Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Patente allein reichen nicht, um alle zu impfen

Die Freigabe von Patenten auf Impfstoffe wird hitzig diskutiert. Dabei gäbe es Alternativen, um ärmeren Ländern zu helfen.

Von Elisabeth Dostert

Da wäre Patent EP 1934345, erteilt vom Europäischen Patentamt am 21. März 2012. Es geht um Impfstoffe auf Basis der Boten-RNA und, ein wenig laienhaft und nicht patentgerecht ausgedrückt, wie man sie modifizieren könnte, um sie stabiler und effizienter zu machen. Vier Erfinder werden genannt, darunter Uğur Şahin und Özlem Türeci, damals noch weitgehend unbekannt. Mittlerweile sind sie die Stars der globalen Biotech-Szene. Als erster ist es ihrer Firma Biontech gelungen, einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln. "Binnen nicht einmal eines Jahres", so lauten die Schlagzeilen.

Das mag auf Comirnaty, den Impfstoff gegen das Coronavirus zutreffen. Aber die Entwicklungsgeschichte fängt viel früher an, das zeigt allein die Chronik von Patent EP 1934345. Die Erstanmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt in München unter der Kennung DE 20051046490 erfolgte am 28. September 2005. Ein Jahr später wurde das Patent unter der Nummer WO 2006EP09448 bei der World Intellectual Property Organization in Genf angemeldet. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum ist Teil der Vereinten Nationen. Damit sicherten sich die Erfinder ab, dass sie weltweit die Ersten waren, wenn das Patent denn mal erteilt wird.

Seit der Gründung 2008 hat Biontech einige Hundert Patente angemeldet, nicht alle drehen sich um mRNA, aber viele. Es gibt nicht "das Patent" für den Impfstoff Comirnaty. "Patente dienen dem Schutz von geistigem Eigentum, und sie sind ein Anreiz für Innovationen", sagt der Bonner Unternehmensberater Hermann Simon: "Die Belohnung ist das Monopol." Zumindest solange der Patentschutz besteht, darf kein anderer das Medikament oder den Impfstoff produzieren, es sei denn, er holt sich die Erlaubnis beim Patentinhaber, in Form von Lizenzen zum Beispiel. Patente sind der Schatz in den Bilanzen, sie machen einen großen Teil des Wertes einer Pharmafirma aus. Kein Wunder also, dass die Reaktionen heftig ausfallen, wenn dieser Schatz gefährdet ist oder es auch nur zu sein scheint.

"Alle sind sich einig, dass was getan werden muss."

Nicht nur Pharmalobbyisten sahen am Donnerstag die Äußerungen von US-Präsident Joe Biden, die Patente an Impfstoffen "freizugeben", um Schwellen- und Entwicklungsländern im Kampf gegen die Pandemie zu helfen, als Bedrohung, sondern auch Investoren. Binnen weniger Stunden brachen die Aktienkurse von Biontech, Curevac und Moderna an der US-Technologiebörse Nasdaq ein.

"Alle sind sich einig, dass etwas getan werden muss, damit ärmere Länder impfen können", sagt Berater Simon, der auch als Spezialist für die Preisfindung bei Medikamenten gilt: "Sie haben weder die technische Kompetenz, um Impfstoffe herzustellen, noch das Geld, um sie zu kaufen." Eine bessere Alternative wäre es, wenn der Staat den Unternehmen die Patentrechte abkaufen würde und sie an andere Hersteller oder die Länder weiterreicht und diese dann finanziell beim Aufbau der eigenen Produktion unterstützt. "Das wäre ein sauberes Modell", sagt Simon. Damit stellt sich allerdings schon die nächste heikle Frage: Wie sollen die Lizenzen vergütet werden? "Eine Preisformel, die rein betriebswirtschaftlichen Kriterien folgt, reicht da nicht", sagt Simon: "Der Preis muss ein Kompromiss sein zwischen Staat und Unternehmen."

Michael Stolpe, Leiter der Global Health Research Group des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, empfiehlt eine "starke finanzielle Aufstockung" der von der Weltgesundheitsorganisation und der Impfallianz Gavi gegründeten Covax-Initiative. Der globale Covax-Fonds könnte, so Stolpes Vorschlag, die Patentrechte an den Impfstoffen, die für ärmere Länder am vielversprechendsten seien, durch ein klug konzipiertes Auktionsverfahren aufkaufen. Danach könnten dann kostenlose Herstellungslizenzen an Impfstoff- und Generika-Hersteller in Indien, Südafrika, Brasilien und anderen Ländern vergeben werden.

"Das Ziel muss sein, möglichst allen Menschen auf dieser Welt möglichst schnell ein Impfangebot zu machen", sagt Stolpe. Wenn der Covax-Fonds die Patentrechte aufkaufen würde, könne allen Ländern der Zugang entweder kostenlos oder zu einem Preis in Höhe der oft sehr niedrigen Grenzkosten angeboten werden, ohne die Innovationsanreize für die forschende Pharmaindustrie zu beschädigen. Wenn die Kapazitäten für die Impfstoffproduktion auch im globalen Süden aufgebaut sind, sinken Stolpe zufolge die Kosten pro Dosis. "Auch reiche Menschen und die reichen Länder insgesamt profitieren davon, wenn möglichst alle Menschen in den ärmeren Ländern gegen ansteckende Krankheiten und insbesondere das Coronavirus geimpft werden", argumentiert Stolpe. Denn eine weitere Ausbreitung des Virus würde ja nicht nur großes menschliches Leid in den betroffenen Ländern verursachen und deren Volkswirtschaften schwächen, sondern auch die Weltwirtschaft insgesamt.

Wie ärmere Länder mit Impfstoffen versorgt werden könnten, zeigt auch der Medicines Patent Pool (MPP) mit Sitz in Genf. Der Pool wurde 2010 von der Gesundheitsorganisation Unitaid gegründet. MPP handelt mit Pharmaunternehmen, die Inhaber von Patenten sind, Lizenzen aus, die dann an Generika-Hersteller vergeben werden. Bis heute, heißt es auf der Homepage, seien Lizenzen für gut ein Dutzend Medikamente gegen Aids, Hepatitis C und Tuberkulose ausgehandelt worden. In einem offenen Brief boten schon im vergangenen November 18 Pharmaunternehmen ihre Kapazitäten für die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen gegen das Coronavirus an. Man sei überzeugt, argumentierten sie, dass die Pandemie nur durch internationale Zusammenarbeit überwunden werden könne.

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