Corona-Pandemie:"Nationale Pharma-Allianz"? Ohne uns

Corona-Pandemie: Schon das Etikett macht deutlich: Auch beim Impfstoff von Biontech und Pfizer handelt es sich um ein Gemeinschaftswerk

Schon das Etikett macht deutlich: Auch beim Impfstoff von Biontech und Pfizer handelt es sich um ein Gemeinschaftswerk

(Foto: Claus Schunk)

Deutsche Firmen müssen anders zusammenarbeiten, damit mehr Impfstoff hergestellt wird - das fordert Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Doch die Unternehmen winken ab.

Von Elisabeth Dostert, München

Die Antwort von Han Steutel könnte kaum klarer ausfallen. "De facto haben wir eine", kommentiert der Präsident des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen Markus Söders Forderung. Bayerns Ministerpräsident hatte nach einer "nationalen Pharma-Allianz" gerufen, um die Produktion von Corona-Impfstoffen zu beschleunigen. Der Verbandschef äußert sich freundlich, aber skeptisch: "Alle Impfstoffproduzenten sind untereinander in intensiven Gesprächen und auch im Gespräch mit der Politik", sagt Steutel. "Wir glauben nicht, dass diese Gespräche noch eine andere Klammer - eine offizielle - brauchen, um bessere Ergebnisse zu erzielen." Man kann das weniger freundlich auch eine Abfuhr nennen.

Steutel verweist auf die jüngsten Entwicklungen. Das Duo Biontech und Pfizer, dessen Impfstoff in der EU und vielen anderen Staaten schon gespritzt wird, haben ihr Produktionsziel für dieses Jahr von 1,3 auf zwei Milliarden Dosen erhöht. Der französische Konzern Sanofi habe sich "grundsätzlich" bereit erklärt, andere Impfstoffe mitzuproduzieren, sagt Steutel. Der eigene, gemeinsam mit Glaxo Smith Kline (GSK) entwickelte Stoff ist noch nicht so weit.

In seiner schriftlichen Antwort nennt Steutel noch ein Beispiel: das Bündnis von Bayer und Curevac. Der Leverkusener Konzern wird die Tübinger Firma bei klinischen Studien helfen und im Vertrieb. Auch eine eigene Produktion prüfe Bayer "intensiv", hieß es.

Der Verband führt Protokoll über den Entwicklungsstand der Impfstoffe. Weltweit gibt es mittlerweile mehr als 240 Projekte. Kaum einer arbeitet allein.

"Viele Partner haben sich längst gefunden."

Auf der Landkarte des Verbands finden sich einige bekannte Namen wie Bayer und der Darmstädter Konzern Merck, solche wie Biontech und Curevec, deren Namen bis vor gut einem Jahr bestenfalls Pharmaexperten kannten, und solche Firmen, die in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor kaum jemand kennt, wie Leukocare, Dermapharm, Baseclick, Prime Vector Technologies oder Belyntic.

Es sind alte und junge Unternehmen. Auch viele Hochschulen machen mit. So arbeiten Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen am Projekt Opencorona unter Federführung des Karolinksa-Instituts in Stockholm mit. "Viele Partner haben sich längst gefunden"" sagt Steutel. "Es geht deshalb nun vor allem um die Optimierung der Zusammenarbeit."

Corona-Pandemie: Mitarbeiter in Schutzkleidung bereiten Stahltanks in einem Werk des französischen Konzerns Sanofi auf die Produktion von Impfstoffen vor.

Mitarbeiter in Schutzkleidung bereiten Stahltanks in einem Werk des französischen Konzerns Sanofi auf die Produktion von Impfstoffen vor.

(Foto: Joel Saget /AFP)

Die Allianzen haben ganz unterschiedliche Ausprägungen. Biontech und Pfizer haben ihre Zusammenarbeit mit einer Beteiligung des US-Konzerns an dem Mainzer Unternehmen untermauert. Viele andere arbeiten ohne Kapitalverflechtung. Es gibt Hauptakteure und Mitwirkende, zum Beispiel Lohnunternehmen, die Leistungen gegen Bezahlung erbringen. Solche Aufträge für einzelne Schritte hat Biontech zum Beispiel an Rentschler Pharma, Dermapharm, Siegfried und Polymun vergeben, der Konkurrent Curevac an Wacker und Fareva. Beide Unternehmen wollen ihr Netzwerk noch ausbauen. "Das Nadelöhr sind im Moment nicht die Vertragsgestaltungen, sondern die weltweit gesuchten, hochspezialisierten Produktionsanlagen", sagt Steutel.

Die Pandemie habe die Bedeutung der Forschungsinstitute und Pharmabranche gestärkt und gezeigt, "was wir in kurzer Zeit erreichen können, wenn wir eng zusammenarbeiten", sagt Frank Mathias, Chef der Rentschler Biopharma aus Laupheim. In der Biotechnologie und in der pharmazeutischen Industrie seien Kollaborationen und Allianzen "ohnehin gelebter Alltag, schon immer, auch bei Rentschler". Seit vor einem Jahr bekannt geworden sei, welche Gefahren von Sars-CoV-2 ausgehe, seien die gemeinsamen Aktivitäten intensiviert worden. "Die Zusammenarbeit ist nicht auf Deutschland beschränkt und sollte sie auch nicht sein!", sagt Mathias. Auch er verweist auf Biontech. Für das Unternehmen reinigt Rentschler das Gemisch aus Bioreaktoren auf und gewinnt daraus "eine hochkonzentriere Flüssigkeit mit reiner mRNA".

"Das Vorhaben steht und fällt mit der Rekrutierung von Fachpersonal."

Der Manager hat durchaus Verständnis für den Wunsch in der Öffentlichkeit, schnell ausreichend Impfstoff zu haben. Es handele sich aber nicht um eine automatisierte Standardproduktion, sondern "äußerst anspruchsvolle biotechnologische Prozesse, für die spezielle, dedizierte und einzeln genehmigte Materialien, qualifizierte Fachkräfte und viel Erfahrung notwendig sind." Ein Hochfahren der Produktion auf Knopfdruck sei angesichts der Komplexität nicht von heute auf morgen möglich. "Vorwürfe, dass alles zu langsam geht, kann ich daher nicht nachvollziehen", sagt Mathias. Die Biotech-Branche habe in diesem Projekt gerade sämtliche Rekorde gebrochen. Das Aufstocken von Kapazitäten sei jedoch in vollem Gange, um die hohe Nachfrage decken zu können. Nahezu täglich würden neue Kooperationen bekanntgegeben, "schon bevor es diesen Impuls seitens der Politik gegeben hatte", so Mathias.

Ein weiteres Aufstocken der Produktion von Covid-19-Impfstoffen hänge primär von der Verfügbarkeit der Fachkräfte ab. "Platz zum Einrichten neuer Produktionssuiten ist bei uns vorhanden, auch die technische Ausstattung kann man beschaffen. Aber das Vorhaben steht und fällt mit der Rekrutierung von Fachpersonal", sagt Mathias. So gehe es auch anderen Firmen.

"Unsere Rolle ist vergleichbar mit der eines Zulieferers im Automobilsektor."

Merck, ein börsennotiertes Familienunternehmen, ist an "mehr als 50 Impfstoffprojekten" beteiligt - in ganz unterschiedlichem Umfang. Der Dax-Konzern stellt selbst keine Impfstoffe her. "Unsere Rolle ist vergleichbar mit der eines Zulieferers im Automobilsektor", sagt ein Konzernsprecher. Merck liefere zum Beispiel Bioreaktoren und Komponenten für Impfstoffe, etwa Proteasen und Antikörper, aber auch Lipide für den Transport von mRNA-basierten Impfstoffen zur Zelle. Erst vor wenigen Wochen hat der Konzern die Hamburger Firma Amptec übernommen, einen Auftragshersteller von mRNA.

Biontech habe schon früh Kontakt zu Merck aufgenommen, heißt es bei dem Konzern. Derzeit würden Optionen für weitere Prozessschritte geprüft, zum Beispiel Möglichkeiten der Abfüllung und Verpackung. "Das Bundesgesundheitsministerium ist informiert und eingebunden", so der Sprecher. Im Detail will er das nicht erläutern.

Auch Siemens arbeitet für die Impfstoffentwickler, etwa durch die Simulation von Produktionsprozessen. Siemens unterstütze Biontech beim Aufbau der Impfstoffproduktion in Marburg. Das bestehende Werk sei bereits mit Technik von Siemens ausgestattet und werde derzeit für die Covid-19-Impfstoff-Produktion umgerüstet. Biontech hatte das Werk im September von Novartis übernommen, es soll die Produktion im Februar aufnehmen. Pfizer setzte im belgischen Werk Puurs Technik von Siemens ein.

Corona-Pandemie: Forschung und Entwicklung in Martinsried bringen am Ende auch Produkte, die sich weltweit vermarkten lassen.

Forschung und Entwicklung in Martinsried bringen am Ende auch Produkte, die sich weltweit vermarkten lassen.

(Foto: Bernhard Haselbeck/privat)

Mit Glaxo Smith Kline habe Siemens zum Beispiel einen "digitalen Zwilling" für die Impfstoffproduktion geschaffen. Mit Hilfe von Tests und Erprobungen in dieser virtuellen Anlage könne die Zeit für die Entwicklung eines Impfstoffs um rund ein Viertel reduziert werden. Zudem erhöhten sich Ausbeute und Qualität, und es falle rund zehn Prozent "weniger Abfall an".

Die Firma Leukocare mit Sitz in Martinsried bei München entwickelt mit dem italienischen Unternehmen Reithera ein vektorbasierten Impfstoff. Reithera habe den Wirkstoff entwickelt, Leukocare die Rezepturen, die für Stabilisierung, Lagerung und Darreichungsform eines Präparats wichtig sind. Der Impfstoff soll, so Vorstandschef Michael Scholl, vom belgischen Partner Univercells produziert werden. Derzeit werde die klinische Phase 3 vorbereitet. In der solle sich unter anderem zeigen, ob ein einmalige Impfung reicht. "Wir sind sehr optimistisch", so Scholl. Reithera rechnet bis zum Sommer mit der Zulassung. Die Produktion beginne im März, die Jahreskapazität soll mindestens 100 Millionen Dosen betragen.

Er ist nicht davon überzeugt, dass eine Allianz "deutsch oder irgendwie anders national gestaltet werden muss." Viel wichtiger sei die Kombination "ergänzender Fähigkeiten und Erfahrungen", wie sie im eigenen Konsortium umgesetzt würden. So sieht man das auch bei Siemens. Die Pandemie sei kein "rein deutsches Thema, sondern ein internationales."

In Deutschland gebe es viele Kompetenzen, und bei der Herstellung von Covid-19-Impfstoffen seien "hiesige Standorte überdurchschnittlich gut vertreten", lobt Verbandspräsident Steutel: "Aber eine 'rein deutsche Denke' in einer globalen Pandemie ist keine gute Idee." Bislang sei beim Thema Impfstoffe "das allermeiste richtig" gelaufen. "Wir können überhaupt nur deshalb schon impfen, weil mehrere Firmen alle Rekorde dazu gebrochen haben, wie schnell man eine serienreife Großproduktion aufbauen kann", sagt Steutel: "Normalerweise rechnet man dafür Jahre."

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