Hygiene in Notunterkünften:Sauberes Geschäft mit Flüchtlingen

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Die Landesfeuerwehrschule im baden-württembergischen Bruchsal ist zu einer Notunterkunft für Flüchtlinge umfunktioniert worden. (Foto: dpa)

Überfüllte Notlager, überforderte Helfer: Das System für die Aufnahme von Flüchtlingen stößt an seine Grenzen. Als dem Roten Kreuz Seife, Binden und Zahnbürsten ausgehen, hat ein junger Rettungshelfer eine Idee.

Von Jannis Brühl

Eigentlich hat Jens Bargmann Urlaub von seiner Ausbildung als Sanitäter, trotzdem liegt viel Arbeit vor ihm: "Wir müssen heute etwa tausend Sets packen." Der 21-Jährige hat ein Start-up namens "Active Medical" gegründet, seine Nische ist die Krise, die der Flüchtlingsansturm in deutschen Kommunen ausgelöst hat. In seinen neu angemieteten Lagerräumen im niedersächsischen Neuenhaus stapeln sich Zahnbürsten, Seifenstücke und Waschlappen. Er verpackt je ein Teil davon in Stoffbeutel - fertig ist das so genannte Hygiene-Set. Es beinhaltet das Nötigste, was Flüchtlinge an den ersten Tagen nach ihrer Ankunft brauchen. Mehrere Hilfsorganisationen haben bereits ihre Notbestände aufbrauchen müssen, um den Bedarf in den teils überfüllten Unterkünften zu decken. Hygiene ist besonders wichtig, wenn viele Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen.

Spätestens mit dem Skandal um einige Wachmänner im nordrhein-westfälischen Burbach, die Flüchtlinge drangsalierten, wurde offensichtlich, dass das Aufnahmesystem an seine Grenzen gestoßen ist. Von einem Tag auf den anderen werden hunderte Flüchtlinge in unvorbereitete Kommunen gebracht; sie brauchen Obdach und das Wichtigste zum Leben. Im Gegensatz zu außer Kontrolle geratenen Wachdiensten ist Bargmanns Geschäft allerdings ziemlich sauber - und hilfreich für die Helfer.

Beispiel Baden-Württemberg: Der Landesverband des Roten Kreuzes hatte über Jahrzehnte Hygienesets eingelagert, zusammen mit Feldbetten und anderen Dingen für den Katastrophenfall. Als innerhalb kürzester Zeit mehrere Notlager für Flüchtlinge eröffnet werden mussten, wurde die eiserne Reserve aufgebraucht. Auch das Rote Kreuz in Schleswig-Holstein musste seine eingelagerten Sets angreifen - und den Kollegen in Baden-Württemberg 500 Sets schicken. Ein Sprecher in Kiel sagt: "Es ist irre. Man müsste meinen, dass die Industrie solche Gebinde in großen Mengen vorrätig hätte." Aber beim Roten Kreuz wusste keiner mehr, wo die Notfallpackungen einst gekauft wurden. Auch der Verband Nordrhein muss bald nachbestellen. Hier kommt Bargmann ins Spiel.

Sets für Männer sind dreimal so teuer

Er kauft Shampoo oder Seife billig beim Großhändler ein und verpackt selbst, mittlerweile helfen ihm zwei Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis. Pro Set dauere das grob eine Minute sagt er: "Alleine wär's derzeit bisschen ungünstig." Denn die Nachfrage sei groß, tausende Sets hat er nach eigenen Angaben verkauft. Die für Männer sind mehr als dreimal so teuer wie die für Frauen - 9,75 Euro statt 2,94 Euro. "Das kommt wegen des Rasierpinsels und der Rasierseife", sagt Bargmann. Die seien recht teuer und bei den Männern mit im Paket - denn Standard-Rasierschaum halte nicht lange genug für den Fall, dass er doch länger gelagert werden müsse. Auf der Liste des Roten Kreuzes für Frauen stehen dafür Binden.

Bargmann fuhr ehrenamtlich für den Ortsverband des Roten Kreuzes Krankenwagen. Im Herbst vor einem Jahr sah er dabei aus direkter Nähe, an welchen Stellen der Ansturm das System zur Versorgung der Neuankömmlinge überforderte. Er schaltete also schneller als manche Politiker. Mittlerweile kämen Helfer von sich aus auf ihn zu, sagt er: "Das hat sich gut rumgesprochen."

Dass Bargmann an der Krisensituation verdient, hat ihn in kein ethisches Dilemma gestürzt - im Gegenteil. "Bisher gab es nur positive Rückmeldungen von Leuten, die für Hilfsorganisationen arbeiten", sagt er. Auch ein Sprecher des Roten Kreuzes Baden-Württemberg findet seine Preise fair: "Ich bin froh, dass da keiner Wucherpreise in einer Notsituation verlangt."

Die 500 Sets will das Rote Kreuz Schleswig-Holstein übrigens irgendwann von Baden-Württemberg zurückhaben. Wo die Mitarbeiter sie herbekommen, wissen sie ja jetzt.

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