Ifa 2010:Die verflixte dritte Dimension

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Seit "Avatar" wollen alle die dritte Dimension, glauben die Fernsehhersteller und setzen große Hoffnungen in das Geschäft mit tiefen Bildern. Doch so einfach ist die Rechnung nicht.

Varinia Bernau

Die Rechnung ist einfach: Wer etwas mehr für die Kinokarte zahlt, um sich eine Brille aufzusetzen und mit blauen Fantasiewesen durch den Nebel zu schwirren, der zahlt wohl auch etwas mehr für den Fernseher, um bei Bundesligaspielen dem Fußballrasen ganz nah zu sein. "Heute hat erst ein Prozent der Haushalte 3D-Fernseher, aber wir sehen: Die Aufgeschlossenheit ist groß", frohlockt Hans-Joachim Kamp, Aufsichtsrat der Gesellschaft zur Förderung der Unterhaltungselektronik (gfu), die die Internationale Funkausstellung (Ifa) veranstaltet.

Visualisierung in 3D
:Ist ja alles so schön tief hier

Sollten Sie gerade eine Anaglyphenbrille in Reichweite haben, die mit der roten und grünen Folie, dann werden diese 3D-Bilder Sie in die Tiefe reißen!

41 Prozent der Deutschen wollen sich nach einer Studie, die der Branchenverband in Auftrag gegeben hat, in den nächsten drei Jahren einen 3D-Fernseher kaufen. Und diese Kunden wollen die Hersteller nun unterm Berliner Funkturm umschmeicheln, wo in dieser Woche die 50. Ifa beginnt.

Dabei ist Deutschland noch ein vergleichsweise unbedeutender Markt. Die Geräte für die dritte Dimension sind vor allem in den USA, Großbritannien, Frankreich und im asiatischen Raum gefragt. Dort, wo der Fernseher traditionell nicht nur für die Fernsehserie eingeschaltet wird, sondern auch für Kinofilme auf DVD und Videospiele. Und wo Bezahlfernsehen weiter verbreitet ist.

Umständliches Tiefenerlebnis

"Pay-TV muss seinen Kunden einen Mehrwert bieten, deshalb setzen diese Sender stärker auf 3D", sagt Klaus Böhm, Medienexperte beim Beratungsunternehmen Deloitte. Zudem passe die dritte Dimension besser zu Sportereignissen und Blockbustern als zu den Abendnachrichten. Nach einer Prognose von Deloitte und des Branchenverbands Bitkom stehen bis Ende des Jahres 5,9 Millionen und in fünf Jahren 76,4 Millionen 3D-Fernseher in den Wohnzimmern dieser Welt. Der japanische Hersteller Panasonic will bis Jahresende etwa eine Million Geräte verkaufen, sein koreanischer Konkurrent Samsung sogar doppelt so viele. Branchenbeobachter bezweifeln aber, dass diese Rechnung aufgeht: Noch kostet ein 3D-Fernseher deutlich mehr als ein herkömmlicher; hinzu kommt die sogenannte Shutterbrille, die wechselweise das linke und das rechte Auge abdunkelt und so ein dreidimensionales Bild erst entstehen lässt. Das ist teuer, umständlich - und nur etwas für Techniknarren, argumentieren Analysten.

Möglich ist der Blick in die dritte Dimension bereits ohne Brille: Der japanische Konzern Nintendo hat für das Frühjahr eine Konsole angekündigt, auf der Spieler mit Super Mario durch dreidimensionale Landschaften hüpfen können - ohne Brille. Der Bildschirm ist vergleichsweise klein, ebenso wie bei Mobiltelefonen, die Samsung und Sharp auch schon für die dritte Dimension ausgerüstet haben. Zwar haben auch deutsche Forscher die Technologie bereits auf die größeren Fernsehbildschirme übertragen. Aber bis diese sich in Wohnzimmern durchsetzen, werden noch bis zu zehn Jahre vergehen, vermuten sie. Die Japaner sind offenbar schneller: Der Technologiekonzern Toshiba will mit einem 3D-Fernseher ohne Brille bereits an Weihnachten aufwarten - zumindest auf dem heimischen Markt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was der teure Haken an Tiefen-Erlebnissen in 3D ist.

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Das technische Wettrennen unter den Geräteherstellern ist allerdings sinnlos, solange es nur wenige Filme, Sendungen und Spiele in 3D gibt. Die Kosten für die Gerätehersteller seien vergleichsweise niedrig, sagt Medienexperte Böhm, für die Filmproduzenten und die Übertragungsplattformen aber seien sie enorm. Er erwartet, dass sich Technologiekonzerne und Produktionsstätten, Kabelanbieter und Sendeanstalten zusammentun werden, um die Fernsehzuschauer in die dritte Dimension zu locken - so wie Panasonic, Orange und Eurosport in einer Allianz dieses Jahr erstmals das Tennisturnier der French Open dreidimensional übertragen haben. "3D ist eine komplexe Technologie und von zahlreichen Ressourcen abhängig, über die ein einzelnes Unternehmen selten verfügt", sagt Böhm.

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Dass sich eine neue Technologie nur durchsetzt, wenn alle an einem Strang ziehen, hat sich bereits beim hochauflösenden Fernsehen gezeigt: Vor vier Jahren, pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, sollte hierzulande der Durchbruch kommen, hatte die Unterhaltungsindustrie einst verkündet. Aber all jene, die sich einen neuen Fernseher gekauft hatten, schauten bei Anpfiff in die Röhre. "Warum sollen wir unsere Produktion umstellen, wenn noch nicht hochauflösend gesendet wird?", hatten die Fernsehhersteller gefragt. "Warum sollen wir hochauflösend senden, wenn es noch keine Geräte gibt?", hatten die Sendeanstalten geantwortet. So zog sich das hin - und schließlich startete das hochauflösende Fernsehen in Deutschland erst im vergangenen Jahr.

Auch in Sachen 3D ist das Ausland weiter: In Spanien gibt es bereits einzelne 3D-Sendungen, in den USA 3D-Kanäle. Solange es daran in Deutschland noch fehlt, hoffen die Fernsehhersteller, dass sich Kunden Kinoerlebnisse per DVD ins Wohnzimmer holen: Der deutsche Fernsehbauer Loewe beispielsweise, der sein erstes 3D-Gerät auf der Ifa zeigen und Anfang kommenden Jahres in die Läden bringen wird, möchte ausdrücklich an den Kinoerfolg von Avatar und den blauen Fantasiewesen in der dritten Dimension anknüpfen. Fast scheint es, als seien die jüngsten Meldungen aus Hollywood noch nicht im fränkischen Kronach angekommen: Nachdem einige teure 3D-Filme an den Kinokassen nicht einmal die Hälfte der Produktionskosten eingespielt haben, ist in der amerikanischen Filmindustrie eine Debatte um Sinn und Unsinn der dritten Dimension entbrannt. Unter den Kinobesuchern hat sich bereits eine gewisse 3D-Müdigkeit eingestellt - und das dürfte manchen Fernsehhersteller daran zweifeln lassen, ob die Rechnung so einfach ist.

© SZ vom 02.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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