Im Hungerstreik:Ein Gipfel - und zwar sofort

Milchbäuerinnen hungern vor dem Kanzleramt. Sie wollen erst weichen, wenn Angela Merkel ihnen verspricht, für bessere Preise zu kämpfen.

Daniela Kuhr, Berlin

Noch sieht Elfriede Lehmann eigentlich ganz fit aus. Ein von der Sonne gebräuntes Gesicht, rote Wangen und eine drahtige Figur. Zwar schält sich die 37-Jährige gerade mitten am Tag aus ihrer Wolldecke und erhebt sich umständlich von einer Isomatte, doch es war nicht etwa ein Schwächeanfall, der sie niedergerafft hatte. Nein, der Fotograf einer Boulevardzeitung hatte sie gebeten, sich kurz hinzulegen.

Milchbäuerinnen Hungerstreik Berlin, ddp

Hungern für den Gipfel: Milchbäuerinnen in Berlin machen der Bundeskanzlerin ihr Anliegen klar.

(Foto: Foto: ddp)

Vermutlich macht so ein Foto einfach mehr her: Eine Hungerstreikende muss liegen, ein wenig schwächlich wirken und am besten noch frieren. Deshalb die Isomatte, deshalb die Decke. Das Bild mag gestellt sein, völlig erlogen ist es nicht. Jetzt, bei strahlendblauem Himmel und Sonnenschein ist es zwar wunderbar warm in Berlin. Doch in der Nacht zuvor hatte es gerade mal zwei Grad. "Ich habe mir alles angezogen, was ich dabei habe", sagt Elfriede Lehmann, "und trotzdem war es noch wahnsinnig kalt."

Schlafen im Freien

Lehmann hat die Nacht unter freiem Himmel geschlafen, wie 200 andere Milchbäuerinnen. Aus ganz Deutschland sind sie angereist und kampieren, zum Teil in wechselnder Besetzung, seit Montag auf einer Wiese nahe des Bundeskanzleramts. Warum nur Frauen?

"Unsere Männer engagieren sich bereits so häufig. Wir hatten das Gefühl, dass wir Frauen jetzt auch einmal ein Zeichen setzen müssen", sagt eine Bäuerin aus Brandenburg. Das Aufschlagen von Zelten hat die Polizei verboten. Es sei eine Liegewiese, kein Campingplatz. "Daher schlafen wir jetzt halt im Freien", sagt Lehmann.

Viel ist es nicht, was die Bäuerinnen fordern: nur ein Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit Vertretern von Banken und Industrie habe sie doch auch gesprochen. "Sind wir ihr denn egal?", fragt Lehmann. Merkel soll versprechen, auf europäischer Ebene einen Milchgipfel einzuberufen.

Dramatische Situation

Die Landwirte befinden sich in einer dramatischen Situation. Der Preis, den sie für den Liter Milch erhalten, fällt seit Monaten. "Bei der letzten Abrechnung habe ich nur noch 23 Cent bekommen", sagt Lehmann. "Um kostendeckend arbeiten zu können, müssten es mindestens 40 Cent sein."

Zwar hat CSU-Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner ihnen bereits versprochen, sich dafür einzusetzen, dass sie EU-Gelder früher bekommen als sonst und auch besser mit Krediten versorgt werden. Doch in den Augen der Bäuerinnen ist das ein Witz: "Wovon soll ich den Kredit denn zurückbezahlen?", fragt eine Landwirtin aus Niedersachsen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Ausweg die Milchbäuerinnen vorschlagen - und wieso sie von der Bundeskanzlerin zutiefst enttäuscht sind.

Tränen wegen Merkel

Nach Ansicht der Milchbauern gibt es nur einen einzigen Weg aus der Krise: Die EU muss dafür sorgen, dass die Milchmenge auf dem Markt flexibel an die Nachfrage angepasst wird. Nur dann lasse sich der Preis stabilisieren. Und nur dann lasse sich verhindern, dass schon bald jeder dritte Betrieb schließt.

Vier Tage kampieren die Frauen bereits beim Kanzleramt. Gesehen aber haben sie Merkel nur ein einziges Mal: als sie gerade aus einem Auto stieg. Prompt stimmten die Bäuerinnen ein Lied an: "Schwester Angie, Schwester Angie, hörst du nicht?", sangen sie im Kanon zur Melodie von "Bruder Jakob". "Hörst du nicht die Bauern, hörst du nicht die Bauern, Milchpreis hoch, Milchpreis hoch." Doch Merkel habe sie keines Blickes gewürdigt, sagt Lehmann. "Sie ist einfach 20 Meter entfernt an uns vorbeigegangen, als seien wir Luft."

Das sei der Moment gewesen, in dem tatsächlich einigen der Frauen die Tränen gekommen seien. "Wir haben so viele Mühen auf uns genommen, um hierher zu reisen", sagt Lucia Egner, Landwirtin aus Oberbayern. "Daheim wartet doch jede Menge Arbeit, die nun andere erledigen müssen."

Hungerstreik bis Montag geplant

Und da halte Frau Merkel es noch nicht mal für nötig, kurz mit ihnen zu reden? Ihr Generalsekretär Ronald Pofalla sei da gewesen, auch Landwirtschaftsministerin Aigner und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer, doch die Bäuerinnen werden den Eindruck nicht los, dass es dabei vielleicht nur darum ging, schöne Fotos für den Wahlkampf zu bekommen.

Am Mittwoch legten sie deshalb nach: Sechs Frauen traten um Punkt 14 Uhr in den Hungerstreik. Bis Montag wollen sie durchhalten. Elfriede Lehmann ist eine von ihnen. 40 Kühe stehen bei ihr auf dem Hof im Schwarzwald. Dazu kommt das Jungvieh auf der Weide. Angestellte hat sie nicht. Die ganze Familie muss anpacken, ihr Mann, "Opa und Oma" sowie drei ihrer vier Kinder. Der Kleinste ist erst fünf. "Wir Erwachsenen arbeiten zwölf bis 16 Stunden täglich, und die Kinderhelfen vier bis sechs Stunden mit." Jeden Tag, auch am Wochenende.

Trotzdem liebt Lehmann ihren Beruf. "Wir sind damit aufgewachsen, mit der Landschaft, mit den Tieren. Das ist Heimat", sagt sie und nimmt einen Schluck Tee. "Ich kann das einfach nicht aufgeben." Auch Lucia Egner hat seit 24 Stunden nicht gegessen. "Noch geht es mit dem Hungergefühl." Sie verzieht das Gesicht. "Aber insgeheim hoffe ich doch sehr, dass Frau Merkel noch vor Montag hier auftaucht." Schließlich stamme sie aus einer Partei, die sich "christlich" nennt. "Und mit christlichem Verhalten hat dieses Ignorieren nun wirklich nichts mehr zu tun."

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