IBM:Was hinter der Aufspaltung von IBM steckt

IBM: IBM war lange das, was man auch über die Großrechner der Firma sagen konnte: leistungsstark, aber unflexibel. Das soll sich nun ändern.

IBM war lange das, was man auch über die Großrechner der Firma sagen konnte: leistungsstark, aber unflexibel. Das soll sich nun ändern.

(Foto: oh)

Der Technologiekonzern sah seine größte Stärke stets darin, alles aus einer Hand bieten zu können. Nun hat er gleich eine ganze Sparte ausgegliedert. Kann das gut gehen?

Von Helmut Martin-Jung

Dunkelblauer Anzug, weißes Hemd - wer bei der Firma arbeitete, hatte sich gefälligst ordentlich zu kleiden. Schließlich waren die Produkte teuer, und das sollte auch so bleiben. International Business Machines, kurz IBM, das war eine sehr bekannte Marke. Und der Konzern mit dem Spitznamen "Big Blue" war der größte Anbieter von Computern, Zubehör und allem Service darum herum.

Eines galt dabei als nahezu sakrosankt: IBM, das war der Anbieter, der einem alles liefern konnte. In den 1990er-Jahren wollte ein Firmenchef das aufgeben, doch statt das durchzuziehen, feuerte man ihn und holte einen anderen, der das bewährte Prinzip "alles aus einer Hand" beibehielt. Schon länger war allerdings vielen unklar, welche Strategie IBM eigentlich verfolgt. Und nun hat der Konzern es doch getan. Hat sich wie etwa HP, ein anderer großer IT-Konzern, oder wie jüngst Daimler aufgespalten. Unter dem kryptischen Namen Kyndryl muss sich nun ein großer Teil der Firma als eigenständiges Unternehmen behaupten. Kann das gut gehen?

Markus Koerner ist der Deutschland-Chef von Kyndryl. Er kennt die alten Geschichten natürlich, er hat davor schon lange für IBM gearbeitet. Gerade deshalb findet er die Entscheidung nun richtig. "Die Idee, einen vollumfänglichen Service zu bieten, hat viele Jahre funktioniert", sagt er. Aber die Trends Cloud und Digitalisierung hätten zu schnellen Veränderungen geführt. Zudem entwickelten sich die Teilmärkte unterschiedlich, sagt Koerner, IBM aber habe stets "Ideen in der ganzen Welt replizieren" wollen.

Damit nicht genug. Weil IBM sich ja als der letzte vollkommen integrierte IT-Konzern positioniert hatte, verlor Koerners Abteilung viel Geschäft. Denn was die Technik angeht, war er immer an IBM-Produkte gebunden. Auch wenn die nicht das waren, was die Kunden wollten. In der Autoindustrie zum Beispiel, einem wichtigen Kundensegment in Deutschland, sei daher das Nutzerversprechen "zerfasert", wie Koerner das ausdrückt. Sprich: Die Kunden wollten eben nicht alles von IBM.

Kyndryl konnte sich bereits einen großen Auftrag von BMW sichern

Kyndryls Geschäft ist das, was man in der Branche als Managed Infrastructure Services bezeichnet. Das Unternehmen betreibt also die IT für ihre Kunden. Da geht es um Server, um Rechenzentren, um Anbindung an große Cloudanbieter, um Datensicherheit. Losgelöst von Big Blue kann Kyndryl nun die Partner auswählen, die am besten geeignet sind für ein Projekt oder die der Kunde bevorzugt, etwa weil er schon länger mit diesem Anbieter zusammenarbeitet. Vor Kurzem etwa gewann die deutsche Niederlassung von Kyndryl einen großen Auftrag von BMW. Kyndryl betreibt für den bayerischen Autobauer nun weltweit dessen Speichersysteme. Die aber stammen nicht von IBM, sondern von Netapp - einem in der Branche wohlbekannten Spezialisten für diese Technologie.

Bert Stach ist die IBM-Historie ebenfalls geläufig. Stach ist bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in der Fachgruppe IT zuständig für IBM. "Das Alleinstellungsmerkmal als letzter integrierter IT-Konzern hat IBM mit der Abspaltung aufgegeben", analysiert auch der Gewerkschafter. Auch Stach ist der Meinung, dass IBM zuletzt eher unbeweglich war, nennt den Konzern einen "Öltanker mit wertvoller Fracht", womit er vor allem die zahlreichen Patente meint.

In der Branche erzählt man sich Geschichten wie etwa die von einem ausgefallenen Server in einem Rechenzentrum in Asien, der erst nach Wochen ersetzt wurde, weil die internen Strukturen des Großkonzerns das mit ihrer verkrusteten Bürokratie verhindert hätten. Derlei Hindernisse hofft Koerner nun los zu sein. Die Voraussetzungen dafür wurden jedenfalls geschaffen. Eine der ersten Amtshandlungen von Kyndryls oberstem Chef Martin Schroeter war es, die Europa-Organisation aufzulösen - damit die Länderchefs flexibler auf die Besonderheiten ihrer Märkte reagieren können. "Ich berichte nun direkt an die Zentrale", freut sich Koerner, "der Markt ist halt volatil."

Nur weil IBM eine entscheidende Entwicklung verschlief, wurde Microsoft erst so groß

Und die unterschiedlichen Traditionen spielen auch eine Rolle. "Deutschland ist das größte Mainframe-Land", sagt Koerner. Mainframes, das sind die zentralen Rechner, die noch immer dort eingesetzt werden, wo es zum Beispiel um Bezahlvorgänge geht. Weil sie solche Prozesse nahezu fehlerfrei und sicher abwickeln können.

Lange Jahre waren sie das Rückgrat von IBMs Geschäft. Wie so oft hatte es sich ein Konzern da ein wenig zu bequem gemacht in seiner Nische. Die nicht gerade billige Hardware, dazu Serviceverträge mit saftigen wie regelmäßigen Beträgen füllten die Kassen. Die Entwicklung einer neuen Technologie mit schlauen Endgeräten, die vom zentralen Server bloß noch die Daten bezogen, aber keine Rechenleistung dafür brauchten, hatte Big Blue genauso verschlafen wie Anfang der 1980er-Jahre die Personal Computer.

Die IBM-Oberen konnten sich damals nicht vorstellen, dass diese Schreibtisch-Computer ihre superteuren Mainframes ablösen würden. So erlaubten sie es einem Jungspund namens Bill Gates, für dessen Betriebssystem DOS eine Gebühr pro PC zu verlangen anstelle einer Einmalzahlung. Dabei hatten Gates und sein kleines Team DOS nicht einmal selber entwickelt, sondern von einem Programmierer gekauft und nur leicht verändert. Es war der Grundstein für den Aufstieg von Gates' Firma Microsoft zum Weltkonzern.

Deutschland-Chef Koerner will nichts davon wissen, dass Kyndryl nur IBMs Bad Bank wäre

Aber was macht nun eigentlich IBM? Mit immer noch etwa 260 000 Mitarbeitern ist der Konzern auch ohne Kyndryl (90 000 Mitarbeiter) eines der größten Technologieunternehmen der Welt. In gut ausgestatteten Forschungslabors, darunter auch eines für das Internet der Dinge (IoT) in München, arbeiten renommierte Wissenschaftler an Zukunftsthemen wie künstliche Intelligenz, Quantencomputern und Cloud-Software.

Da könnte man sich schon fragen: Ist Kyndryl nun eine Art Bad Bank von IBM, in die man die unattraktiveren Geschäftsfelder ausgelagert hat?

Von einer Bad Bank will Kyndryls Deutschland-Chef Koerner nichts wissen. Mit der Trennung stehe man besser da als vorher, ist er sich sicher, zumal die auch vollständig sei. Tatsächlich ist Kyndryl seit Anfang November als eigenständiges Unternehmen an der Börse gelistet. Der Kurs sackte gleich mal ab, hat sich inzwischen aber auf einem etwas niedrigeren Niveau stabilisiert.

Die Mitarbeiter hat Koerner von IBM mitgenommen, zumindest die meisten. Nur sehr wenige hätten dem Betriebsübergang in die neue Firma widersprochen und seien auf dem Mutterschiff IBM geblieben. Das freilich wurde durch eine Welle von Entlassungen kräftig geschüttelt - was in dieser Firma ungewohnt war, eine Stelle bei IBM, das war früher eine sichere Bank. Koerner legt daher großen Wert darauf, sein Team bei Laune zu halten.

"Ihre Erfahrung und ihr Know-how sind absolut kritisch", sagt er. Seit die Aufspaltung angekündigt worden war, hat Koerner daher einmal pro Woche eine office hour abgehalten, an der sich viele Mitarbeiter beteiligen würden. "Sie sehen, dass jetzt vieles schneller geht als früher", nimmt er für das neue Unternehmen in Anspruch. Und Koerner hat auch schon etwa 100 Mitarbeiter neu eingestellt. Vertrauen und gute Mitarbeiter seien das Wichtigste in diesem Geschäft. Die Verhandlungen für einen Tarifvertrag allerdings sind erst einmal gescheitert und auf Januar vertagt worden. Streitpunkt waren nach Verdi-Angaben vor allem die Regelungen, die Ältere vor Kündigung schützen.

Das alte Versprechen zählt nicht mehr

Kyndryl darf nun auch mit anderen Technologiepartnern zusammenarbeiten. Mit dem Speicherspezialisten Netapp, mit Microsoft, mit dem Spezialisten für Server-Virtualisierung Vmware, Google Cloud und SAP wurden bereits Übereinkünfte erzielt. Die generelle Richtung ist, dem Kunden die Wahl zu lassen, welche Partner er bevorzugt. Kyndryl selbst versucht mit langjähriger Erfahrung zu punkten, aber auch damit, dass der Konzern weltweit in 63 Ländern aktiv ist - das ist wichtig für multinational aufgestellte Kunden, die sichergehen wollen, dass ihre IT im Ernstfall schnell wieder zum Laufen gebracht wird.

Für IBM und Kyndryl gilt jedenfalls: Das alte Versprechen "alles aus einer Hand", es zählt nicht mehr. Von nun an müssen sie mit ihren Produkten überzeugen - gegen eine mächtige Konkurrenz.

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