Süddeutsche Zeitung

IAA:Alle unter Strom

Auf der Automesse IAA geben sich die deutschen Autohersteller selbstbewusst, aber nicht mehr prollig. VW zeigt nur noch ein einziges Auto - und Daimler dafür umso mehr neue Elektromodelle.

Von Max Hägler und Christina Kunkel

Vergangenheit und Gegenwart findet der Besucher schon noch auf dieser Autoshow: Da steht tatsächlich ein Dieselmotor, ganz vorne auf dem Mercedes-Messestand. Vier Zylinder, die silberne Oberfläche wird zwischendurch immer wieder liebevoll gefeudelt von einem Standmitarbeiter. So wie immer bei einer Automesse, könnte man sagen. Doch in diesen Tagen muss man wohl festhalten: Das ist etwas aus der Zeit gefallen. Genauso wie der daneben platzierte Dieselkombi.

Kaum einer der ersten Besucher der Internationalen Automobil-Ausstellung in Münchens Messehallen und draußen in der Stadt auf den "Open Spaces" interessiert sich für Benzin und Diesel. Alle wollen die neuen Batterieautos sehen, von denen es diesmal tatsächlich viele zu sehen gibt, natürlich auch bei Daimler, so ist das nicht. Aber Avantgarde sind diesmal andere. BMW hat ein Öko-Auto auf die Bühne gestellt, das nicht nur Vision sein soll, sondern eine neue "Denkweise" repräsentiere, wie es Konzernchef Oliver Zipse erklärt: Ein Kleinwagen, bei dem sie auf Zierleisten und Dekor verzichtet haben. Mithilfe von BASF und dem Recyclingspezialisten Alba will der Hersteller in eine "Kreislaufwirtschaft" kommen, bei der ein Auto möglichst aus Recyclingmaterial besteht - 50 Prozent im Jahr 2025 ist das Ziel. Und es soll so konstruiert sein, dass es sich dann später seinerseits auch möglichst leicht wiederverwerten lässt. Das ist eine Imagefrage, aber es ist auch eine Kostenfrage. Und es ist ein völlig neuer Ansatz: Auf einer Automesse über Abfallprodukte reden.

Klarer als hier in München kann man nicht sehen, wie die Industrie gerade unterschiedliche Wege geht. Alles ist vor allem angesichts der Klimadiskussion gerade in Unordnung geraten - oder positiv gewendet: Die Zukunft der Mobilität ist offen wie nie. Die erste Automobilausstellung am neuen Ort in München soll anders sein, hatte die Cheflobbyistin Hildegard Müller gesagt. Nicht Autos, sondern "Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität" sollen im Mittelpunkt stehen.

Denn es gibt nicht mehr die eine Technik, die nur variiert wird wie früher. Noch vor zwei Jahren lief das in etwa so ab: Mercedes stellt seine C-Klasse vor, die ungefähr so war wie der neue BMW 3er, der ungefähr so war wie der Audi A4, der nebenan Premiere hatte. Die Industrie und ihre Messen, das war stets die Deklination von Stahl und Zylindern, nichts anderes. Und dazu möglichst viel Scheinwerferlicht und als Hingucker noch ein paar Supersportwagen von Ferrari und Lamborghini.

Volkswagen-Eigentümer waren diesmal nicht angereist

Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, sieht man bereits am Vorabend dieser Messe. Und zwar nirgendwo deutlicher als bei Volkswagen. Der Konzernempfang war stets eine feierliche Angelegenheit, bei der alle Marken ihre Wagen auffuhren: Audi, VW, Porsche, Bentley, Seat, Skoda und so weiter. Die Familieneigentümer der beiden Zweige Porsche und Piëch reisten stets aus dem Salzburger Land an und erklärten ihre Sicht auf die Autoindustrie im Allgemeinen und die Manager bei VW im Besonderen, und schließlich bekam der Betriebsrat noch eins mit.

Diesmal ist keiner der Eigentümer angereist, weil sie gar nicht recht eingeladen waren: Der Fokus, so verfügte die VW-Regie, solle auf Sachthemen liegen. Und das sind noch nicht einmal Fahrzeuge. Ein einziges haben sie in die Isarpost in der Münchner Innenstadt mitgebracht, und selbst das steht hinten in einer Garage: Ein futuristischer Kleinbus mit allerlei Antennen und Kameras. Konzernchef Herbert Diess hat eine andere Zukunft der Autoindustrie vor Augen als BMW und Daimler, er glaubt nicht nur an die Elektrifizierung, die ist für ihn quasi schon vollzogen, sondern an Roboshuttles.

Am Eingang stehen Greenpeace-Aktivisten, die ein Banner mitgebracht haben, auf dem steht: "Von Wegen Klimaschutz", wobei das V und das W schön fett gemalt sind. Für Diess eine Debatte von gestern, weil VW doch so sehr auf Strom setzt. Fast "ein bisschen ungerecht" sei es insofern, dass Greenpeace hier demonstriere, bescheidet er den Aktivisten, die von Polizisten beäugt werden. Und drinnen redet er, wo sie eine Wohnzimmerszenerie aufgebaut haben und vegane Häppchen servieren, tatsächlich den ganzen Abend von Robotaxis. Neben ihm auf der Couch: Bryan Salesky, der Chef der Robotertechnikfirma Argo AI, an der VW gemeinsam mit Ford beteiligt ist. Die Menschen wünschten solche Fahrzeuge, sagen die beiden, es sei ein Multi-Milliardenmarkt, und schon in wenigen Jahren werde man starten.

Bei Mercedes sieht man das alles ein bisschen anders: Auch die Schwaben hatten sich an Robotaxis versucht, gemeinsam mit Bosch. Doch beide Unternehmen stellten fest: Zu schwierig und zu teuer. Nun bauen sie lieber teure Assistenzsysteme in teure Elektroautos.

Und von denen zeigen sie dann auch bei ihrem Vorabend einige. Der Messeauftakt des Daimler-Konzerns, bei dem traditionell auch neue Modelle vorgestellt werden, findet diesmal nicht in einer eigens angemieteten Location statt, sondern in der Münchner Niederlassung - die mit ihren zwölf Etagen allerdings nur ein bisschen weniger repräsentativ ist als die Frankfurter Festhalle, in der die Schwaben zuvor 16 Jahre lang ihre Autoshow gezeigt hatten.

Ex-Daimler-Chef Zetsche diskutiert bis spät in die Nacht

Sämtliche Wagen mit Verbrennerantrieb - die sie natürlich schon auch noch verkaufen - sind hinter einem großen schwarzen Vorhang verräumt. Und von Diesel und Benzin redet an diesem Abend auch bei Mercedes keiner mehr. Stattdessen von "nachhaltigem Luxus", was man vor allem daran sieht, dass die neu vorgestellten Elektroautos vor allem gut betuchte Kunden ansprechen sollen: Selbst den Geländewagen, die G-Klasse, gibt es künftig elektrisch. Richtige Partystimmung so wie früher, vor Corona und vor dieser Antriebswende, kommt aber nicht auf - was wohl auch daran liegen mag, dass es sich mit Maske schlecht feiert. Nur einer diskutiert sehr angeregt bis spät in die Nacht: der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche, der zuvor in einer dunklen Ecke die Präsentation der neuen Elektromodelle verfolgt hatte, ganz unbehelligt und vielleicht auch größtenteils unerkannt, weil sein Erkennungszeichen, der markante Schnauzbart, hinter der weißen FFP2-Maske vergraben ist.

Im Gespräch wirkt er ein bisschen wie ein betagter Gärtner, der durch seine Beete streift und sich darüber freut, wie seine Saat langsam aufgeht. Schließlich ist dieser Umschwung, der Wandel weg von Diesel und Benzin hin zu Elektrowagen ja schon unter seiner Regie begonnen worden. Der Gärtner Zetsche hat gesät, sein Nachfolger Ola Källenius darf jetzt die Ernte einfahren. Ist dem ehemaligen Konzernlenker jetzt nicht mehr bange um die deutsche Autoindustrie? Ein kurzes Schmunzeln. "Das war mir noch nie."

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