Wer in der Hauptstadt lebt und seinem Vermieter die lecke Dachrinne oder den sich auflösenden Teppichboden melden will, bekommt immer seltener ein berlinerndes Urgestein ans Telefon. Immer häufiger dagegen kommt es vor, dass der Vermieter kryptische Namen wie "Blackstone Property Partners Europe Holding S.a.r.l." oder "Juventus Properties" trägt. Längst ist Berlin ein Magnet für Immobilieninvestoren. Für Gruppen, die sich weniger für die kaputte Regenrinne interessieren, sondern in Renditen denken und wissen, wie man diese optimiert.
Und das tun sie laut verschiedenen Recherchen auch. Da ist zum Beispiel die britische Pears-Familie. Im vergangenen Jahr sorgte sie in der Hauptstadt für Aufsehen: Die Milliardärsfamilie kaufte 3000 Wohnungen in Berlin - zahlte darauf aber wegen eines Geflechts dazwischengeschalteter Firmen am Ende kaum Steuern. Das war das Ergebnis der Bürgerrecherche "Wem gehört Berlin", die der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv angestoßen hatten. Auf SZ-Anfrage gab es vom Unternehmen dazu keine Stellungnahme.
Wie sehr solche Strukturen offenbar auch auf dem Immobilienmarkt System haben, zeigt nun eine Studie, die der SZ vorliegt. Im Auftrag des Grünen-EU-Abgeordneten Sven Giegold hat der Steuerexperte Christoph Trautvetter sich Eigentümerstrukturen auf dem Berliner Mietmarkt angeschaut und Jahresabschlüsse analysiert. Die Ergebnisse sind Schlaglichter darauf, wie sehr die Steuertricks internationaler Großkonzerne offenbar längst auch auf dem Wohnungsmarkt Usus sind. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse die Schlüsselrolle Luxemburgs.
Als eines der Beispiele wird in der Studie Blackstone genannt. Der laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Fortune weltweit größte Immobilien-Investor, aus dessen Joint Venture später Blackrock hervorging, kauft auch in großem Stil Immobilien in Berlin. Umso relevanter ist das Geschäftsmodell: Laut der Studie liefen die Europa-Geschäfte 2018 über mehrere Dependancen in Luxemburg, Cayman Islands, Jersey und Delaware - also klassische Steueroasen. Laut der Erkenntnisse haben einzelne Tochtergesellschaften in der Vergangenheit Zinszahlungen an Partnerunternehmen von bis zu einem Viertel der Mieteinnahmen und Zinssätze von bis zu zehn Prozent angesetzt. Es ist eine beliebte Taktik: Gibt ein Partnerunternehmen dem Immobilienkonzern einen Kredit mit hohen Zinsen, kann dieses die hohen Rückzahlungen einfach von den Mieteinnahmen absetzen. "Von denen bleibt mit weiteren Abschreibungen auf dem Papier dann häufig nur noch ein Bruchteil übrig", so der Studienautor.
Blackstone spricht auf SZ-Anfrage von einer "falschen und irreführenden Behauptung": Man verhalte sich konform mit deutschem Recht und zahle alle maßgeblichen Steuern. Man habe über 200 Millionen Euro Einkommensteuer in Deutschland gezahlt und 400 Millionen Euro in das deutschen Immobilienmarktgeschäft investiert, um die Immobilien instandzuhalten.
Sechs Jahre ist es nunmehr her, dass die Steuerpraktiken in Luxemburg zu einem Aufschrei führten. Damals zeigten geleakte Dokumente, wie sich die Behörden zu Gehilfen von Steuervermeidung machten. Trotz geläuterter Töne in Reaktion auf die "Lux-Leaks"-Recherchen, an denen auch die SZ beteiligt war, gestaltet sich der Reformprozess zäh. Weitere Recherchen von SZ, NDR und WDR zeigten 2019: Luxemburg ist nach wie vor ein beliebtes Ziel für Steueroptimierer. Die - ganz legalen - Steuertricks der Immobilieninvestoren in Berlin sind freilich nur möglich, weil Länder wie Luxemburg dies begünstigen.
Der resultierende Geldabfluss ist ein systemisches Problem, das Deutschland laut Trautvetter an der Quelle selber stoppen könnte. Konkret schlägt er vor, es Ländern wie Dänemark gleichzumachen und eine sogenannte Quellensteuer für Finanzierungen innerhalb einer Firmengruppe einzuführen. Damit würde der Staat eben jene Zinsen und Lizenzgebühren besteuern, mittels derer das Geld von der Quelle aus beiseitegeschafft wird - und eben dieses Beiseiteschaffen unattraktiv machen. Trautvetter sagt: "Deutschland kann das Problem selber abstellen."
Ähnlicher Meinung ist auch der Auftraggeber der Studie. Der EU-Abgeordnete Sven Giegold spricht von einem "doppelten Schaden für das Gemeinwohl": Erst würden hohe Mieten kassiert, dann niedrige Steuern gezahlt. Ein System, das Länder wie Luxemburg als Handlanger am Laufen halten. Giegold sagt: "Was auf EU-Ebene passiert, hat mit einem fairen Wettbewerb nichts mehr zu tun." Neben einem Ende des Abflusses von Immobiliengewinnen in Steueroasen fordert er schon länger einen EU-weiten Mindeststeuersatz, doch die Liberalen und Konservativen im Parlament wollen davon nichts wissen.
Während er auf eine globale Koalition williger Steuervermeidungsbekämpfer hofft, hat sich die EU auf Mindeststandards gegen Steuervermeidung einigen können. Entsprechende Richtlinien (ATAD I und II) sollen helfen, die Praxis der Gewinnverschiebung einzudämmen. Der deutsche Last-Minute-Gesetzesvorschlag stieß Ende vergangenen Jahres in der Wirtschaft auf breite Ablehnung, derweil hat der Nachbar Luxemburg die Richtlinie pünktlich umgesetzt. Mit einer kleinen Ausnahme: Das Gesetz ist so konstruiert, dass es auf Investmentfonds nicht zutrifft.