Süddeutsche Zeitung

IG-Bau-Chef Wiesehügel:"Es gibt keinen Grund für Krisengeheul"

Lesezeit: 4 min

Klaus Wiesehügel, der Vorsitzende der IG BAU über selbstbewusste Lohnforderungen in Zeiten der Wirtschaftskrise und die Konjunkturhilfen der Regierung.

S. Haas

Lohnforderung von sechs Prozent findet Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) moderat. Die Auftragsbücher der Firmen seien voll. Eine Krise am Bau gebe es nicht. Am 5. März beginnen die Tarifverhandlungen für die etwa 700.000 Beschäftigten der Bauwirtschaft.

SZ: Herr Wiesehügel, sechs Prozent mehr Lohn, und das mitten in der Wirtschaftskrise. Ist das nicht ein bisschen üppig?

Klaus Wiesehügel: Ganz und gar nicht. Einige Gewerkschaften fordern viel mehr, wie etwa Transnet bei der Bahn mit zehn Prozent. Da sind wir direkt moderat. Die Wirtschaftskrise ist von den Managern gemacht und nicht von den Arbeitnehmern. Warum sollten unsere Leute für deren Fehler büßen?

SZ: Es geht nicht ums Büßen, sondern darum, dass Lohnerhöhungen Geld kosten. Wenn Beschäftigte mit sechs Prozent mehr Geld in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, ist keinem gedient.

Wiesehügel: Also, eine Entlassungswelle sehe ich in unserer Branche nicht. Ein Lohnverzicht bringt uns in der Krise nicht weiter. Wenn der Export wegbricht, muss die Binnennachfrage gestärkt werden. Deshalb brauchen die Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche.

SZ: Wären Sie zu Zugeständnissen bereit, wenn die Wirtschaft weiter bergab rauscht?

Wiesehügel: Die Bauwirtschaft hat bereits eine über zehn Jahre andauernde Krise hinter sich. Wir haben seit 1995 die Hälfte der Arbeitsplätze verloren, das sind 600.000 Beschäftigte weniger. Heute sind die Auftragsbücher der großen Bauunternehmen bis Ende 2009 voll. Auch den Kleinen geht es nicht schlecht. Es gibt keinen Grund für Krisengeheul.

SZ: Das letzte Tarifergebnis wurde von einigen Arbeitgebern nur nach langem Zaudern akzeptiert. Wie verlässlich ist Ihr Sozialpartner?

Wiesehügel: Wir haben mit den Arbeitgebern gesprochen und ihnen gesagt, dass wir so etwas nicht noch einmal erleben wollen. Sie haben uns gesagt, dass sie ein Tarifergebnis zunächst intern diskutieren und dann mit einheitlicher Stimme nach außen gehen werden. Wir warten jetzt mal ab, was das in der Praxis bedeutet.

SZ: Welchen Stellenwert hat eine verlässliche Sozialpartnerschaft für Sie?

Wiesehügel: Sie hat eine große Bedeutung. Deshalb bedauere ich es außerordentlich, dass bei einigen Arbeitgebern das eigene Interesse stärker wiegt als das Wohl der Branche. Ich habe noch Zeiten erlebt, in denen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam verantwortlich fühlten für das wirtschaftliche Wohlergehen der Beschäftigten und der Unternehmen. Ziel der Tarifpartner war, dass man sich nicht überfordert. Diese Einstellung ist leider bei einigen Arbeitgebern verlorengegangen. Ich sage ganz ehrlich: Diejenigen, zu denen man auch als Gewerkschafter aufschauen konnte, sind äußerst selten geworden.

SZ: Woran liegt das?

Wiesehügel: Das hängt mit dem größeren Konkurrenzdruck zusammen und mit der letzten Krise in der Bauwirtschaft. Die ging ja nicht ohne Pleiten ab.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Kampf gegen die Schwarzarbeit.

SZ: Schwarzarbeit ist ein Dauerthema am Bau. Was machen die Sozialpartner, um die Schwarzarbeit einzudämmen?

Wiesehügel: Die IG BAU hat sich zum Beispiel massiv dafür eingesetzt, dass die Kontrollen effektiver werden. Wir haben uns jüngst auch sehr dafür stark gemacht, dass die Generalunternehmerhaftung nicht wegfällt. Das haben ja einige Arbeitgeber forcieren wollen.

SZ: Warum ist die Haftung des Generalunternehmers für Sie so wichtig?

Wiesehügel: Weil viele Bauunternehmer Subunternehmer beauftragen. Nach der Generalunternehmerhaftung steht ein Bauunternehmer für die ausstehenden Lohnzahlungen des Subunternehmers, für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge sowie für dessen Leistungen ein. Ein Arbeitnehmer des Subunternehmers kann somit seinen tariflichen Mindestlohnanspruch beim Generalunternehmer geltend machen. Wenn die Haftung des Generalunternehmers wegfiele, dann wäre es ihm egal, wen er als Subunternehmer beauftragt. Er würde auch nicht darauf achten, ob das einer ist, der Schwarzarbeit organisiert.

SZ: Die Bundesregierung fördert die Kurzarbeit, damit die Firmen in der momentanen Krise ihre Mitarbeiter nicht entlassen müssen. In der Bauwirtschaft gibt es seit einiger Zeit das Saison-Kurzarbeitergeld, damit die Bau-Arbeitgeber ihre Mitarbeiter im Winter halten. Wie wird dieses Instrument genutzt?

Wiesehügel: Über diesen Winter kann ich nichts sagen, weil noch keine Zahlen vorliegen. Im vorigen Winter wurde die Saison-Kurzarbeit von den Firmen aber sehr gut genutzt. Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit, die das Kurzarbeitergeld bezahlt, wurde die Arbeitslosenversicherung durch das Saison-Kurzarbeitergeld um 321 Millionen Euro entlastet. Wir haben einen Fonds eingerichtet, in den Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlen. Aus diesem Fonds bekommen etwa die Firmen die Sozialversicherungsbeiträge erstattet, die sie bei Kurzarbeit normalerweise weiter entrichten müssten. Damit ist das Saison-Kurzarbeitergeld für die Firmen nahezu kostenneutral. In der Bauwirtschaft ist dadurch die Arbeitslosigkeit im vorigen Winter um 35 Prozent zurückgegangen.

SZ: Sie sind mit dem zweiten Konjunkturpaket nicht ganz zufrieden. Warum?

Wiesehügel: Weil beispielsweise der Straßenbau und die Sanierung öffentlicher Gebäude, wie etwa Schulen, mit den Mitteln nicht uneingeschränkt finanziert werden können. Das ist bedauerlich.

SZ: Die Bauwirtschaft fordert ein spezielles Konjunkturpaket für den Wohnungsbau. Sehen Sie Nachholbedarf?

Wiesehügel: Ja, das sehen wir auch so. In vielen Ballungszentren gibt es zu wenig bezahlbare Wohnungen. Wir fordern deshalb, dass der Wohnungsbau steuerlich gefördert wird. Dabei handelt es sich um eine solide Anlagemöglichkeit.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Wiesehügel: Investitionszulagen sollte es nicht nur im Osten, sondern auch für Neubauten in Westdeutschland geben. Möglich wären auch staatliche Zuschüsse. Außerdem müssten die Abschreibungsmöglichkeiten verbessert werden. Früher hat die Versicherungswirtschaft in den Wohnungsbau investiert, weil man da Renditen bis zu vier Prozent erzielen konnte.

SZ: Im Herbst ist Bundestagswahl. Was ist Ihr Hauptanliegen?

Wiesehügel: Wir fordern, dass die neue Regierung die Überprüfungsklausel im Sozialgesetzbuch nutzt, um die Rente mit 67 im Jahr 2010 zu stoppen. Die Rente mit 67 bringt die Motivation der körperlich hart arbeitenden Menschen auf null und macht Handwerksberufe unattraktiv.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.481803
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.03.2009/mel
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.