Gewerkschaft:IG Metall will Aufbruch nach langem Gezerre

Gewerkschaft: Die IG Metall, größte deutsche Gewerkschaft, soll eine neue Führung bekommen. Hier ein Streik beim Windanlagenhersteller Vestas im Januar.

Die IG Metall, größte deutsche Gewerkschaft, soll eine neue Führung bekommen. Hier ein Streik beim Windanlagenhersteller Vestas im Januar.

(Foto: Bodo Marks/dpa)

Christiane Benner soll die größte deutsche Gewerkschaft führen. Damit käme erstmals überhaupt eine Frau an der Spitze. Die IG Metall möchte Monate der Turbulenzen hinter sich lassen.

Von Alexander Hagelüken

Beim Sommerfest der IG Metall 2022 in Berlin steckten die drei an einem Foodtruck die Köpfe zusammen: die Vorstände Christiane Benner und Jürgen Kerner sowie der bisherige Vorsitzende Jörg Hofmann. Als sie gar so lange tuschelten, witzelte ein Beobachter: "Die drei machen gerade aus, wer künftig an der IG-Metall-Spitze steht."

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei es genau so gekommen: Der Vorstand der größten deutschen Gewerkschaft nominiert Christiane Benner, 55 Jahre, als Nachfolgerin des altersbedingt scheidenden Jörg Hofmann. Ihr soll der bisherige Finanzchef Jürgen Kerner, 54, als zweiter Vorsitzender zur Seite stehen. Geplant war das Ganze aber in Wahrheit völlig anders. Hinter der IG Metall liegen Monate des Durcheinanders, aus denen sie jetzt einen Aufbruch versucht.

Wenn die Kongressdelegierten das neue Führungsduo im Herbst wählen, wäre das für die Organisation mit 2,2 Millionen Mitgliedern ein historischer Schritt: Erstmals seit der Gründung vor 132 Jahren würde die einflussreiche Industriegewerkschaft von einer Frau geführt. Christiane Benner amtiert seit 2015 als Zweite Vorsitzende, eine Art Stellvertreterin Hofmanns mit erweiterten Kompetenzen. Die Soziologin arbeitet seit 25 Jahren bei der Gewerkschaft. Sie hat sich zuletzt stark darum gekümmert, der männlich dominierten Arbeiterorganisation neue Mitglieder etwa unter Angestellten zu werben. SPD-Mitglied Benner versuchte auch, die Politik zu einer Ausweitung der Mitbestimmung in Betrieben zu bewegen.

Gewerkschaft: Christiane Benner soll Jörg Hofmann (Mitte) als neue Chefin der IG Metall nachfolgen. Der Finanzchef Jürgen Kerner (rechts) wird an Benners Seite Zweiter Vorsitzender.

Christiane Benner soll Jörg Hofmann (Mitte) als neue Chefin der IG Metall nachfolgen. Der Finanzchef Jürgen Kerner (rechts) wird an Benners Seite Zweiter Vorsitzender.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Mit dem neuen Führungsduo Benner als Chefin und Jürgen Kerner als Zweitem Vorsitzenden will die Gewerkschaft die Turbulenzen der vergangenen Monate hinter sich lassen. Für den Top-Posten gab es zwei gesetzte Kandidaten - Kerner zählte nicht dazu. Stattdessen: Christiane Benner und Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter im Auto-Herzland Baden-Württemberg, der 2022 durch einen spektakulären bundesweiten Lohnabschluss seine Ansprüche untermauerte. Noch-Chef-Hofmann wollte unbedingt einen Machtkampf zwischen den beiden Kandidaten verhindern. Ein ähnliches Tauziehen zwischen zwei starken Kandidaten hatte die Gewerkschaft vor zwei Dekaden jahrelang gespalten.

Hofmann schlug vor, die Satzung der IG Metall zu ändern, um Benner und Zitzelsberger zu einer gleichberechtigten Doppelspitze zu machen. Beide Kandidaten rauften sich zusammen und stimmten so einer Teamlösung zu. Doch wie die SZ Ende März berichtete, fiel diese Satzungsänderung im Vorstand durch. Kritiker erklärten beispielsweise, eine solche Änderung verschaffe Zitzelsberger einen Karriereturbo. Damit galt Benner als eindeutig für den Chefjob favorisiert. Intern erklärte sie, sie wolle die Gewerkschaft auch ohne formelle Doppelspitze im Team mit Zitzelsberger führen. Nominell wäre ihm jedoch nur der Vizetitel geblieben.

Zitzelsberger, der zum Zeitpunkt der kontroversen Vorstandssitzung erkrankt war, zog Mitte April plötzlich seine Kandidatur für die Spitze zurück. Der 56-Jährige begründete das mit seiner angeschlagenen Gesundheit. Nach der heftigen Tarifrunde und "einer Vielzahl an schwierigen Themen" sei es zu einer ernsten Überlastungsreaktion gekommen. Er will stattdessen Bezirksleiter bleiben.

Ein Bonbon für Baden-Württemberg

Der Rückzug von Zitzelsberger weckte Befürchtungen, es komme doch noch zu Machtkämpfen um die Nachfolge - oder es dauere unangemessen lange, einen Partner für Benner zu finden. "Der Vorstand hat keinen Plan B", sagte ein Insider. "Wir dürfen jetzt nicht erleben, was beim Deutschen Gewerkschaftsbund passierte." Beim Dachverband der Gewerkschaften zog sich die Nachfolge über ein Jahr hin. Dabei verhinderte Verdi-Boss Frank Werneke die Berufung von Michael Vassiliadis, Chef der Schwestergewerkschaft IG Chemie, was diesen öffentlich bloßstellte.

Nachdem Zitzelsbergers Rückzug ein Führungsvakuum hinterließ, wurden mehrere Namen für den Posten gehandelt. Darunter einige der mächtigen Regionalchefs, also der Kollegen Zitzelsbergers in anderen Bezirken. Der jetzt nominierte Kerner galt da bereits als ein möglicher schneller Ersatz für den Nummer Zwei Job.

Ihm soll als neue Finanzchefin Nadine Boguslawski folgen, bisher Geschäftsführerin der Gewerkschaft in Stuttgart. Die Berufung der 45-Jährigen verdankt sich ihrer Dynamik und verjüngt den Vorstand. Sie ist auch als Zugeständnis an den mächtigen Bezirk Baden-Württemberg zu werten, der sich mit Zitzelsberger Hoffnungen auf den Topjob gemacht hatte. Nach dessen Rückzug gab es Befürchtungen, die baden-württembergischen Delegierten könnten auf dem Gewerkschaftstag Stimmung gegen die Spitze um Benner machen. Der Kongress soll nicht nur eine neue Führung wählen, sondern auch entscheiden, dass der geschäftsführende Vorstand der Organisation von sieben auf fünf verkleinert wird.

Kerner kommt aus mehreren Gründen als schneller Ersatz für Zitzelsberger infrage. Er gilt als umgänglich und beliebt. Als Finanzchef der Gewerkschaft arbeitet er bereits in der Zentrale in Frankfurt und hat mit vielen Vorgängen zu tun. Zudem ist er für Branchenpolitik zuständig und damit für wichtige Industrien. Kerner sitzt etwa in den Aufsichtsräten von Siemens, MAN und Thyssenkrupp. Nachdem er mit 35 Geschäftsführer der IG Metall in seiner Heimatstadt Augsburg wurde, machte er eine steile Karriere. Bereits 2011 rückte er in den Vorstand auf - wie Christiane Benner, mit der er nun das Führungsduo der IG Metall bilden soll. Sie arbeiten lange zusammen und haben sich oft gesehen, nicht nur am Foodtruck beim Sommerfest vergangenes Jahr in Berlin.

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