Süddeutsche Zeitung

IG Metall will sechs Prozent mehr Lohn:Die Forderung ist richtig

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Der Aufschwung ist nicht bedroht, wenn die Gewerkschaft sechs Prozent mehr fordert. Der Abschluss muss aber flexibel sein.

Thomas Öchsner

Die deutschen Arbeitnehmer sind sehr bescheidene Menschen. In keinem westlichen Industrieland wird so wenig gestreikt wie in der Bundesrepublik. Die Reallöhne sind seit zehn Jahren nicht gestiegen, ohne dass es zu Massenprotesten kam. Und in der weltweiten Wirtschaftskrise zeigten sich die Arbeitnehmer hierzulande besonders demütig. Sie akzeptierten Kurzarbeit, verzichteten auf Geld und halfen so, die Betriebe und ihre Arbeitsplätze zu erhalten.

Nur so konnte die Exportnation Deutschland so gut aus der Krise starten, dass in den Vereinigten Staaten schon von Germany's Superman Economy die Rede ist. Es ist deshalb verständlich, wenn die Gewerkschaften das Ende des Maßhaltens ausrufen. Die sechs Prozent mehr Lohn, die jetzt die IG Metall für die Stahlarbeiter fordert, bedrohen nicht den unverhofft starken Aufschwung.

Die Stahlindustrie gehört in der Tarifpolitik zur Speerspitze. Was die größte Einzelgewerkschaft Europas hier verlangt, prägt andere Lohnrunden. Nun klingen sechs Prozent, gemessen an einer Inflationsrate von zuletzt 1,2 Prozent, nach ziemlich viel. Tatsächlich haben die Arbeiterführer vernünftig gerechnet. In der Vergangenheit blieb von der Forderung meist die Hälfte übrig. Macht etwa drei Prozent oder diesmal vielleicht ein paar Zehntel mehr. Damit bewegt sich die Gewerkschaft auf keinem zu hohen Niveau. Schließlich sollten die Lohnzuwächse dem Anstieg der Arbeitsproduktivität entsprechen und höhere Lebenshaltungskosten ausgleichen.

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn

Auch die Forderung der IG Metall, die Situation der Leiharbeiter in der Stahlbranche zu verbessern, ist richtig: Immer mehr Unternehmen setzen diese Mitarbeiter zweiter Klasse ein, um ihre Lohnkosten zu drücken, statt damit den schwankenden Arbeitsanfall abzudecken. Ein Anrecht auf den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit nach einer gewissen Einarbeitungszeit würden diesen Missbrauch eindämmen. Solange die Bundesregierung dagegen keine gesetzlichen Schutz einzieht, müssen Gewerkschaften und Betriebsräte versuchen, fairere Regeln durchzusetzen.

Trotzdem gibt es in den kommenden Lohnrunden ein Problem: Keiner weiß, ob die Krise wirklich überwunden ist. Die Tarifparteien sollten deshalb ein kräftiges Plus für die Arbeitnehmer mit einem starken Schuss Flexibilität verbinden. Das können zum Teil Einmalzahlungen sein oder Härtefallregelungen für Unternehmen, die solche Lohnerhöhungen nachweislich nicht bezahlen können.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2010
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