Auf dem Papier sind die Bedingungen einmalig. Nie zuvor konnten sich Immobilienkäufer und Bauherren so günstig verschulden wie zurzeit: Der Leitzins ist auf null. Mit ihrem Kaufprogramm drückt die Europäische Zentralbank die Anleihe-Renditen weiter nach unten. Und nach dem Brexit-Votum wollen noch mehr Investoren vergleichsweise sichere Anleihen kaufen. Für die Baufinanzierung in Deutschland bedeutet das: Kredite werden noch ein bisschen günstiger. Wer heute eine Zehn-Jahres-Finanzierung aufnimmt, zahlt im Schnitt gut ein Prozent Zinsen.
Doch obwohl die Bauzinsen seit Jahren sinken, obwohl so viele Menschen in Arbeit sind wie nie zuvor, obwohl die Löhne steigen, ändert sich nichts an der sogenannten Wohneigentumsquote: Nur 44 Prozent aller Haushalte bundesweit leben in eigenen vier Wänden. Die restlichen 56 Prozent wohnen zur Miete. In keinem anderen Euro-Land ist der Anteil der Eigentümer so niedrig. Die Quote, die unter anderem die Bundesbank erhebt, stagniert seit Jahren.
Zwar werden jährlich mehr Immobilien gebaut und gekauft, die Preise steigen auch in diesem Jahr weiter, Makler melden Rekordumsätze. Doch es sind vor allem wohlhabende Menschen, die in Immobilien investieren; der Boom geht an der breiten Masse vorbei. So rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) vor: Seit 2010 ist die Eigentumsquote vor allem im reichsten Fünftel der Bevölkerung gestiegen, auf knapp 70 Prozent. "In den anderen Einkommensgruppen gab es hingegen kaum Veränderungen", sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts.
Wer mietfrei leben kann, genießt im Alter einen finanziellen Vorteil
Das ist ein ungesunder Befund in Zeiten, in denen die Ungleichheit größer und die Altersvorsorge unsicherer wird. Denn wer im Alter mietfrei im abbezahlten Haus leben kann, genießt einen finanziellen Vorteil, den man heute kaum beziffern kann. Wer weiß schon, wie stark die Mieten in den Ballungszentren noch steigen werden.
Wie bedeutend das Eigenheim für den Vermögensaufbau ist, wird stets deutlich, wenn über Reichtum in Europa berichtet wird. Als die Bundesbank mitteilte, ein durchschnittlicher Haushalt sei etwa in Spanien dreimal so vermögend wie in Deutschland, wunderten sich viele. Doch ein Hauptgrund ist, dass gut 80 Prozent der spanischen Haushalte im Eigenheim leben. Damit besitzen sie eine relativ stabile Anlage. Kann sich die breite Masse dagegen keine Immobilie leisten, profitiert nur der reiche Teil der Gesellschaft von steigenden Preisen. "Die geringe Eigentumsquote ist ein Hauptgrund, warum die Vermögensungleichheit in Deutschland vergleichsweise hoch ist", sagt Ökonom Voigtländer.
Warum entscheiden sich nicht mehr Menschen für eine Immobilie? Ein Grund ist, dass sich die Lebensentwürfe geändert haben: Es gibt mehr Single-Haushalte als früher und weniger Familien, die über Jahrzehnte am selben Ort wohnen und deshalb typische Immobilienkäufer sind. Und je länger die Menschen etwa in befristeten Arbeitsverhältnissen stecken, desto später können sie eine so weitreichende Entscheidung fällen wie die, ein Haus zu kaufen.