Süddeutsche Zeitung

Imker auf Wanderschaft:"Die Bienen haben ein Wunder vollbracht"

Cristian Parlog ist Wander-Imker. Er fährt seine Bienen dorthin, wo es gerade kräftig blüht - doch der Klimawandel mit seinen extremen Wetterwechseln macht ihm schwer zu schaffen.

Reportage von Ulrike Sauer

Die Sonne versinkt gerade hinter den Hügeln, als Cristian Parlog den staubigen weißen Feldweg in seinem Dacia Logan hochgefahren kommt. Am Waldrand, wo sich Fuchs und Wildschwein gute Nacht sagen, stehen 50 Bienenkisten. Sie sind gelb, orange und blau angemalt. Parlog besucht den jüngsten Spin-off seiner Imkerei in Umbrien, dem grünen Herzen Italiens. Im Juni hat er Ableger aus seinen stärksten Völkern gebildet und dazu mehrere Waben mit Brut und allen Bienen darauf in eine neue Beute gehängt. Jedem Start-up schenkte er eine neue Königin - und los ging die Wachstumsrally im Schatten der Steineichen.

In Zeiten des weltweiten Bienensterbens ist die Nachfrage groß. In Europa hat sich die Zahl der Völker in den vergangenen Jahren halbiert. Die Imker kämpfen heute gegen die Bedrohung des gesamten Ökosystems. "Die Bienen bilden das Fundament der Artenvielfalt auf der Erde", sagt Parlog. Von ihrer Befruchtung der Blüten hängt zudem das Überleben von drei Vierteln der europäischen Nahrungsmittelproduktion ab. Das Verschwinden der fleißigen Bestäuberinnen zu verhindern, verlangt einen pausenlosen Einsatz. "Sie müssen permanent umsorgt werden, um den Schaden zu begrenzen", sagt der Imker, der vor zehn Jahren aus Rumänien nach Italien gekommen ist.

Heute trifft er mit einer frohen Botschaft am Stellplatz bei Amelia ein. "Es gibt eine schöne Überraschung", sagt er strahlend. Im Juni war Parlog noch geknickt gewesen. 2017 war seine Honigernte wegen der verheerenden Dürre in Italien desaströs ausgefallen. In diesem Frühling hat es nun dauernd geregnet.

Parlog betreibt eine Wander-Imkerei und fährt seine Bienen zu Orten, wo es gerade kräftig blüht. So hatte er seine Bienenstöcke rechtzeitig auf 50 Hektar roten Wiesenklee platziert. Aber die Honigwaben in seinen Kästen blieben fast leer. Parlog verstand die Welt nicht mehr und resignierte. Dann leisteten seine Völker an einem neuen Stellplatz Unvorstellbares, berichtet er. Innerhalb von zwei Wochen quoll der Honig über die Holzrahmen. "Die Bienen haben ein Wunder vollbracht", sagt der 38-Jährige verzückt.

Mit Wundern kennt sich Parlog aus. Sein Vater und ein Onkel sind Priester der orthodoxen Kirche in Rumänien. Cristian hat in der Hafenstadt Constanţa am Schwarzen Meer Theologie studiert. Nach dem Abschluss hätte er mithilfe der Familie ohne Weiteres eine Stelle bekommen. Doch etwas sträubte sich in ihm. Der sehr religiöse Mann erzählt mit Abscheu vom Machterhalt der alten Eliten aus der Zeit des Diktators Nicolae Ceaușescu und vom Ausufern der Korruption in seinem Land, die derzeit wieder die Menschen dort auf die Straßen treibt. Mit der Korruption wollte er sich nicht arrangieren. Er sei abgehauen. Der EU-Beitritt Rumäniens 2007 bot ihm die Chance. Ein Jahr später zog er zum Onkel nach Amelia, eine Autostunde nördlich von Rom. Er benötigte für die Einreise nur einen Personalausweis.

Für die Bienen bedeutete jede Dürre eine Hungersnot

Zwei Tage nach der Ankunft jobbte Cristian bereits als Waldarbeiter und Gärtner. Bald heuerte ihn ein Metallbetrieb an, bildete ihn als Schweißer aus und stellte ihn ein. Nebenher ging Parlog seinem Imker-Hobby nach. Mithilfe von EU-Geldern zur Förderung der Bienenzucht in Europa machte er schließlich aus dem Hobby eine selbständige Erwerbstätigkeit. Er erhielt Zuschüsse zum Kauf neuer Holzbeuten, einer Honigschleuder und anderem Handwerkszeug. Seine Imkerei Cri Cri bezog insgesamt 13 000 Euro aus dem Programm.

2016 gab er seine Arbeit als Schweißer auf. Doch dann kam das Dürrejahr 2017. Für die Bienen bedeutete das eine Hungersnot. Für Cristian einen herben Rückschlag. Er war gezwungen, eine neue Stelle als Schweißer anzutreten. "Ich arbeite acht Stunden am Tag, der Rest ist für die Bienen", sagt Parlog und lacht.

In Umbrien haben sie mit den EU-Hilfen gute Erfahrungen gemacht. Seit drei Jahren reichen die Gelder nicht mehr für alle Antragsteller aus, sagt Romildo Beniamino von der örtlichen Imker-Genossenschaft. Die Imkerei ziehe heute viele junge Leute an. 2017 nahm er 28 neue Mitglieder in seiner Kooperative auf. Die Zahl der Bienenvölker wächst in der Region seit Jahren konstant. Es machte sich bemerkbar, dass Italien seit 2013 mit einem Freilandverbot für Pflanzengifte aus der Gruppe der Neonicotinoide vorangegangen war. Auf EU-Ebene wurde das Totalverbot erst vor wenigen Monaten verhängt. "Trotzdem verzeichneten wir keinen entsprechenden Anstieg der Honigproduktion", sagt Beniamino. Im Gegenteil. Schon seit vier Jahren gebe es keine normalen Erträge mehr. Schuld daran sei der Klimawandel. Extreme Wetterbedingungen seien die neue Normalität. Dieses Jahr war in Umbrien keine Ausnahme. Es hat den ganzen Frühling bis Ende Juni so viel geregnet, dass die Blüten förmlich ausgewaschen wurden.

Wie Parlog sind seit der Ost-Erweiterung der EU 2007 Hunderttausende Rumänen nach Italien gekommen. Heute stellen sie mit knapp 1,2 Millionen Zuwanderern die größte Ausländergruppe. Die gemeinsamen Wurzeln in der christlichen Kultur und in der lateinischen Sprache erleichtern die Integration sehr. Die Rumänen tragen ein Prozent zur italienischen Wirtschaftsleistung bei. Es gibt 24 000 Firmengründer rumänischer Abstammung. Die Unternehmen beider Länder haben sich stark verflochten. 250 Flüge verbinden Italien und Rumänien pro Woche.

Die Familie Parlog lebt heute weit verstreut. Ein Bruder Cristians, der mit sieben Geschwistern aufgewachsen ist, arbeitet als Programmierer bei einem Auto-Zulieferer bei Köln. Seine Schwester hat in Rom Wirtschaft studiert und ist nun für den Bankkonzern Unicredit nach Rumänien zurückgekehrt. Einen Bruder hat es nach Zypern verschlagen. Ein anderer ist bei Facebook in Kalifornien tätig. Sein Arbeitgeber überwies ihm 10 000 Dollar für den Familiennachzug, um ihn zu halten.

Cristian hat im Italienischkurs in Amelia vor zehn Jahren seine ukrainische Frau kennengelernt. Die Ärztin hat ihren Studienabschluss in Italien wiederholt. Heute haben die beiden drei kleine Kinder. Auf der Entbindungsstation im Krankenhaus in Terni wurden die jungen Eltern stets herzlich aufgenommen. "Gut, dass es euch gibt", sagten Hebammen und Ärzte. Ohne die Ausländerinnen hätten sie in Italien kaum noch etwas zu tun. Das Land hat die niedrigste Geburtenrate der Welt. Zur Sicherung ihrer Renten sind die einst so kindervernarrten Italiener auf die Zuwanderung angewiesen. Die neuerdings stark rückläufige Immigration gefährde die Altersversorgung der Italiener, warnte kürzlich Tito Boeri, Chef der staatlichen Sozialversicherung INPS.

Nur Parlogs Schwiegermutter ist sauer. Sie habe große Opfer für das Medizinstudium ihrer Tochter erbracht und nun sei diese ständig schwanger. Cristian nimmt es mit Humor. "Ja wann denn, wenn nicht jetzt?", fragt er fröhlich.

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SZ vom 14.08.2018/vit
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