Immobilienmarkt:Wo die Zukunft wohnt

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In Deutschland wird so viel gebaut wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Geplant sind vor allem Mehrfamilienhäuser in den Städten. Die Mieten bleiben trotzdem hoch.

Von Benedikt Müller und Michael Bauchmüller, München/Berlin

Die 881 Menschen, die heute in München-Freiham wohnen, sind nur die Vorboten. Auf dem alten Ackerland zwischen der Stadt und dem Autobahnring entsteht derzeit ein komplett neues Viertel im Westen. Die S-Bahn macht hier seit ein paar Jahren halt, ein großer Möbelmarkt hat schon eröffnet. Nun baut die Stadt die erste Grundschule und neue Mietshäuser; private Investoren ziehen Eigentumswohnungen hoch. Bis 2040 sollen in Freiham mehr als 20 000 Menschen leben.

Wie in München durchforsten viele Großstädte ihre Flächen, widmen Industriebrachen um und drängen ihre kommunalen Gesellschaften, mehr Wohnungen zu bauen. Denn es ist voll geworden in den Ballungszentren: Seit Jahren ziehen mehr junge Menschen in die Großstädte, um ein Studium oder einen Job anzutreten. Auch Zuwanderer und Flüchtlinge sind vor allem in die Ballungsräume gekommen, wo sie die besten Integrationschancen sehen.

Städte und Wohnungsfirmen reagieren auf den Zuzug: In Deutschland wird so viel gebaut wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Im vorigen Jahr haben die Behörden gut 375 000 neue Wohnungen genehmigt, meldet das Statistische Bundesamt. Das sind 21 Prozent mehr als im Vorjahr. Doch bis diese Wohnungen bereit zum Einzug sind, können noch Jahre vergehen. "Es braucht Zeit, bis sich das Angebot der Nachfrage annähert und sich die Mietenentwicklung wieder beruhigt", sagt Harald Herrmann, Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).

Wer in München in einen Neubau zieht, zahlt im Schnitt 17,50 Euro kalt

Genehmigt wurden vor allem Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl geplanter Einfamilienhäuser stagniert dagegen seit Jahren (siehe Grafik). Offenbar setzen Investoren darauf, dass die Großstädte attraktiv bleiben. So sind die Genehmigungszahlen etwa in Hamburg um 24 Prozent gestiegen, in Köln um 22 Prozent, in München um 14 Prozent. Zudem entstehen viele Wohnheime, allen voran für Flüchtlinge.

Eine Renovierung in Berlin: Immer mehr Wohnraum entsteht durch Eigentümer, die Dachgeschosse ausbauen oder Häuser aufstocken. Dann müssen keine Flächen versiegelt und teuer eingekauft werden. (Foto: Schöning/imago)

Neben steigenden Mieten in den Städten sind die niedrigen Zinsen ein Grund, warum Privatleute und Investoren auf Immobilien setzen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) hindert das nicht daran, die Zuwächse der Politik gutzuschreiben. "Die Zahlen zeigen es schwarz auf weiß: Die Wohnungsbauoffensive und die Arbeit des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen zahlen sich aus", sagt sie. Erst einen Tag zuvor hatte sich dieses Bündnis, in dem sich Politik und Wirtschaft um bezahlbaren Wohnraum bemühen, wieder zusammengerauft - im Streit über verschärfte Klimaziele war die Wohnungswirtschaft im vorigen November ausgestiegen. Jetzt ist die Freude groß. "Es ist uns gelungen, innerhalb kürzester Zeit eine Trendwende auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen", sagt Hendricks. Binnen einer Legislaturperiode seien so eine Million Wohnungen entstanden.

Doch Bauen in Deutschland ist teuer geworden, das spüren auch die Mieter: Wer 2016 eine Neubauwohnung bezogen hat, zahlte in München im Schnitt 17,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter; über alle Baujahre hinweg liegen die Mieten laut BBSR bei 15,65 Euro. Auch in Stuttgart werden neue Mietwohnungen mit gut 14 Euro weit teurer angeboten als bestehende, die knapp zwölf Euro kosten. Nicht nur viele Auflagen haben das Bauen verteuert. "Der Wettbewerb um knappes Bauland und damit verbunden hohe Grundstückspreise sorgen für einen zusätzlichen Auftrieb", sagt Herrmann.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Foto: SZ-Grafik)

Außerdem entsteht fast jede zweite neue Geschosswohnung als Eigentumswohnung. Projektentwickler können diese teuer verkaufen, weil die Nachfrage so groß ist. Wenn die Käufer ihre Wohnungen vermieten, müssen sie den hohen Preis mit entsprechenden Mieten wieder reinholen.

Deshalb nehmen immer mehr Städte Einfluss darauf, welche Wohnungen gebaut werden: München hat für Neubauten schon vor Jahren einen Mindestanteil an Sozialwohnungen festgelegt. Hamburg vergibt Bauland nicht mehr zum Höchstpreis, sondern an das beste soziale Konzept. Doch viele kleinere Städte sind auf die Baulandeinnahmen angewiesen.

Bis aus den vielen Anträgen Wohnungen werden, bis die neuen Regeln den Markt spürbar entlasten, dürften aber noch Jahre vergehen. "Genehmigt ist noch lange nicht gebaut", sagt Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen (GdW). Bauwirtschaft und Handwerker haben zurzeit so viele Aufträge wie seit 20 Jahren nicht; die Branche ist stärker ausgelastet als im Boom nach der Wiedervereinigung.

Das verzögert den Bau. Auch das Bauministerium geht davon aus, dass die Lage in Ballungsräumen und Universitätsstädten angespannt bleibt. "Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen", sagt Hendricks. "Bis 2020 werden jedes Jahr mindestens 350 000 neue Wohnungen benötigt." Weiterhin gelte es, in Städten mit angespanntem Mietmarkt neue Wohnungen zu errichten. Erst vorige Woche hatte der Bundestag dazu eine neue Baugebietskategorie geschaffen, das "urbane Gebiet". Städte können so auch dort Grundstücke für Wohnungen ausweisen, wo lärmendes Gewerbe ist. Die entsprechenden Lärmvorgaben wurden abgeschwächt. Das soll helfen, Innenstädte zu "verdichten" - und neuen Wohnraum auch mitten in der Stadt zu schaffen. Dazu passt, dass auch die Zahl der Aufstockungen zunimmt: 52 000-mal genehmigten die Behörden Vorhaben, bei denen Dachgeschosse ausgebaut oder Häuser umgebaut werden - ganz ohne Flächenverbrauch.

Quelle: Statistisches Bundesamt (Foto: SZ-Grafik)

Andernorts dagegen passiert das Gegenteil von Verdichtung. Just am Donnerstag findet in Berlin der "Demografie-Gipfel" statt, eines der Themen: sterbende Dörfer. Es ist die andere Seite des Wohnungsmangels in den Zentren, bundesweit standen 2015 etwa 1,8 Millionen Wohnungen leer. Auch Hendricks ist zu dem Gipfel gefahren, diesmal aber mit einer anderen Botschaft. "Uns zieht die Zukunft weg", habe ihr eine ältere Dame auf dem Land einmal gesagt. Nicht selten zieht die Zukunft in schicke neue Wohnungen in der Stadt.

© SZ vom 17.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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