Süddeutsche Zeitung

IAA:Protest hin oder her - kneifen gilt nicht

Die Autokonzerne zweifeln immer lauter an der Automesse IAA. Ein Rückzug wäre aber falsch. Die Manager müssen sich der Öffentlichkeit stellen, auch wenn das bisweilen unangenehm ist.

Kommentar von Max Hägler

Mit dem Abgang des Gastgebers Bernd Mattes ist die Diskussion noch einmal intensiver geworden in der deutschen Autobranche: Braucht es eine Ausstellung wie die IAA in Frankfurt wirklich noch? Stimmen Format und Ort? Ein Dutzend Hallen kann der Besucher durchschreiten, Hunderte Wagen anschauen, Breitreifen und das Innenleben von Getrieben inspizieren. Aber die Zahlen zeigen, dass die Messe - ausgerichtet vom Auto-Lobbyverband VDA - in ihrer jetzigen Form zunehmend aus der Zeit gefallen ist: Viele Firmen haben gar keinen Stand mehr hier, ob Volvo oder Peugeot. Der Besucherzuspruch geht ebenfalls zurück: viele potenzielle Autokäufer schauen sich im Internet um - oder entscheiden pragmatisch, ohne nach Frankfurt zu reisen.

Und dann ist da noch dieser Protest vor den Toren und mitunter auch in den Hallen. Will man als Autohersteller hierherkommen, wenn Schilder mit "Klimakiller" und "SUV-Wahnsinn" hochgehalten werden und gar Sitzblockaden drohen wie jetzt am Wochenende? Oder sollte man es einfach bleiben lassen mit der IAA? Die Firmen - von BMW über Conti bis VW - sind sich nicht einig, wie sie auftreten sollen in diesen Zeiten. VDA-Chef Mattes ist wohl auch über diese Diskussion gestolpert.

Dabei liegt die Antwort auf der Hand: Weitermachen! Die Autofirmen müssen sich mehr als je zuvor zeigen. Das bedeutet aber nicht noch mehr polierte Wagen, die hinter Absperrbändern stehen. Es geht viel mehr um das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Eröffnungsrede trefflich beschrieben hat: Die Zeiten ändern sich so gewaltig wie nie - und damit auch die Branche. 800 000 Menschen sind in Deutschland mit Autos beschäftigt und können dadurch ihren Lebensunterhalt bestreiten, 47 Millionen Wagen fahren herum, viele davon stecken andauernd im Stau.

Kurzum: Diese Industrie nimmt mit ihren Produkten so viel Einfluss auf das Land, die Jobs, den Wohlstand, die Umwelt, dass ihre Führungsmenschen darüber reden müssen. Gerade in Zeiten, in denen die Umweltschützer mit Recht drängender auftreten, die Gewinne zurückgehen wegen neuer Technologien und neuer Konkurrenz, in denen in letzter Konsequenz Tausende Jobs bedroht sind.

Das bloße Aufsagen von hübschen Marketingtexten reicht nicht

Immer öfter beklagen die Autovorstände in diesen Jahren, dass die Menschen "draußen" die Zusammenhänge nicht recht verständen. Nun ja, das liegt auch daran, dass sie zu selten die Diskussionen suchen: Das bloße Versenden von Nachrichten reicht nicht mehr, überzeugt immer weniger. Das bloße Aufsagen von hübschen Marketingtexten auf Messen reicht ebenfalls nicht. Und auch nicht das, was ein eigentlich kluger Vorstandsmann eines Autobauers aus Süddeutschland dieser Tage auf der IAA gesagt hat: Wir wollen im stillen Zimmer zuhause mit Kritikern reden.

Nein, weg mit dem Marketing-Sprech, raus aus den Hinterzimmern, stattdessen klare Ansprache, Herausarbeiten von Kompromissen, Lösungen, aber auch unauflösbaren Widersprüchen (Autogegner wollen weniger Autos, Autofirmen immer mehr). Und zwar an jenem Ort, den selbst Nicht-Automenschen mit Mobilität verbinden und wahrnehmen: auf der IAA. Die ersten richtigen Schritte sind gemacht bei der diesjährigen Auflage, mit einem Bürgerdialog etwa. Aber das ist zu zaghaft. In zwei Jahren kann es zwar weiterhin eine Show geben, Unterhaltung schadet selten und Technikstolz ist erlaubt. Aber die Zäune müssen weg, es muss eine gute Auseinandersetzung entstehen zwischen Fans und Kritikern der Automobilität. Von einer IAA als Forum im besten Sinne, als Arena der Argumente, davon würde die Industrie profitieren. Und die Gesellschaft.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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