Illegale Beschäftigung:Ausbeutung mit System

Illegale Beschäftigung: Zollfahnder kontrollieren eine Baustelle in Dachau danach, ob die Firmen für ihre Mitarbeiter Steuern und Sozialabgaben abführen oder den Mindestlohn zahlen.

Zollfahnder kontrollieren eine Baustelle in Dachau danach, ob die Firmen für ihre Mitarbeiter Steuern und Sozialabgaben abführen oder den Mindestlohn zahlen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Eine überlastete Justiz und eine tatenlose Politik begünstigen Schwarzarbeit. Experten schätzen, dass damit 340 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt werden.

Von Gianna Niewel und Klaus Ott

Das hier, sagt einer der Ermittler des Hauptzollamtes Rosenheim und reicht ein Blatt über den Schreibtisch, das sei ein klassischer Fall. Es handelt sich um die Aussage eines Bulgaren über schlimme Zustände auf einer Großbaustelle in München. Ein junger Landsmann von ihm sei mehrere Meter in die Tiefe gestürzt. Der schwer verletzte Bulgare und andere ebenfalls illegal beschäftigte Arbeiter aus Osteuropa seien von demjenigen, der die Schwarzarbeit organisiert habe, gleich außer Landes gebracht worden. Dem Geschäftemacher sei es wichtiger gewesen, sein kriminelles Treiben zu vertuschen, als den jungen Mann behandeln zu lassen. Der Bulgare sei angeblich gelähmt, notierten die Ermittler, die diesen Vorgang bearbeiteten. Ein drastischer Fall, aber kein Einzelfall, wie im Hauptzollamt Rosenheim zu erfahren ist. Die Ermittler dort schütteln den Kopf über die Zustände, die auf vielen Baustellen herrschen.

Die Bekämpfung von Schwarzarbeit, mit der nach Schätzungen von Experten rund 340 Milliarden Euro im Jahr umgesetzt werden, ist eine der Hauptaufgaben in den 43 Hauptzollämtern von Rosenheim bis Kiel. Dass Beschäftigte ausgebeutet werden, dass Sozialabgaben und Steuern hinterzogen werden, das kommt in diversen Branchen vor. Im Reinigungsgewerbe, bei Hotels und Gaststätten oder bei der Pflege. Aber nirgendwo ist die Lage wohl so schlimm wie auf dem Bau. Alleine hier soll die Schwarzarbeit 110 Milliarden Euro im Jahr ausmachen. Ganz egal, ob es sich um staatliche Projekte wie den neuen Berliner Flughafen oder private Objekte wie die neue Zentrale eines Konzerns handelt, illegal eingesetzte Arbeiter finden sich überall. Das ist in vielen Justizakten dokumentiert, und diese Erfahrung haben auch Ermittler aus Rosenheim gemacht, die tagtäglich versuchen, ein Gewirr aus Subunternehmen, Schwarzarbeitern und Scheinselbständigen aufzudröseln.

6700 Zöllner ermitteln bundesweit im Dauereinsatz gegen Schwarzarbeit

Die Rosenheim Zöllner erzählen von einem Serbo-Kroaten, der nur für zwei Arbeitsstunden täglich gemeldet und versichert gewesen sei. "Wer soll das denn glauben?" Auf dem Bau seien 50 Wochenstunden schon wenig, in der Regel werde viel länger gemauert und betoniert. Eine klassische Form der Verschleierung: Ein Teil des Gehalts erhalten die Arbeiter aufs Konto überwiesen. Der Rest wird bar ausgezahlt, oder auch gar nicht. Als der Serbo-Kroate eines Morgens auf die Baustelle gekommen sei, habe er den Arbeitgeber nicht mehr angetroffen. Sicher, das Gebäude war hochgezogen, aber dass er es war, der die Steine aufeinandergesetzt hatte, dazu fehlten dem Mann jegliche Beweise. Arbeitgeber weg, Geld weg.

Beim Zoll, der dem Bundesfinanzministerium untersteht, gibt es eine eigene Spezialtruppe für den Einsatz gegen diese Form der Wirtschaftskriminalität, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) mit immerhin 6700 Ermittlern. Es ist eine Art Feuerwehr im Dauereinsatz. Mit vielen Brandherden und wenig Löschwasser. Die FKS kommt kaum hinterher. Das liege nicht am Zoll, sondern an der Politik, glaubt Silvia Schmid, Geschäftsführerin der Bau-Innung Wasserburg-Ebersberg. Die bestehenden Vorschriften, sagt sie, müssten konsequent eingehalten werden. Nur so ließen ich bessere Brandmauern gegen die Schwarzarbeit schaffen. Doch Bundesregierung und Bundestag zögen nicht mit. Eines der Hauptprobleme sind die vielen Subunternehmen, die sich kaum kontrollieren lassen. Bei größeren Projekten holt sich in der Regel ein Hauptauftragnehmer mit einem billigen Angebot den Zuschlag und verteilt dann die Arbeit weiter. An Subunternehmen, die weitere Subunternehmen einschalten, die teils aus dem Ausland stammen und sich billigster Hilfskräfte vor allem aus Osteuropa bedienen.

Hinzu kommt eine teilweise überlastete Justiz. Bei der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Berlin liegt seit mehr als eineinhalb Jahren eine 15-seitige Anklage, in der kurz und knapp ein drastischer Fall von Schwarzarbeit am Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI) beschrieben wird. Jenem Flughafen, der dem Staat gehört, der in dessen Auftrag geplant und gebaut wird, der seit Jahren nicht fertig wird und der die Steuerzahler immer mehr Geld kostet. Einem Flughafen, bei dem nach Erkenntnissen von Zollfahndern und Staatsanwälten an der falschen Stelle gespart wurde. Den Zuschlag für die Roharbeiten am Terminal hatte eine Firma B. bekommen, die ihrerseits zahlreiche Subunternehmer mit Betonier-, Schalungs- und Eisenflechtarbeiten beauftragte. Darunter die Stahlfirma I., deren zwei Chefs nunmehr angeklagt sind, Sozialversicherungsbeiträge und Steuern hinterzogen zu haben. Gesamtschaden laut Anklageschrift: mehr als vier Millionen Euro.

Die Berlin-Brandenburger Flughafengesellschaft beteuert, man habe mitnichten Schwarzarbeit in Kauf genommen. Vielmehr habe man vor Beginn des Baus ein "rigides Regime aufgesetzt", um dem vorzubeugen. Vor etwaiger "krimineller Energie Einzelner" sei man aber nicht gefeit, so die Flughafengesellschaft. Der Zoll hat indes Fehler im System gefunden. Nach Erkenntnissen der Fahnder bediente sich der Generalauftragnehmer B. nicht nur der Stahlfirma I., sondern schaltete insgesamt acht Subunternehmen ein. Darunter zwei Firmen aus Rumänien und drei Betriebe, gegen die andernorts schon ermittelt wurde. In Berlin wurden dann gegen alle acht Subunternehmer Verfahren eingeleitet.

Das ist einem Bericht des Hauptzollamts Potsdam zu entnehmen. Darin steht, die Schwarzarbeit sei angesichts der niedrigen Baupreise einkalkuliert gewesen. Doch ein Prozess bleibt den beiden Chefs der Stahlfirma I, die angeklagt sind, wohl noch lange erspart. Die zuständige Strafkammer ist stark ausgelastet und muss nach Angaben des Landgerichts Berlin vorrangig andere Verfahren bearbeiten. Der Schwarzarbeiter-Fall kann warten. Solche Zustände ärgern Zöllner und Steuerfahnder, die mit viel Energie ermitteln. Und die dann, wie sie sagen, zusehen müssten, wie ihre Erkenntnisse im "Flaschenhals Justiz" stecken blieben.

Gerade in Berlin komme das immer wieder vor, schimpft ein Fahnder, der seit vielen Jahren die Schwarzarbeit am Bau bekämpft. Und sich zusammen mit Kollegen schon ebenso lange vergeblich bemüht, die Politik zum Handeln zu bewegen, mit zwei eigentlich recht einfachen Vorschlägen. Generalauftragnehmer sollten verpflichtet werden, von ihren Subunternehmern 20 Prozent der vertraglich vereinbarten Summe einzubehalten, als Pauschale für die fälligen Steuern und Sozialversicherungen. Das schrecke Betrüger ab, weil deren Rechnung nicht mehr aufgehe, so die eine Idee der Ermittler. Doch das Bundesarbeitsministerium ist wenig begeistert. Pauschale Vorauszahlungen würden zu viel Bürokratie führen, weil hinterher alles genau abgerechnet werden müsste. Und Manipulationen wären weiterhin möglich, sagt das Ministerium. Auch der zweite Vorschlag aus Ermittlerkreisen, keine Subunternehmer-Ketten mehr zuzulassen, stößt bei der Regierung auf wenig Gegenliebe. Dem stünden bei EU-weiter Ausschreibungen die Vorgaben aus Brüssel entgegen, erklärt das Bauministerium. Und national gebe es genügend Möglichkeiten, "uferlose Subunternehmerketten" einzuschränken oder zu kontrollieren.

Steuerfahnder und Zöllner erleben täglich das Gegenteil. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu ermitteln. Beim Landgericht München liegt seit Februar 2015 eine Anklage gegen acht Geschäftsleute, die einen der wohl größten Schwarzarbeiter-Ringe seit Jahren im deutschen Baugewerbe betrieben haben sollen. Die acht Beschuldigten saßen in Untersuchungshaft, sie haben weitgehend gestanden. Einer von ihnen ist bereits 2011 vom Landgericht Potsdam zu Gefängnis auf Bewährung verurteilt worden, wegen Beihilfe zum Vorenthalten von Arbeitslohn. Er hatte als Buchhalter Schwarzarbeit ermöglicht. Das Gericht glaubte, der Bürokaufmann werde dies als "Warnung" betrachten und nicht mehr gegen Recht und Gesetz verstoßen. Das war offenbar eine Fehleinschätzung, doch so schnell wird dem Buchhalter wegen der neuen Anklage wahrscheinlich nichts passieren. Ein Prozess ist auch in München nicht in Sicht.

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