Nun ist die Zahl also da: sieben Prozent. So viel mehr Geld verlangt die IG Metall für die knapp vier Millionen Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie. Die Gehälter der Auszubildenden sollen um 170 Euro monatlich angehoben werden; außerdem will die Gewerkschaft flexiblere Arbeitszeitmodelle durchsetzen. Offiziell handelt es sich bei dem Forderungspaket noch um eine Empfehlung des IG-Metall-Vorstands, die Gremien der Gewerkschaft müssen es in den kommenden Wochen noch beschließen – doch das ist nur eine Formalie.
Klar ist damit das Signal, das von der größten Tarifrunde in Deutschland in diesem Jahr ausgehen wird: Die Zeiten der hohen Inflation wie 2022 und 2023 mögen zwar passé sein. Die Auseinandersetzungen um höhere Löhne zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern aber werden konfrontativ bleiben, Streikgefahr inklusive. Südwestmetall, der Verband der einflussreichen baden-württembergischen Arbeitgeber, hat bereits entschiedenen Widerstand angekündigt, falls die IG Metall ein deutliches Lohnplus fordern sollte. Genau das tut die Gewerkschaft nun.
Die IG Metall argumentiert damit, dass die Härten der Hochinflation – 2022 und 2023 hatte die Teuerung zusammengerechnet knapp 13 Prozent betragen – für die Arbeitnehmer keineswegs ausgestanden seien. „Sie spüren die Teuerungswelle überall“, sagte Gewerkschaftschefin Christiane Benner kürzlich der SZ. Etwa „im Supermarkt, wo sie für das gleiche Geld 20 Prozent kleinere Packungen kriegen, bei den gestiegenen Mieten“. Manche bekämen außerdem „riesige Abrechnungen der Energiekosten vom vergangenen Jahr“, so Benner.
Die IG Metall hatte Ende 2022 Gehaltserhöhungen von 8,5 Prozent herausgehandelt. Hinzu kam eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro. Da die Prämie nur einmal gezahlt wurde, bleibe unter dem Strich im Vergleich zur Inflation eine Lücke im Geldbeutel, argumentiert die Gewerkschaft.
In Sachen flexiblere Arbeitszeit will die IG Metall die bestehenden Modelle weiterentwickeln. Bisher können Schichtarbeiter, die Kinder oder Pflegebedürftige betreuen, eine Sonderzahlung, genannt T-Zug, in bis zu acht zusätzliche freie Tage umwandeln. Künftig sollen auch andere Schichtarbeiter dieses Modell in Anspruch nehmen können – etwa wenn sie sich ehrenamtlich betätigen wollen. So will die IG Metall das gesellschaftliche Engagement stärken – auch unter dem Eindruck des Zuwachses rechter Parteien bei der Europawahl.
Arbeitgeber beklagen „hohe Arbeitskosten“ und wollen „eine Null“
Den Arbeitgebern dürfte das Forderungspaket aufstoßen. Aus dem Auto-Land Baden-Württemberg war in der vergangenen Woche die Forderung zu hören, die Löhne dieses Mal überhaupt nicht anzuheben. „Auch wenn das einen Aufschrei gibt: Die richtige Zahl in der Lohnentwicklung wäre eine Null“, sagte Harald Marquardt, Verhandlungsführer in Baden-Württemberg. Die Gewerkschaft fühlt sich dadurch provoziert. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer“, erklärte IG-Metall-Chefin Benner.

Exklusiv Löhne:„Das ist ein Schlag ins Gesicht der Arbeitnehmer“
Eine Nullrunde bei den Löhnen? IG-Metall-Chefin Christiane Benner findet die Forderung respektlos. Die Beschäftigten seien zum Streik für deutlich mehr Geld bereit. Benner kündigt auch eine Initiative gegen den Rechtsruck an.
Auch im Arbeitgeber-Lager sind nicht alle über Marquardts Vorstoß begeistert, weil er die Fronten in der Tarifrunde gleich zu Beginn verhärtet hat. Die Einschätzung, dass die wirtschaftliche Lage schlecht ist, teilen die meisten Unternehmen aber. „Die Metall- und Elektro-Industrie befindet sich weiterhin in der Rezession“, erklärte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf am Montag. „Die genannten Vorstellungen der Gewerkschaft klingen aber, als ob wir uns in einem wirtschaftlichen Boom befinden.“ Dabei sind man sich doch mit der IG Metall einig, dass derzeit viel zu viele Standort- und Investitionsentscheidungen gegen den Standort Deutschland ausfielen. „Bei allem Verständnis für die Anliegen unserer Beschäftigten kommt es gerade jetzt darauf an, den Standort zu stärken. Ich hoffe, die Gremien der IG Metall nutzen die weiteren Beratungen, um zu einer realistischeren Einschätzung der Lage zu kommen.“
Harald Marquardt aus Baden-Württemberg beruft sich auf eine Umfrage unter den Unternehmen des Verbands, wonach 91 Prozent „hohe Arbeitskosten“ als besonders belastend für ihr Geschäft sehen. Damit ist die Lohnfrage aus ihrer Sicht noch drängender als Steuerlast, Energiepreise und Bürokratie. „Wir haben ein Kostenthema, vor dem wir nicht die Augen verschließen können“, sagt Marquardt.
Richtig ernst wird es im September
Die letzte Tariferhöhung in der Metallbranche 2022 von 8,5 Prozent plus Inflationsprämie gleiche nach seiner Analyse die Preissteigerungen zum größten Teil aus. Zudem gehe die Inflation zurück. Wenn die IG Metall Lohnsteigerungen mit Einbußen der Beschäftigten begründet, habe sie keine Argumente.
Fast 40 Prozent der Unternehmen rechneten mit einer Umsatzrendite von unter zwei Prozent. Ein hoher Lohnabschluss könne dazu führen, dass Unternehmen noch stärker im Ausland produzierten als in Deutschland. Von den Betrieben, die zunehmend im Ausland investierten, gaben demnach fast 90 Prozent die Arbeitskosten als Grund dafür an.
Richtig ernst wird es im September, dann treffen sich Arbeitgeber und IG Metall zu den ersten Tarifverhandlungen. Sie finden auf regionaler Ebene in den einzelnen Gewerkschaftsbezirken statt, etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Traditionell wird in einem der einflussreichen Bezirke ein Pilotabschluss ausgehandelt, der dann auf den Rest von Deutschland übertragen wird. In der Vergangenheit übernahmen vor allem Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen diese Führungsrolle. Deshalb haben die Einlassungen der dortigen Gewerkschafts- und Arbeitgeberchefs besonderes Gewicht. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass in diesem Jahr einer der jüngeren, ehrgeizigen Funktionäre aus einem anderen Gewerkschaftsbezirk den Pilotabschluss aushandeln will.
Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober. Danach sind Warnstreiks zulässig. Die IG Metall hat bereits klargemacht, dass der Arbeitskampf auch dieses Mal für sie eine Option ist. „Wenn nötig, streiken wir intensiv“, sagte Gewerkschaftschefin Benner in der vergangenen Woche der SZ. Man sei „selbstverständlich auf alles vorbereitet“. Nicht nur auf kürzere Warnstreiks, sondern auch auf einen längeren Arbeitskampf inklusive Urabstimmung, der in einen unbefristeten Streik münden könnte.