Süddeutsche Zeitung

Baubranche:Die Zukunft so leuchtend, die Zukunft so dunkel

Lesezeit: 4 min

Mieten senken, klimaneutral werden - kaum eine Branche ist dafür so wichtig wie der Bau. Trotzdem strotzen die Handwerker und Arbeiterinnen nicht gerade vor Selbstbewusstsein.

Von Benedikt Peters, Kassel

In einem Saal in Kassel hängt ein Schild mit leuchtenden Buchstaben. "Auftrag Zukunft" steht dort rot auf weiß, darum herum hat jemand große und kleine schwarze Kreise hingetupft. Die Urheber mögen es anders gemeint haben, aber man braucht nicht viel Fantasie, um die Kreise als dunkle Wolken zu deuten. Die Zukunft, über die sie hier reden - für die einen ist sie rot, leuchtend, verheißungsvoll, für die anderen dunkel und bedrohlich.

Die IG Bau hat zum Gewerkschaftstag geladen, es ist, wegen Corona, der erste seit fünf Jahren. Ein geschäftiges Summen und Brummen liegt in der Luft, und immer wieder fällt dieser Satz: "Packen wir es an." Für die Zukunft, so viel ist klar, spielt die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, wie sie vollständig heißt, keine ganz unwichtige Rolle. Sie vertritt, unter anderem, die Fassaden-, Gleis- und Straßenbauer, die Maurerinnen und Isolierfacharbeiter, die Dachdecker und die Baustoffprüferinnen. Und noch etliche andere Bau- und Handwerksberufe, die in dieser Zeit so dringend gebraucht werden.

Es sind die Menschen, die zwei der ganz großen Versprechen der Bundesregierung maßgeblich mit umsetzen sollen: Da wäre erstens die ökologische Wende hin zur Klimaneutralität, die bis 2045 erreicht werden soll. Und zweitens das erklärte Ziel, die explodierenden Miet- und Immobilienpreise endlich in den Griff zu bekommen. Für beides muss viel, sehr viel gebaut und saniert werden: Gleise müssen verlegt und Häuser besser gedämmt werden. Außerdem sollen viele neue Wohnungen (mit möglichst klimafreundlichen Materialien) errichtet werden, um den Markt zu entzerren - 400 000 pro Jahr, so hat es sich die Ampel-Koalition zum Ziel gesetzt, davon 100 000 Sozialwohnungen.

Man könnte erwarten, dass sich hier eine Gewerkschaft trifft, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Der im Baugewerbe und im Handwerk besonders gravierende Fachkräftemangel macht die Beschäftigten zum seltenen Gut. Seltene Güter haben meist einen hohen Wert, aber für die Arbeitskräfte am Bau gilt das nicht immer. Da sind die vielen Arbeitgeber - nach Gewerkschaftsangaben etwa 40 Prozent - die nicht nach Tarif bezahlen. Die Beschäftigten, die Helfertätigkeiten verrichten und nicht gut verdienen, oft nur den Mindestlohn. Und da ist, natürlich, die große kriegsbedingte Krise, die längst auch diejenigen bedroht, die etwas mehr im Portemonnaie haben.

"Ich habe Angst vor dem Winter", sagt einer, der eigentlich nicht schlecht verdient

Zum Beispiel den Mann mit dem grauen Pferdeschwanz, der jetzt aufsteht und ans Mikrofon tritt. Für ihn besteht die Zukunft vor allem aus dunklen Wolken. Er arbeite als Polier auf dem Bau, sagt er, als Vorarbeiter also, er gehört zu denen mit den höheren Löhnen. Doch er sagt: "Ich habe Angst vor dem Winter."

Robert Feiger, der Chef der Gewerkschaft, der in Kassel im Amt bestätigt wurde, hat sich vorgenommen, etwas gegen die Angst seiner Leute zu tun. Er versucht, ihnen mehr Selbstbewusstsein einzuimpfen. Da ist zwar, einerseits, der Konjunkturrückgang am Bau, das Material ist knapp, die Zinsen sind wieder hoch. Anderseits gibt es eben die gigantische Lücke an Fachkräften, fast 200 000 Stellen waren zuletzt unbesetzt, viermal so viele wie vor zwölf Jahren. "Ihr seid gefragt", ruft Feiger in den Saal. "Wenn euch ein Arbeitgeber hinterfotzig behandelt, dann sucht euch einen anderen!" Um die Konjunktur am Laufen zu halten, fordert Feiger, der Bund solle den Sozialwohnungsbau zusätzlich ankurbeln, indem er die Mehrwertsteuer dafür auf sieben Prozent senkt.

Wobei sie hier natürlich wissen, dass Selbstbewusstsein auch bei vollen Auftragsbüchern nicht jedem hilft - den Fachkräften vielleicht, aber nicht den einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern, die wenig verdienen. Deshalb setzen die Gewerkschafter auch auf ein Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz aus dem dritten Entlastungspaket: Arbeitgeber dürfen bis zu 3000 Euro extra an ihre Beschäftigten ausschütten, steuer- und sozialabgabenfrei, brutto gleich netto. IG-Bau-Vorstand Carsten Burckhardt, der den kämpferischen Gewerkschaftssound gut beherrscht, formuliert die freundliche Bitte an die Arbeitgeber, dieses Instrument auch zu nutzen, so: "Unsere Beschäftigten haben durchmalocht und denen gehört jetzt ordentlich Geld ins Portemonnaie gespült!"

Die große Tarifrunde ist im Baugewerbe schon vorbei. Damit fehlt ein wichtiges Druckmittel

Einfach wird das allerdings nicht. Anders etwa als die IG Metall, die gerade für die Metall- und Elektroindustrie verhandelt und mit Streiks Druck auf die Arbeitgeber machen könnte, hat die IG Bau ihre große Tarifrunde im Bauhauptgewerbe hinter sich. Streiks sind damit nicht ohne Weiteres möglich. Damit fehlt der IG Bau zumindest nach jetzigem Stand einer der möglichen Hebel, um die Zusatzzahlung durchzusetzen.

Ohnehin kann die Tarifpolitik nicht alle Folgen von Krieg und Krise abfedern. Deshalb erhebt die Gewerkschaft ein paar lautstarke Forderungen an die Politik, die über die bisher beschlossenen Entlastungen hinausgehen. Es brauche jetzt eine Soforthilfe von 500 Euro für alle Beschäftigten, Grundsicherungsempfänger, Rentner, Azubis und Studierenden, sagt Feiger, so wie sie der Deutsche Gewerkschaftsbund verlangt. Dessen Chefin Yasmin Fahimi, die auch nach Kassel gekommen ist, verleiht dem Nachdruck. "Wir sind auch offen für andere Vorschläge. Aber dann müssen sie jetzt auch kommen!"

Außerdem fordert Feiger bessere Kontrollen, die sicherstellen sollen, dass die Arbeitgeber den zum 1. Oktober auf zwölf Euro steigenden Mindestlohn auch wirklich zahlen. In der Landwirtschaft etwa, so hat es ein Forschungsinstitut erhoben, kommt statistisch gesehen ein Kontrolleur alle 90 Jahre in einem Betrieb vorbei.

Feigers lauteste Forderung bezieht sich auf das Thema Wohnen, schließlich sind viele seiner Leute auch Mieter. Der Bund, sagt er, solle bei den börsennotierten Wohnkonzernen Vonovia und LEG einsteigen und - via Sperrminorität im Aufsichtsrat - seinen Einfluss nutzen, um die Mieten zu senken. Ob das funktionieren könnte ist umstritten, allein schon, weil der Bund als Anteilseigner von Post oder Telekom selbst nach Rendite strebt. Feiger verweist demgegenüber auf das Beispiel Volkswagen. Dort gelinge es dem Land Niedersachsen mit einem ähnlichen Konstrukt sehr wohl, Einfluss auf die Konzernstrategie zu nehmen.

Bei der Bundesregierung scheint der Vorschlag allerdings keine Jubelstürme auszulösen. Klara Geywitz (SPD), die Bundesbauministerin, ist auch nach Kassel gereist und hat für die Gewerkschaft Lob im Gepäck, allein schon, weil sie neben dem Bau auch die Umwelt in ihrem Namen trägt. "Sehr weitsichtig" sei das, sagt Geywitz. Doch den Vorschlag zu den Wohnkonzernen erwähnt sie mit keinem Wort.

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