schreckgespenst in Europas IT-Abteilungen machte. Denn Wipro-Chef Premji gilt als Pionier des Outsourcings, jenem Trend zur Produktionsverlagerung in Niedriglohnländer, der ganze Branchen revolutionierte und im Westen Zigtausende Jobs kostete.

Der Weg zu Premjis Büro in der südindischen Wirtschaftsmetropole Bangalore gleicht einer Zeitreise: über tiefe Schlaglöcher, vorbei an Kühen mit heiliger Ruhe führt die schmale Sarjapur Road an den Stadtrand zur Zentrale von Wipro. Premji, schlohweißes Haar, kantiges Gesicht, schlichte Kleidung, fährt mit dem Kleinwagen vor. Seinen 16 Jahre alten Ford Escort hat er gerade verkauft und sich nun einen Toyota geleistet. "Manager dürfen nicht abheben", sagt er.

"Wir Unternehmer tragen Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft." Zu groß sei die Armut im Land, sagt Premji, der im Flugzeug in der Economy-Klasse reist und auf Dienstreisen in Mittelklassehotels absteigt. Wer in Privatflugzeugen um die Welt jette, verliere den Bezug zur Wirklichkeit der eigenen Mitarbeiter und seiner Kunden.

Neue Maharadschas nennen die Studenten von Bangalore ihre Vorbilder wie Premji. Mit modernen IT-Unternehmen wie Wipro, Infosys oder TCS haben sie es zu Ruhm und sagenhaftem Reichtum gebracht. Der Börsenboom in Bombay machte Premji vorübergehend zu einem der drei reichsten Menschen der Welt. Zwar gaben die Kurse seither auch in Bombay nach. Doch noch immer verfügt der Konzernboss über ein geschätztes Vermögen von 20 Milliarden Dollar.

Premjis Aufstieg in Indien ist die Blaupause für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes. Als 1966 sein Vater starb, brach er sein Studium in den USA ab und übernahm mit 21 Jahren die Firma der Familie. Neben Speiseöl verkaufte Wipro fortan auch Saucen und Glühlampen "Aber mir war klar: Das konnte nicht alles gewesen sein."

Als Indien 1979 westliche Elektronikkonzerne aus dem Land drängte, um eigenen Firmen den Einstieg zu erleichtern, griff Premji zu. Er scharte Ingenieure um sich und stieg in die IT-Produktion ein. Mit der Liberalisierung der indischen Wirtschaft 1991 holte Premji Software-Arbeiten westlicher Firmen ins Land und nutzte Indiens gut ausgebildete und billige Arbeitskräfte - das moderne Verlagerungsmodell der Weltwirtschaft war geboren.

Mehr Aufträge aus Deutschland

Seither wächst Wipro unaufhaltsam. Erst vor ein paar Jahren ließ Premji, dem noch immer die Mehrheit des Konzerns gehört, inmitten des futuristischen Firmencampus in Bangalore eine Großkantine für 20.000 Mitarbeiter bauen.

Schon jetzt wird es eng. Im nächsten Jahr soll der Umsatz um 40 Prozent wachsen. Mindestens siebentausend neue Mitarbeiter will der Konzern einstellen. Ob Wipro westlichen Industrieländern neue Jobs abspenstig machen wird? Indien sei bereit für höherqualifizierte Arbeiten in Forschung und Entwicklung, sagt Premji.

"Wir haben bei einfachen IT-Jobs gezeigt, dass es sehr schnell gehen kann." Bei Dienstleistungsarbeiten werde das nicht anders sein. Der aktuelle Stellenabbau in Deutschland verspricht Wipro Wachstum. Deutschland sieht der Konzernchef als eines der wichtigsten Wachstumsfelder. "In den nächsten Jahren erwarten wir viel", sagt Premji.

Doch er weiß auch: Sein Unternehmen muss sich wandeln, will es die Konkurrenz mit dem Westen um hochqualifizierte Arbeiten aufnehmen. Indien brauche mehr internationale Managementerfahrung, um Marken und Vertriebswege aufzubauen, sagt der Konzernchef.

Noch kommen 90 Prozent der Wipro-Mitarbeiter aus Indien. Schon in ein paar Jahren sollen es nur noch 75 Prozent sein. Sein Unternehmen müsse sich vom multinationalen zum multikulturellen Konzern wandeln, sagt Premji.

Daran, dass Wipro den Wandel schafft, lässt zumindest das Selbstbewusstsein des Vorstandschefs keine Zweifel. Denn einen hochrangigen Manager des US-Konzerns General Electric (GE) warb Premji mit einer einzigen Frage ab: "Wollen Sie zwei Millionen bei GE machen, oder Geschichte bei Wipro?"

© SZ vom 5.7.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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