Süddeutsche Zeitung

Immobilienmarkt:Bürohaus als Visitenkarte

Firmen haben neue Ansprüche an ihre Büros. Möglichst offen sollen sie sein. Die Arbeit der Makler verändert sich.

Von Benedikt Müller

Zweimal am Tag kommt der Fahrradverleiher "Call a Bike" hierher in den Münchner Norden und füllt vor der Deutschland-Zentrale von NTT Data den Vorrat an Leihrädern wieder auf. Viele Mitarbeiter der IT-Firma radeln nach Dienstschluss in den Feierabend und stellen den Drahtesel an ihrem Zielort einfach wieder ab. Für den Hinweg bevorzugen sie offenbar andere Verkehrsmittel. Kein Problem, tagsüber kommt ja Nachschub.

Der Leihfahrrad-Parkplatz ist eine der Neuheiten, die NTT Data seinen Beschäftigten bietet, seitdem die Firma ihren neuen Sitz in München-Schwabing bezogen hat. Die Deutschland-Tochter mit gut 1600 Beschäftigten wächst schnell; alleine in diesem Jahr hat sie 400 neue Mitarbeiter eingestellt. Im Wettbewerb um Fachkräfte sei die neue Zentrale ein wichtiges Argument, sagt Finanzchefin Ilka Friese. "Ohne einen ansprechenden Hauptsitz hätten wir es nicht geschafft, so viele neue Mitarbeiter an Bord zu bekommen." Der Großteil der Bewerbungsgespräche fand hier im Münchner Norden statt; und die Talente von heute legten größeren Wert auf das Arbeitsumfeld, wenn sie sich für oder gegen einen Arbeitgeber entscheiden, sagt Friese. "Es ist viel wichtiger geworden, welche Home Base ein Unternehmen hat."

Der Firmensitz wird wichtiger, "als Visitenkarte gegenüber Kunden und Mitarbeitern"

Als NTT Data vor drei Jahren die Suche nach der neuen "Home Base" begann, stellte die Firma ganz andere Ansprüche als in früheren Jahrzehnten. Denn wie in vielen Branchen hat sich das Arbeiten geändert: Beschäftigte denken häufiger in Projekten, schließen sich immer wieder zeitweise zu Teams zusammen. Der eigene Schreibtisch mit Festnetztelefon verliert an Bedeutung; dank Laptop und Smartphone lässt sich von überall aus arbeiten. Gleichzeitig wollen die Unternehmen attraktiv sein für junge Ingenieure und Informatiker, die stärker als früher auf die Arbeitsumgebung achten.

Große Büro-Maklerfirmen wie Colliers oder Savills erhalten daher umfassendere Aufträge als früher: Sie sollen nicht mehr nur Objekte suchen, die gut erreichbar sind. Sie sollen möglichst umweltschonende Gebäude finden, mit offenen Büros, Treffpunkten und kleinen Rückzugsräumen. "Die Immobilie wird für Unternehmen immer wichtiger als Visitenkarte gegenüber Kunden und Mitarbeitern", sagt Peter Bigelmaier, der das Vermietungsgeschäft von Colliers in Deutschland leitet.

Wenn Bigelmaier heute eine große Büro-Immobilie sucht, arbeitet er genau andersherum als früher: Der Kunde überlegt sich zuerst, wie er das Arbeitsumfeld gestalten und organisieren will, welche verschiedenen Arbeitsplätze benötigt werden. Erst dann holt der Makler Angebote ein, und das Unternehmen rechnet sie durch. "Der Job, den wir heute machen, ist mehr Projekt-Management als klassische Makelei", sagt Bigelmaier. Firmen wie Colliers haben andere Unternehmen übernommen oder externe Fachkräfte verpflichtet, um die nötige Expertise bieten zu können, etwa in Fragen der Innenarchitektur.

Bei NTT Data sieht heute alles anders aus als am alten Firmensitz im Münchner Osten. In dem neuen, fünfstöckigen Haus mit weißem Putz und braunen Wandverkleidungen haben nur die wenigsten Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz. Einzelzimmer gibt es nur noch für Geschäftsführer. Wer morgens zur Arbeit kommt, schließt seinen Laptop dort an, wo gerade Platz ist: am langen Stehtisch zur Konferenz, im Projektraum bei den Teamkollegen oder im Großraumbüro der eigenen Abteilung.

Es gibt hier viel weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter, weil die Beschäftigten nun häufiger unterwegs sind, sowohl im Haus als auch außerhalb. Das spart zunächst Platz. Doch dafür gibt es nun große Teeküchen inklusive Couch und Schiefertafel an der Wand. Die Kantine heißt jetzt Lounge, mit einem Pizza-Ofen und einer Kaffeebar, die mit ihren Holztischen an eine große amerikanische Café-Kette erinnert. Überall sollen sich Mitarbeiter ungezwungen zusammensetzen und mit Kunden treffen können. Und wer mal seine Ruhe braucht, zieht sich in die sogenannten Telefonzellen zurück: schmale Räume mit Teppichböden und rot gepolsterten Sitzbänken.

Dass sich Büro-Makler heute auch mit dem Innenleben der Objekte beschäftigen, ist aber nicht nur eine Reaktion auf technischen Fortschritt und gestiegene Ansprüche. Es ist auch ein neues Geschäftsmodell in Zeiten, in denen Immobilienmärkte viel besser digital erfasst sind. "Heute sind Informationen zu Objekten leichter zugänglich", sagt Bigelmaier. Nur zu wissen, wo Häuser liegen, reiche heutzutage nicht mehr. Eine Entwicklung, die auch der Immobilienverband Deutschland (IVD) beobachtet: "Der Makler ist nicht mehr nur Vermittler", sagt IVD-Präsident Jürgen Michael Schick. "Er ist vielmehr Berater der Vertragsparteien in allen Belangen rund um die Immobilie."

Eine alte Befürchtung der Immobilienwirtschaft scheint sich jedenfalls nicht zu bestätigen: dass die Digitalisierung Büros gänzlich unnötig machen würde, weil die Menschen nur noch von Zuhause aus arbeiten. Ansätze von Mittelständlern wie NTT Data und Konzernen wie Microsoft zeigen stattdessen: Das Büro wird weiterhin gebraucht. Weniger als geschlossene Einheit, mehr als flexible Plattform für Interne und Externe, die gemeinsam Lösungen austüfteln. Sei es auf dem großen Touch-Bildschirm im Konferenzraum, auf dem Sofa der Teeküche oder in der Kantine, die nicht mehr Kantine heißen darf.

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Quelle:
SZ vom 29.12.2016
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