Süddeutsche Zeitung

Illegaler Metallhandel:Kupferdiebe klauen Kirchenglocken

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Heiliger Bimbam: In Deutschland werden immer mehr Kirchenglocken gestohlen. Bis in Kirchturmspitzen steigen die Diebe, um an das wertvollen Kupfer zu kommen. Dabei sollten die Gemeinden eigentlich vorgewarnt sein.

Von Kristina Läsker

Der Friedhof von Groß Ridsenow in Mecklenburg-Vorpommern liegt abseits vom Trubel. Seit Jahren wird hier niemand mehr bestattet, und so hatten es die Diebe leicht. Unbemerkt gelangten sie an der Kapelle vorbei zu dem kleinen Verschlag aus Holz.

Frei zugänglich schwang dort ein Schatz: eine mehr als 500 Jahre alte Glocke aus der Gießerei Mönkenhagen, geschätzter Wert: 20.000 Euro. Die Männer schraubten das Ding los, hievten die 600 Kilogramm auf einen Laster und brausten davon. "Es gibt Menschen, denen nichts heilig ist", klagt Pastor Thomas Kretschmann, aus dessen Gemeinde die Glocke geklaut wurde.

Was unglaublich klingt, kommt inzwischen häufiger vor. "In den letzten Monaten ist es verstärkt zu Glockendiebstählen gekommen", sagt Jan Hendrik Stens vom Deutschen Glockenmuseum in Gescher. Immer dreister gehen die Glockenräuber vor: In Hoogstede in Niedersachsen stahlen sie zwei historische Glocken, die den Eingang der evangelisch-reformierten Kirche säumten. In Halver in Nordrhein-Westfalen kletterten sie sogar den Kirchturm hinauf und schraubten die Glocke von einem Stahlträger ab.

Preise für Kupfer stiegen rasant

Gelockt werden die Diebe vom schnellen Geld: Eine Bronze-Glocke wie die aus Groß Ridsenow besteht überwiegend aus Kupfer - und der Wert dieses Metalles ist zuletzt stetig gestiegen. Noch vor zehn Jahren wurde das Kilogramm für 1,65 Dollar gehandelt, heute sind es bereits 8,10 Dollar und damit fast das Fünffache. Die Folge ist Kupferklau allerorten: Diebe montieren Oberleitungen der Bahn ab, sie klauen Regenrinnen von Dächern, und sie brechen auf Großbaustellen ein, um Kupferdraht zu entwenden. Nun sind Friedhöfe und Kirchen dran.

Häufig würden die Diebe in Mecklenburg und in Ostfriesland zugreifen, sagt Glockenexperte Stens. Der Grund: Hier stehen viele Glockenhäuser zu ebener Erde im Freien. "Da kommt man leichter ran." Auch die Kirchen haben jetzt erkannt, dass Beten allein ihre Kulturgüter wohl nicht mehr ausreichend schützen kann. Sie raten den Gemeinden dazu, historische Glocken wegzuschließen und frei hängende Glocken zwischen dem Läuten speziell zu sichern.

"Die Seele der Glocke ist für immer verschwunden"

In Groß Ridsenow hat das alles nichts geholfen - obwohl die Gemeinde vorgewarnt war. Bereits im Sommer hätten Diebe vergeblich versucht, die Glocke zu klauen, erzählt Pastor Kretschmann. Daraufhin hatte die Gemeinde beschlossen, das seltene Stück lieber in der benachbarten Kirche in Polchow aufzuhängen. Doch bevor es dazu kam, war sie verschwunden.

Inzwischen ist die Bronze-Glocke aus dem 15. Jahrhundert wieder aufgetaucht. Oder besser gesagt: Teile von ihr. Die Glocke war bei einem Schrotthändler im nahen Rostock gelandet. Dort hatten die Diebe ihre Beute für etwa 1600 Euro verhökert - ohne den wahren Wert zu kennen. Dabei waren sie von einer Überwachungskamera gefilmt worden.

Als der Händler schließlich vom Glockenklau hörte, meldete er sich bei der Polizei, doch da war es zu spät. Er hatte die Glocke bereits in viele Hundert Teile zertrümmert. Reparieren lässt sich das nicht - und dass gegen die vier mutmaßlichen Täter ermittelt wird, dürfte Liebhaber wie Stens kaum trösten: "Die Seele der Glocke ist für immer verschwunden."

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Quelle:
SZ vom 05.01.2013
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