Im Sommer heiß, im Winter eiskalt:Sibirisch schön

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Im Sommer bis zu 40 Grad heiß, im Winter mehr als 40 Grad kalt: Nur sehr robuste Pflanzenarten halten die extremen Temperaturunterschiede in Sibirien aus.

(Foto: imago/Photocase)

Badelotionen, Faltencremes: Mit seiner Kosmetikfirma "Natura Siberica" ist Andrej Trubnikow international erfolgreich. Der Mythos der russischen Wildnis dient ihm als Werbebotschaft.

Von Paul Katzenberger

Wer Andrej Trubnikow kennenlernen möchte, dem scheint er gleich einen kleinen Einblick in seine Welt vermitteln zu wollen. Kaum hat der Besucher Platz genommen, darf er auf ein Aquarium schauen, in dem seltsam schillernde Fische schwimmen, mit auffällig hohem Rücken. Ganz gemächlich öffnen sie immer wieder das Maul - und lassen ihre kleinen, spitzen Zahnreihen sehen. Ein Becken voller Piranhas. Zufall? Vielleicht eine Allegorie, die den Gast ein bisschen auf die Wirklichkeit im heutigen Russland einstimmt?

Andrej Trubnikow, 60, ist Geschäftsmann. Er kennt noch die alten Sowjetzeiten. Jetzt empfängt er in seinem Büro an Moskaus gewaltiger Ausfallstraße Leningradskij Prospekt. Die Haare sind kurz rasiert, das Gesicht ist füllig, er trägt einen blauen Pullover, der über seinem kugelrunden Bauch mächtig spannt. Trubnikow ist kein Typ für weißes Hemd und Business-Sakko. Er steht zu seinen kleinen Schwächen. Auf die Raufasertapete hat jemand Parolen gesprüht, die Buchstaben fransen wild aus. Trubnikow spürt den fragenden Blick des Gastes und erklärt: "Als ich mal ein bisschen betrunken war."

Es ist wohl diese direkte Art, die Andrej Trubnikow zu einem erfolgreichen Unternehmer im Russland Wladimir Putins gemacht hat. Trubnikows Firma hat eine einfache Geschäftsidee, sie schöpft aus einem Mythos, dem Reichtum Sibiriens: "Natura Siberica" stellt Kosmetika her - Shampoos, Badelotionen, Körperpeelings, Rasierschaum, Faltencremes. Der Clou sind die Ingredienzien: "Sibirischer Wacholder", "Wilde Distel" oder "chinesische Beerentraube"; letztere wächst auch im fernöstlichen Russland, ihr wird eine regenerierende und Leistung steigernde Wirkung nachgesagt.

Kunden in aller Welt scheinen die Produkte zu schätzen. Natura Siberica exportiert heute in 60 Länder, von Australien bis Zypern. Auch die deutsche Drogerie-Handelskette dm und Londons weltbekanntes Kaufhaus Harrods zählen zu den Abnehmern. Die britische Times führte das Shampoo von Natura Siberica 2017 sogar unter den fünf besten Bio-Shampoos, die das Blatt getestet hatte. Offenbar überzeugt sie, die Verheißung, dass die unbändige Kraft der Natur Sibiriens Gesundheit und Schönheit fördert.

Natura Siberica ist eine Art Perle in der ansonsten eher kargen Landschaft privater russischer Unternehmen. Denn Andrej Trubnikow führt eine der wenigen Firmen, die Konsumgüter herstellen und die im schwierigen internationalen Geschäft mithalten können. Das will etwas heißen.

Es gibt nur wenige russische Konsumartikel, die bei den Kunden im anspruchsvollen Westen ankommen

Noch heute schöpft das Land seine Wirtschaftskraft zum größten Teil aus seinen schier unermesslichen Bodenschätzen, vor allem Öl und Gas, aber auch Eisenerz, Kupfer und Nickel. Und sonst? Wenn russische Sojus-Kapseln Menschen zur Internationalen Weltraumstation ISS transportieren, dann wird - übertragen von den Fernsehstationen dieser Welt - das technologische Prunkstück der heimischen Wirtschaft sichtbar: die Luft- und Raumfahrtindustrie. Auch in der Atomkraft macht Russland international Geschäfte. Und längst kann Moskau in der Informationstechnologie mithalten, etwa mit der Internet-Suchmaschine Yandex, die Google auf dem russischen Markt Paroli bietet; Deutschland hat so etwas nicht vorzuweisen.

Aber, und darauf ist Andrej Trubnikow sichtlich stolz, russische Konsumartikel, die sogar bei den Kunden im anspruchsvollen Westen ankommen, sind rar. Na klar, bei Bier und Schokolade, da geht was. Der zur dänischen Carlsberg-Gruppe gehörende Braukonzern Baltika exportiert in 75 Länder. Und "Aljonka", das Mädchen mit dem bunten Kopftuch und den weit geöffneten Augen, das in Russland fast jeder kennt, erfreut sich auch in China großer Beliebtheit. Doch Baltika-Biere und das Schokoladenmädchen "Aljonka" stammen noch aus der Konkursmasse der untergegangenen Sowjetunion.

Andrej Trubnikow dagegen baute sein Unternehmen in den schwierigen Nullerjahren aus eigener Kraft und in zähem Kampf auf, ausgerechnet nach jener Zeit, in der Russland gerade zahlungsunfähig geworden war, und als weite Teile der Bevölkerung immer stärker in Armut und Elend versanken.

In der Not gründete er eine Wodka-Destillerie - zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt

Auch er, so erzählt Trubnikow, sei damals pleite gewesen. Einiges war schiefgelaufen, er hatte sich früh als Student für Spanisch und Serbokroatisch eingeschrieben. Mit Fremdsprachenkenntnissen hatte er beim sowjetischen Geheimdienst KGB anheuern wollen. Doch der berühmt-berüchtigte Nachrichtendienst wollte ihn nicht, schickte ihn wieder fort. Aber Trubnikow brauchte dringend Arbeit. In der Not gründete er eine Wodka-Destillerie, suchte sich dafür aber den denkbar schlechtesten Zeitpunkt aus. Es war Ende der 1990er-Jahre, das Land steckte in einer tiefen Rezession, und die Wodkapreise waren im Keller. Das Ende war vorgezeichnet: Konkurs.

Doch wenn Andrej Trubnikow etwas gelernt hat, dann nie aufzugeben. Er besaß noch eine unverwüstliche Wolga-Limousine aus guter alter sowjetischer Produktion, sein letztes Hab und Gut. Für umgerechnet 4400 Euro verkaufte er den Wagen und investierte das Geld umgehend in eine stillgelegte Spülmittelfabrik außerhalb Moskaus. Schon damals kam ihm die Idee, Kosmetika herzustellen aus Pflanzen, wie sie in dieser Form nur in Sibirien vorkommen. Und sind diese Pflanzen nicht, genau wie er, zu hoher Anpassungsleistung gezwungen, weil sie unter extremen Bedingungen wachsen müssen?

Andrej Trubnikow wird ein bisschen pathetisch. "In Chakassien, einem unserer Standorte, an dem wir Naturstoffe anbauen, kann es im Sommer bis zu 40 Grad heiß werden", erklärt er, "und im Winter mehr als 40 Grad kalt." Die Vegetation könne bei so extremen Temperaturunterschieden nur überleben, wenn sie viel robuster sei als die Flora in gemäßigten Breiten. Das sei den Pflanzen auch anzusehen: "Sanddorn ist in der Regel gelb-orange", sagt er, in Sibirien dagegen sei er "stechend rot". Wie eine wärmende Sonne, die Gesundheit und Schönheit verheißt.

Im Sommer heiß, im Winter eiskalt: Der KGB wollte ihn nicht, da verkaufte er sein letztes Hab und Gut, und irgendwann kam ihm die Idee: Firmengründer Andrej Trubnikow.

Der KGB wollte ihn nicht, da verkaufte er sein letztes Hab und Gut, und irgendwann kam ihm die Idee: Firmengründer Andrej Trubnikow.

(Foto: Olga Tuponogowa-Wolkowa)

Schönheit ist Russlands Frauen offenkundig besonders viel wert. "Russinnen im Alter zwischen 20 und 60 geben bis zu 30 Prozent ihres Einkommens für Kosmetika, Parfums und die Behandlung in Schönheitssalons aus", sagt Anna Ditschewa, bis vor Kurzem war sie stellvertretende Vorsitzende des Russischen Parfümerie- und Kosmetik-Verbandes RPKA. Kein Wunder, dass Trubnikows Produkte ihre Käuferinnen finden. Am Anfang vertrieb er sie unter der Marke "Die Rezepte der Großmutter Agafia". Darunter firmieren die günstigen Produkte, die sich Russen leisten können. Agafia Likowa heißt eine gläubige Eremitin, die - inzwischen 74 - seit mehr als 30 Jahren allein in der chakassischen Taiga lebt. Die Marke trägt noch heute 40 Prozent bei zum Umsatz von Trubnikows Konzern Perwoje Reschenije ("Erste Lösung").

Andrej Trubnikow hat lange in Moskau gelebt, er weiß, welche Sehnsüchte die unberührte Natur Sibiriens bei den Menschen in den grauen und überfüllten Plattenbausiedlungen russischer Großstädte weckt. So schaffte er es, die Russinnen als Kundinnen zu gewinnen. Das ist gar nicht so leicht, schließlich lieben sie besonders französische Kosmetikmarken. "Ich stehe ja eigentlich auf Chanel", sagt die Hotelangestellte Ljubow Kusmina, die sich gerade die Gesichtsmaske "Daurskaja" mit Kamillenextrakt gekauft hat, bei der Moskauer Filiale von "Die Rezepte der Großmutter Agafia". Doch Kusmina weiß auch: "In Frankreich wachsen halt nicht solche Beeren und Blüten wie in den Weiten unseres riesigen Landes."

"In unseren Filialen soll sich eine Frau wie eine Königin in ihrem Palast fühlen"

Und in seinen Läden zeigt sich Trubnikows besondere Begabung. Er wendet viel Mühe auf, den Kundinnen den Aufenthalt in den Filialen möglichst angenehm zu gestalten: "Das ist wirklich toll, wenn ich hier einkaufe, bekomme ich zur Begrüßung erst einmal eine kostenlose Tasse Tee serviert", sagt die Werbegrafikerin Alja Solowjowa. Sie ist in Natura Sibericas Flagship-Store in der Moskauer Innenstadt gekommen, hier in prominenter Lage auf der Einkaufsmeile Twerskaja. Natura Siberica, das ist Andrej Trubnikows Edelmarke. In dieser Filiale wird nicht nur sibirischer Kräutertee gereicht, man bekommt dazu kleine Gratis-Flaschen mit hautschonendem Öl aus sibirischen Zedern, frisch gepresst, versteht sich. Und noch einen Extra-Service bietet der Flagship-Store: Kostenlos können Kundinnen ihren Hauttyp feststellen lassen. Dann kann es schon mal etwas teurer werden. Wer genügend Geld hat, darf anschließend eine Pflegecreme ordern, die auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten ist, was natürlich seinen Preis hat: 50 Milliliter der Emulsion kosten 7500 Rubel, umgerechnet 100 Euro. Gewiss kein Produkt für alle.

Andrej Trubnikow weiß, warum die Kundinnen in seine Geschäfte kommen. "Eine russische Frau steht oft vor Problemen", sagt er. "Vielleicht muss sie für einen Hungerlohn in der Fabrik arbeiten oder ein bescheidenes Leben führen. Aber in unseren Filialen soll sie sich wie eine Königin in ihrem Palast fühlen, begehrt, und wie eine Frau. Und wenn sie wenig Geld hat, soll sie Produkte finden, die sie sich leisten kann."

2008 gründete Trubnikow seine Marke für die gehobenen Ansprüche, Natura Siberica. Die Produkte, so das Versprechen, enthalten keine künstlich hergestellten Farb- und Duftstoffe. Auch Tierfette sind verboten, zudem müssen die Inhaltsstoffe zum großen Teil aus biologisch kontrolliertem Anbau stammen. Westeuropäische Handelsverbände bürgen dafür mit Zertifikaten. Die Prüfer machen sich immer wieder in die Region Moskau auf, wo Natura Siberica drei Werke betreibt. Die größte Produktionsstätte liegt in Dmitrow, einem Ort mit 60 000 Einwohnern, eine Autostunde nördlich von Moskau.

Auf Bildern in seinen Büros ist Putin das häufigste Motiv

Im Sommer heiß, im Winter eiskalt: Drachenköpfe (Dracocephalum) auf einer Wiese in Chakassien. Die Pflanze ist für ihren Wohlgeruch bekannt.

Drachenköpfe (Dracocephalum) auf einer Wiese in Chakassien. Die Pflanze ist für ihren Wohlgeruch bekannt.

(Foto: Natura Siberica)

Das Werk liegt an der nördlichen Ausfallstraße Promyschlennaja Ulitsa, es reiht sich ein in das Ensemble trostloser Industrieanlagen. Selbst den Taxifahrern des Ortes ist die Adresse nicht auf Anhieb geläufig. Doch die Öko-Kontrolleure aus Westeuropa überzeugt anscheinend, was innerhalb des Fabrikgeländes passiert. Selbstbewusst sagt Alexander Stukalin, der technische Leiter des Werkes in Dmitrow: "Unsere Produktion wurde überprüft durch Organisationen zur Bio-Zertifizierung wie die französische Ecocert oder den Bundesverband deutscher Handels- und lndustrieunternehmen."

Natura Siberica treibt großen Aufwand, um auf seinen Biofarmen in Chakassien, Kamtschatka sowie auf den Inseln Sachalin und Kunaschir die Qualität der Rohstoffe sicherzustellen. Nur von Hand werden die Pflanzen geerntet. Bei der Suche nach Kräutern, die allein in der freien Wildnis zu finden sind, vertraut das Unternehmen ausschließlich Mitarbeitern, die der indigenen Bevölkerung angehören. Nur sie bringen jahrhundertealte Kenntnisse aus der Naturheilkunde mit. Und nur sie haben ein Gespür dafür, wann und wo man bestimmte Heilpflanzen findet. Eine ausgestopfte Kröte, die Firmenchef Trubnikow sich gern um den Hals hängt, soll das Bekenntnis zu diesem beinahe heiligen Wissen verkörpern. Die Kröte gilt in Sibirien als schamanisches Krafttier mit engem Bezug zu Mutter Erde.

Die Öko-Marke Natura Siberica ist für das gesamte Unternehmen enorm wichtig, erst sie ermöglich die Expansion in internationale Märkte, in Länder, in denen auch Durchschnittsbürger viel mehr Geld zur Verfügung haben als in Russland. Der Durchbruch im Auslandsgeschäft gelang vor etwa sieben Jahren. Aber noch immer entfällt der weitaus größte Teil des Umsatzes, 70 Prozent, auf die Heimat. In Russland unterhält Natura Siberica inzwischen landesweit 42 Filialen, dazu 40 Organic Shops, die auch Konkurrenzprodukte im Angebot haben. In der Holding Perwoje Reschenije hat Trubnikow alle Unternehmen zusammengefasst. 2017 setzten sie insgesamt 13 Milliarden Rubel um, das sind umgerechnet etwa 173 Millionen Euro, der Nettogewinn betrug 400 Millionen Rubel, also etwa 5,3 Millionen Euro.

Das Geschäft im Ausland stellt das Unternehmen vor große Herausforderungen, beispielsweise in Deutschland. Dort gibt es starke Wettbewerber wie die Filialisten dm oder Rossmann, sagt Anne Hubel. Als Direktorin leitet sie das internationale Geschäft bei Natura Siberica. Und sie musste erfahren, wie wenig experimentierfreudig die deutschen Verbraucher sind. "Wenn die sich einmal für ein Produkt entschieden haben", so Hubel, "ist es sehr schwer, sie von etwas anderem zu überzeugen." In Frankreich sei das leichter.

Aber da ist noch ein anderer Grund, warum das Auslandsgeschäft für Trubnikow von so großer Bedeutung ist. Wer nicht rasch genug expandiert, läuft in Russland Gefahr, von einem größeren Konkurrenten geschluckt oder mit rabiaten Methoden aus dem Markt gedrängt zu werden - oft genug geschieht das unter Ausnutzung korrupter Verbindungen in die örtliche Politik. Da kommt schnell mal die Gewerbeaufsicht, um unter einem Vorwand den Laden zu schließen. "Sschiratj" nennen die Russen das lakonisch. Heißt übersetzt: "Er wurde gefressen." In Wladimir Putins Russland gilt nicht selten das Recht des Stärkeren.

Eine Freundschaft im Geiste

Zu Wladimir Putin hat Andrej Trubnikow offenkundig ein enges Verhältnis, dafür sprechen die vielen Bilder, die an den Wänden seiner Büros hängen, Russlands Präsident ist das häufigste Motiv. Der Kremlchef ist in allen möglichen Posen zu sehen, manchmal surrealistisch oder expressionistisch verfremdet.

"Ich mag Putin", sagt Andrej Trubnikow, "weil er stets ein treuer Freund war, der immer zu seinen alten Bekannten gestanden hat, die er schon aus seiner Zeit in St. Petersburg kennt." Jeder in Russland weiß das: An den Schalthebeln der Macht, im Kreml, sitzen viele Leute, denen Wladimir Putin schon seit Jahrzehnten vertraut.

Und wie ist es bei Andrej Trubnikow? Kennt er Putin ebenfalls aus St. Petersburg? Nein, er kenne ihn nicht persönlich, sagt er. Aber manchmal funktioniert Freundschaft eben auch anders, gewissermaßen eine Freundschaft im Geiste.

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