IBM und Red Hat:Ein Bündnis gegen die Cloud-Riesen

IBM und Red Hat: IBM zahlt mehr als den Aktienpreis für Red Hat.

IBM zahlt mehr als den Aktienpreis für Red Hat.

(Foto: AFP)
  • Der Technologiekonzern IBM übernimmt für 34 Milliarden Dollar die größte Open-Source-Firma der Welt, Red Hat.
  • Das besondere an der Open-Source-Technik: Sie gilt als Alternative zu den marktführenden Cloud-Anbietern Amazon, Microsoft und Google.

Von Helmut Martin-Jung

Das Video ist legendär: Steve Ballmer, damals, vor fast zwei Jahrzehnten, Chef des Software-Konzerns Microsoft, tobt in einem nassgeschwitzten Hemd wie ein Verrückter auf der Bühne herum und schreit unentwegt: "Developers, Developers, Developers!" Entwickler, also Menschen, die Software schreiben können, waren für Software-Firmen schon immer das wichtigste Gut, auch heute ist das nicht anders. Entwickler an sich zu binden, das ist denn auch eines der Ziele hinter dem größten Deal, den es in der Software-Branche jemals gegeben hat. Der Technologiekonzern IBM übernimmt für 34 Milliarden Dollar (knapp 30 Milliarden Euro) die größte Open-Source-Firma der Welt, Red Hat, und damit eine riesige Gemeinschaft an Programmierern. Die arbeiten zwar nicht bei Red Hat, entwickeln aber die Produkte, auf denen Red Hat sein Geschäftsmodell aufbaut.

Für IBM, einem Konzern, der seit vielen Jahren im Umbau und auf der Suche nach neuen Erlösquellen ist, bedeutet die Akquise aber auch eine verstärkte Hinwendung zur Open-Source-Technologie, wie Peter Ganten sagt, der Vorsitzende der Open Software Business Alliance (OSBA). "Das zeigt, wie sehr Open Source im Mittelpunkt der Digitalisierung angekommen ist. Der Open-Source-Ansatz ist mittlerweile nötig, um vorne dabei zu sein." IBM, sagt Ganten, beschäftige sich schon lange mit Open-Source-Software und habe sehr viel in Linux investiert, das wohl bekannteste Open-Source-Projekt.

Die Motivation hinter dem Kauf von Red Hat sieht Ganten vor allem darin, den Kunden einen großen Wunsch zu erfüllen. Denn die meisten von ihnen wollen zwar Software aus der Cloud. Sie müssen sich dann nicht um Server oder Updates kümmern. Doch sie wollen das nicht für alle ihre Anwendungen. Manche davon möchten sie bei sich behalten, in eigenen Rechenzentren, im Fachjargon ist dann von Hybrid Clouds die Rede. Vor allem aber wollen die Unternehmenskunden sich nicht abhängig machen von einem einzigen Anbieter, ob der nun Microsoft, Amazon oder Google heißt. Open-Source-Software erlaube per definitionem Wahlfreiheit, sagt Experte Ganten, der Trend zu mehr Offenheit bei der Auswahl der Cloud-Anbieter werde sich dadurch massiv verstärken.

Genauso sieht das auch IBM-Chefin Ginni Rometty. "Die Akquisition von Red Hat ändert die Situation komplett." IBM werde damit zur Nummer eins unter den Hybrid-Cloud-Anbietern. IBM werde daher auch seine Kooperationen mit führenden Cloud-Anbietern fortsetzen - wobei allerdings spannend zu beobachten sein wird, wie diese auf den Deal reagieren werden.

Red Hat, gegründet 1993, ist die bisher erfolgreichste Softwarefirma, die ausschließlich auf Open-Source-Software setzt. Im vergangenen Jahr machte das Unternehmen aus Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina 2,4 Milliarden Dollar Umsatz. Dabei entwickelt Red Hat keine Anwendungen, wie Firmenchef Jim Whitehurst vor wenigen Wochen im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erläuterte: "Wir schreiben nicht Software, die wir dann verkaufen. Wir beteiligen uns an bestehenden Projekten und machen dann Unternehmens-Versionen davon."

Unternehmens-Version, das heißt, Red Hat übernimmt die Garantie nicht nur dafür, dass die Software läuft, sondern auch dafür, dass das auch über Jahre so bleibt. Denn Unternehmen sind darauf angewiesen, dass sie ihre oft eigens entwickelte Unternehmenssoftware über längere Zeiträume hinweg einsetzen können und dass sie technische Unterstützung bekommen, wenn einmal etwas schiefgeht. Das bekannteste Produkt von Red Hat ist Red Hat Enterprise Linux (RHEL). Die Betriebssystem-Software selbst gibt Red Hat kostenlos ab, das Geld wird mit dem Service rund das Betriebssystem erwirtschaftet.

Cloud Computing: Ein wachsender Markt

Der Erfolg von Red Hat, sagt Jim Whitehurst, gründe darauf, dass Open-Source-Programme mittlerweile nicht mehr wie früher herstellereigene Software nachahme, sondern in vielen Bereichen die Innovation voranbringe. Treibende Kraft seien also nicht mehr die Software-Hersteller, sondern die Anwender, die sich nach Software umsehen, die ihren Bedürfnisse am besten gerecht werde. "Nahezu alle Innovationen bei der Analyse großer Datenmengen kamen durch Open-Source-Software", sagt Whitehurst, große Anwender wie Google und andere hätten das angetrieben. Red Hat sehe seine Aufgabe vor allem darin, den Unternehmen Versionen dieser innovativen Software anzubieten, die diese für ihre produktiven Prozesse nutzen könnten - mit langer Garantien und Service-verträgen.

Von Cloud Computing, also dem Auslagern von Daten, aber auch ganzen Programmen und Rechenaufgaben in Rechenzentren, ist zwar schon lange die Rede. Bis heute haben viele Unternehmen den Schritt aber noch gar nicht gewagt, oder nur einige wenige Aufgaben in die Cloud verlagert. "Unternehmen bewegen sich auf die Cloud zu", sagt Arvind Krishna, bei IBM zuständig fürs Hybrid-Cloud-Geschäft, "aber 80 Prozent sind noch nicht drin". Hauptgrund dafür - neben den Kosten für eine Umstellung - ist die Sorge um die Datenhoheit. Vielen Firmen wäre es daher am liebsten, sie könnten zwar die Cloud-Technologie nutzen, aber für die kritischen Daten unter eigener Regie, womöglich sogar auf dem Firmengelände. Sie suchen also Angebote, die es ihnen erlauben, ihre Daten bei unterschiedlichen Diensten zu parken und zu bearbeiten, ohne sich an einen einzigen Anbieter zu binden.

Marktführer auf dem Markt für Rechenpower aus der Wolke sind zurzeit Amazon, Microsoft und Google. IBM rangiert dahinter, hofft nun aber auf Geschäfte mit Kunden, die nach möglichst offenen Angeboten suchen, um ihre Daten möglichst flexibel auf mehrere Anbieter und auch eigene Rechenzentren verteilen zu können. Aber auch Red Hat hofft, vom Deal mit IBM zu profitieren: "Uns mit IBM zu vereinen", sagt er in einem aktuellen Statement, "bringt uns auf eine andere Ebene, was Größe, Ressourcen und Fähigkeiten angeht." Damit könne Red Hat die Wirkung von Open Source als Basis der digitalen Transformation beschleunigen und noch eine breitere Zielgruppe erreichen. Eines soll allerdings bleiben, wie es ist: Red Hat werde seine "einzigartige Firmenkultur" bewahren und sich weiter dem Open-Source-Gedanken verpflichtet fühlen.

IBM zahlt viel mehr als den Aktienkurs

Dass viele Innovationen mittlerweile aus Open-Source-Projekten kommen, ist auch den großen Herstellern proprietärer Software klar geworden. Sie alle haben sich mittlerweile geöffnet, weil sie erkannt haben, dass sie ins Hintertreffen geraten, wenn sie ihre Kunden dazu zwingen wollen, ausschließlich ihre eigenen Produkte zu nutzen. Microsoft, deren früherer Chef Steve Ballmer Linux einst als Krebs bezeichnete, den man ausrotten müsse, gehört inzwischen zu den wichtigsten am Linux-Projekt beteiligten Firmen. IBM war damit früher dran und ist schon lange ein großer Förderer von Open Source.

Der Deal ist von den Verwaltungsräten beider Unternehmen bereits gutgeheißen worden und soll in der zweiten Jahreshälfte 2019 abgeschlossen sein. IBM bezahlt erheblich mehr pro Aktie als am vergangenen Freitag auf den Anzeigetafeln stand: für knapp 177 Dollar wurden die Aktien von Red hat da gehandelt, IBM will 190 Dollar pro Anteilsschein bezahlen. Organisatorisch soll Red Hat zu IBMs Cloud-Abteilung gehören, jedoch als selbständige Einheit, um seine Unabhängigkeit und Neutralität bei Open-Source-Projekte zu bewahren. Der Kauf von Red Hat ist der weltweit teuerste bei Software-Unternehmen und der drittteuerste in der Techbranche.

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