Süddeutsche Zeitung

Autoindustrie:Wo sonst gefeiert wird, ringt nun die Autoindustrie um Fassung

Lesezeit: 4 min

Von Max Hägler, Christina Kunkel und Stefan Mayr, Frankfurt

Ein dicker, neongelber Strich auf dem Boden trennt die zwei Welten. Auf der einen Seite: Die kleinen, elektrischen Smart-Wagen, am äußersten Rand des Daimler-Messestands. Im Zentrum: Große, dicke Brummer. Wie das SUV-Coupé GLE, das auf der IAA 2019 seinen ersten großen Auftritt hat. Fünf Meter lang, fast zwei Meter breit, mehr als zwei Tonnen schwer. Understatement sieht anders aus.

Wenige Tage nach dem Unfall eines SUV in der Berliner Innenstadt, bei dem vier Menschen starben, zeigt sich auf der Automesse: Die Hersteller setzen auf diese Stadtgeländewagen, obwohl sie in der Kritik stehen wie nie zuvor. Und so passiert auf dieser Automobilausstellung Bemerkenswertes: Die Konzernchefs finden sich in einer Verteidigungshaltung angesichts der von ihnen angebotenen Modelle und winden sich zwischen Widersprüchlichkeiten. Sie wollen weiter Geldverdienen, und das geht am besten mit großen Autos, aber eben doch "nachhaltig" sein.

Der neue Daimler-Boss Ola Källenius spricht da etwa von "begehrenswertem, zeitgemäßem und nachhaltigem Luxus". Der sich durch "Konzentration auf das Wesentliche" auszeichne. Das klingt gut - aber tatsächlich stehen da große wuchtige Geräte: Der EQC ein SUV, der EQV ein Van. Und das neue Konzept-Auto namens EQS, das Källenius erstmals vorführt, ist ebenfalls eine mehr als zwei Tonnen schwere Luxuslimousine. Mit einem neuen, reinen Batterie-Antrieb zwar, aber ob solche Dickschiffe die Platzprobleme in den Innenstädten lösen und zu einem besseren Klima beitragen, ist fraglich.

Dabei zieht sich eigentlich ein Thema wie ein roter Faden durch die Gespräche mit den Konzernchefs auf dieser Messe: Ja, sie meinen es jetzt wirklich ernst mit den Klimazielen und den CO₂-Grenzwerten, behaupten sie alle. Das stimmt zum Teil, weil beim Überschreiten der Grenzwerte hohe Strafen fällig werden. Beim Gang durch die Messehallen sieht man indes: die Hersteller setzen weiterhin auf möglichst große und schnelle Autos. Vor allem eben auf SUVs.

Mit Elektroautos lässt sich derzeit kein Geld verdienen

In Deutschland war 2018 bereits jedes dritte zugelassene Auto ein SUV, in Amerika sind es jetzt schon über 60 Prozent. Und es geht so weiter: VW rechnet damit, dass 2025 jedes zweite verkaufte Auto ein SUV sein wird - trotz der Elektro-Offensive mit dem Kompaktwagen ID3. Die Argumente der Hersteller für die SUVs ähneln sich, meist wird der Kundenwunsch genannt: "Mit unserem Portfolio versuchen wir bestmöglich die Bedürfnisse unserer Kunden in unterschiedlichen Regionen der Welt abzudecken", sagt BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter. Dabei räumt auch er ein: "In den Metropolregionen muss sich etwas ändern."

Es brauche etwa mehr Busse und Bahnen und weniger Parksuchverkehr. Aber er mahnt, die Diskussion dürfe nicht ausarten: Die X-Modelle, die in Deutschland in der Kritik stehen, seien "aus Sicht der Amerikaner keine sehr großen Autos". Zudem dürfe man nicht vergessen: Die Entwicklung solcher Wagen sichere in Deutschland Arbeitsplätze. Da ist er, der Widerspruch. Wobei derzeit tatsächlich das eine schwerlich ohne das andere klappt.

Denn mit Elektroautos lässt sich derzeit kein Geld verdienen. Wenn es gut geht, fahren sie in ein paar Jahren eine kleine einstellige Umsatzmarge ein. Bei Limousinen bleiben aktuell hingegen geschätzt etwa acht Prozent Marge, bei großen teuren SUVs manchmal das Doppelte. Und so betonen die Manager gern die Vorzüge. "Viele Kunden mögen die souveräne Fahrposition, vor allem Frauen schätzen das", beschreibt etwa Daimler-Chef Källenius die Lage. Dazu habe so ein Siebensitzer einen Nutzwert, wenn eine Familie drei Generationen in einem Fahrzeug unterbringen können.

Auch Porsche-Chef Oliver Blume rechtfertigt natürlich die Verwendung der Geländewagen. Er betont aber auch: "Nicht für jeden Zweck." Er selbst, sagt Blume, steige in der Innenstadt manchmal auf ein kleineres Fahrzeug um oder bewege sich auch "gerne mal autolos". Die Forderungen nach einem Verbot von SUVs in Innenstädten weist er zurück: "Wir brauchen keine Überregulierung." Neue verkehrsberuhigte Bereiche in Städten könne er sich aber vorstellen.

Es ist ein Hin und Her, bei allen Managern. Demnächst treten vergleichsweise scharfe gesetzliche Vorgaben zum CO₂-Ausstoß in Kraft, diese sind bei genauerem Hinsehen aber ebenfalls Fluch und Segen zugleich: Die Autohersteller müssen Elektroautos bauen, um die von der EU vorgegebenen CO₂-Flottengrenzwerte einzuhalten. Schaffen sie das nicht, drohen von 2021 an hohe Strafzahlungen. Doch die Grenzwerte sind für jeden Autobauer individuell - sie richten sich auch nach dem Gewicht der Fahrzeugflotte. Je schwerer die Autos, desto höher der Grenzwert. So schrauben ausgerechnet emissionsfreie, aber sehr mächtige Elektroautos die CO₂-Messlatte in die Höhe.

Batterie-SUVs alimentieren damit den Bau der margenträchtigen, dicken Verbrenner-SUVs. Die Hersteller haben also gar keinen Anreiz, leichtere Fahrzeuge zu bauen. Denn eine leichtere Flotte würde sofort einen strengeren Grenzwert bedeuten. Und auch die Kunden befeuern die Spirale: "Wenn Leute hoch sitzen, wollen immer mehr Leute hoch sitzen", beschreibt VW-Chef Herbert Diess den Umstand, dass SUV-Fahrer eine erhabene Sitzposition haben. Was nicht so tragisch ist, in seiner Wahrnehmung: SUVs seien ja gar nicht "so deutlich ökologisch schlechter" als Limousinen, zehn Prozent Mehrverbrauch hat er ausgemacht.

Der Chef des Zulieferers Continental, Elmar Degenhart, warnt auf der IAA sogar sehr deutlich davor, die Umwelt alleine in den Blick zu nehmen. Das habe mitunter gegenteilige Folgen an anderer Stelle. So sei das Ziel richtig, dass die CO₂-Werte bei Autos sinken müssen, bis 2021 auf durchschnittlich 95 Gramm pro Kilometer, machbar vor allem über Elektroautos. "Aber das muss finanziert werden und deshalb verkaufen die Hersteller renditestarke SUV, müssen das sogar machen." Ändere der Staat hier den Rahmen, dann könnten die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten: Es gehe um Ökologie, um Wirtschaftlichkeit, aber auch um soziale Aspekte. Würden die ertragreichen Felder zu stark beschnitten, dann würden Jobs wegfallen, dann bekäme der Staat weniger Steuern. Continental kennt das, gerade laufen harte Verhandlungen mit dem Betriebsrat, weil im Angesicht der Elektromobilität vielleicht Werke für Verbrennerteile geschlossen werden müssen, vielleicht auch betriebsbedingte Kündigungen anstehen.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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