Süddeutsche Zeitung

Import von Atomstrom: Tschechien:Alles auf Temelin

Die radikale deutsche Energiewende könnte zu einem absurden Effekt führen: Tschechien könnte den Ausbau des umstrittenen und äußerst störanfälligen Atomkraftwerks Temelin unweit der bayerischen Grenze begünstigen oder gar beschleunigen.

Klaus Brill, Prag

Die Drähte glühen, und die Kassen klingeln. Seit in Deutschland sieben alte Atomkraftwerke vom Netz genommen wurden, haben freie Stromhändler auf dem europäischen Markt in großen Mengen Elektrizität an deutsche Energiekonzerne vermakelt, vor allem aus Frankreich und Tschechien. Die markanten Unterschiede zwischen den benachbarten Völkern in der Bewertung der Atomenergie werden damit stärker als je zuvor zum wirtschaftlichen Faktor.

In Tschechien wird die Nutzung der Atomenergie von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, und bisher hat sich daran auch durch den Reaktorunfall in Japan nichts Wesentliches geändert.

An der Prager Strombörse PXE (Power Exchange Central Europe) haben die Ereignisse in Japan und dann die abrupte Abkehr der Deutschen von der Atomenergie vor drei Wochen einen Anstieg der monatlichen Spot-Preise um 23 Prozent bewirkt. Das Volumen des gehandelten Stroms, vorher fast immer unter 50.000 Megawatt-Stunden, stieg rapide für zwei Tage auf mehr als 300.000 Megawatt-Stunden. Inzwischen ging es aber wieder auf unter 100.000 zurück, "auf ein normales Niveau", wie ein PXE-Sprecher am Mittwoch sagte.

Der Boom lag zumindest teilweise offenbar daran, dass mehr Elektrizität aus Tschechien nach Deutschland verkauft wurde. Die Leitungen zwischen beiden Ländern seien "bis zum Anschlag voll ausgelastet", sagte Fritz Vahrenholt, Chef der RWE-Sparte für erneuerbare Energien, der Zeitung Die Welt. Täglich würden 2000 Megawatt importiert. Strom wird in Tschechien zu einem Drittel aus Atomenergie erzeugt, der Rest kommt überwiegend aus Kohlekraftwerken.

Die Tschechen vermerken die Entwicklung eher mit Genugtuung, die Aufregung der Deutschen um die Sicherheit ihrer Atomanlagen nimmt man kopfschüttelnd zur Kenntnis. Ministerpräsident Petr Necas erklärte gleich nach dem GAU von Fukushima: "Wir sehen keinen Grund, warum wir irgendeiner Medienhysterie erliegen sollten."

Die beiden Atomkraftwerke Temelin bei Budweis und Dukovany bei Brünn stünden auf dem tschechischen Massiv, das zu den erdbebensichersten Regionen der Welt gehöre. Auch ein Tsunami drohe in Tschechien bekanntlich nicht, fügte der konservative Politiker spöttisch hinzu. Noch vor zwei Monaten hatte er erklärt, die Zeit sei angesichts des Klimawandels reif für eine "nukleare Renaissance" in der EU.

Größte Investition in Mitteleuropa

Ob dieser Atom-Optimismus ungeschmälert Bestand hat, wird freilich von Experten bezweifelt. Vaclav Bartuska, Sonderbotschafter Tschechiens für Energiesicherheit, äußerte die Erwartung, die EU könnte nach Fukushima die Kriterien für die Atomsicherheit verschärfen und damit neue Projekte für Investoren mit noch größeren Risiken belasten.

Dies beträfe vor allem den geplanten Ausbau des Atomkraftwerks in Temelin um zwei weitere Reaktorblöcke. Hier geht es um eine Milliardeninvestition, die größte in Mitteleuropa, die seit geraumer Zeit auch in den USA, Russland und Frankreich auf höchster politischer Ebene erörtert wird. Um den Auftrag bewerben sich nämlich die US-Gesellschaft Westinghouse, der französische Nuklearkonzern Areva und die russische Staatsfirma Atomstroyexport, und alle drei können auf die tatkräftige Hilfe ihrer Regierungen zählen.

Der tschechische Energiekonzern CEZ, der zu 63,4 Prozent in Staatsbesitz ist, will über die Vergabe im Jahr 2013 entscheiden, hat aber jetzt schon die politische Unterstützung für den Ausbau. Dagegen sind nur die Grünen, die derzeit nicht im nationalen Parlament vertreten sind.

Atomkraftgegner kritisieren Anlage

Der ursprüngliche Zeitplan sah eine Fertigstellung bis 2020 vor, doch hatte CEZ-Chef Martin Roman im Februar eine Streckung bis 2025 in Aussicht gestellt. Als Grund nannte er die verminderte Nachfrage nach Elektrizität infolge der Weltwirtschaftskrise, und explizit verwies er auf den abnehmenden Bedarf in Deutschland, das für CEZ ein alter Kunde ist.

Ein radikales Umsteuern der Energiepolitik in Deutschland könnte nun auch bei CEZ neue Berechnungen auslösen - bis hin zu dem absurden Effekt, dass die Abschaltung bayerischer Atommeiler den Ausbau in Temelin, das nur 60 Kilometer von der bayerischen und österreichischen Grenze entfernt ist, begünstigen oder gar beschleunigen könnte.

Atomkraft-Gegner in beiden Ländern kritisieren seit Jahren, die Anlage sei nicht sicher, nachdem es mehr als 150 Störfälle gegeben hat. Die derzeit dort betriebenen zwei Reaktoren stammen noch aus sowjetischer Produktion, waren aber mit amerikanischer Technik nachgerüstet worden.

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SZ vom 07.04.2011/ema/hgn
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