Hungerstreik:Bis zum bitteren Ende

Weil ihre Mahnwache unbemerkt blieb, griffen sie aus Verzweiflung zum äußersten Mittel: Nach der Schließung des Bildröhrenwerks von Panasonic im baden-würrtembergischen Esslingen hungern Arbeiter tagelang für höhere Abfindungen. Ihre Interessenvertretung, die IG Metall, hält davon jedoch gar nichts.

Dagmar Deckstein

Man kann es nicht anders nennen als ein Bild des Jammers. Ohnehin lädt das Industriegebiet im Esslinger Stadtteil Sirnau wie jedes andere auf dieser Welt nicht gerade zum Flanieren ein. Industrielle Zweckarchitektur links und rechts der Fritz-Müller-Straße, durch die Lastwagen und Autos ohne Ende brettern, dann und wann gestoppt von der Fußgängerampel zwischen den beiden Werksgeländen der stillgelegten Panasonic-Fabrik. Gegenüber dem Haupteingang sitzen und liegen sie in der Gluthitze des Sommernachmittags auf Pritschen, die ihnen der Malteser Hilfsdienst zur Verfügung gestellt hat, auf Matratzen über roh zusammengezimmerten Holzgerüsten.

Hungerstreik

Hungern aus Verzweiflung: Die Männer vom Panasonic-Werk in Esslingen

(Foto: Foto: SZ)

Matt und elend sehen sie aus, die 18 Männer, die da ihren ganz eigenen und einsamen Arbeitskampf für soziale Gerechtigkeit führen. Das Sprechen fällt ihnen inzwischen schon schwer. Sieben von ihnen sind in den letzten Tagen schon vorübergehend in ein Krankenhaus gebracht worden, weil sie Schwächeanfälle erlitten oder mit Herzproblemen zu kämpfen hatten. Die Plakate auf der gegenüberliegenden Seite des provisorischen Zeltlagers klären auf über die Mattheit der Männer: Hungerstreik bei Panasonic - 15 Tage. So lange harren die 18 Arbeiter inzwischen ohne Nahrung aus, und Betriebsarzt Reinhard Weller sowie die Leute vom Malteser Hilfsdienst, die regelmäßig vorbeischauen, machen sich langsam ernste Sorgen. "Bei manchen ist die Situation schon sehr bedenklich", sagt Weller, "weil der Verdauungstrakt schon so lange zur Ruhe gekommen ist." Auch der Blutdruck sei bei den meisten auf unterste Grenzwerte abgesackt.

Früher 560 Beschäftigte

Aber die Streiter von Esslingen wollen auf keinen Fall klein beigeben. Jetzt schon gar nicht, da langsam die ganze Republik die Augen auf ihre Protestaktion richtet, wovon die Zeitungsausschnitte an der Wand des Zelts künden. Auch die ARD-Tagesschau und das ZDF-Mittagsmagazin haben ihre Kameras schon auf die Hungerstreikenden von Esslingen gerichtet. Betriebsrat Özcan Fahrettin, 41, fasst zusammen, was die Arbeitskämpfer treibt, "bis zum bitteren Ende" durchzuhalten: "Wir wollen einen echten Sozialplan, keinen Armutsplan."

Er selbst hat den Hungerstreik vor einigen Tagen abgebrochen, weil ihn der Arzt vor einer Thrombose gewarnt hatte. Im Übrigen stünden 60 weitere Panasonic-Arbeiter und 30 Ehefrauen bereit, sich ebenfalls am Hungerstreik zu beteiligen, wenn nichts vorangeht. Die Kollegen auf ihren Pritschen nicken Fahrettin zu, stolz tragen sie ihre weißen Stirnbinden mit der roten Aufschrift "Hungerstreik für soziale Gerechtigkeit".

Die verzweifelten Arbeitskämpfer, zumeist Türken, haben sich mit ihrem Noch-Arbeitgeber Panasonic angelegt, der zum japanischen Mutterkonzern Matsushita-Toshiba gehört. Dort, wo die Hungerstreikenden in der Hitze vor sich hindämmern, arbeiteten bis zum 21. Februar 560 Beschäftigte im Bildröhrenwerk der MT Picture Display Germany GmbH, bis die Konzernleitung Ende letzten Jahres das Aus für die defizitäre Röhrenfertigung verkündete und den Schritt mit dem dramatischen Preiskampf in der Branche begründete.

"Wir wollen Arbeit"

Ausgelöst wurde der Preisverfall durch den wachsenden Trend zu LCD- und Plasmageräten mit Flachbildschirmen, die Matsushita aber nirgendwo in Europa fertigt. Dabei hatte Panasonic das Esslinger Werk erst 1995 von Nokia übernommen und 400 Millionen Euro in die Bildröhrentechnik investiert. Wochenlang hatten die Panasonic-Beschäftigten noch gehofft, der Konzern stelle das Esslinger Werk auf Alternativprodukte um - etwa auf Vormaterialien für die stark gefragten Plasmafernseher. Aber daraus wurde nichts.

Seither, inzwischen 116 Tage lang, halten die frustrierten Panasonic-Beschäftigten weitgehend unbemerkt Mahnwache vor dem gespenstisch leeren Fabrikgelände, bis sie aus Verzweiflung zum äußersten Mittel griffen, dem Hungerstreik. Sait Copur ist 55 und arbeitet seit 30 Jahren in der Bildröhrenfabrik. Er kümmert sich als "Dienstältester", so der Arbeiter, um die hungernden Kollegen, schaut, dass sie genügend trinken bei der Hitze. "Wir wollen Arbeit, und wenn es keine gibt, einen ordentlichen Sozialplan", sagt er.

Einen solchen Sozialtarifvertrag hatte die IG Metall schon im Mai mit der Geschäftsführung ausgehandelt, aber 89 Prozent der Belegschaft hatten ihn damals abgelehnt. Er sieht vor, dass die Panasonic-Werker, die noch bis Ende Juli tarifvertraglich abgesichert sind und ihren Lohn erhalten, zum 1. Juli für ein Jahr in eine Beschäftigungsgesellschaft wechseln, gegen 80 Prozent ihres Lohns. Dort sollen die weitgehend Ungelernten, oft des Deutschen nicht sehr mächtig, für neue Jobs qualifiziert werden. Außerdem hat ihnen Panasonic Abfindungen - je nach Betriebszugehörigkeit - von um die 20.000 Euro in Aussicht gestellt.

Schlechte Jobaussichten für ungelernte Arbeiter

Aber die Jobaussichten sind für ungelernte Arbeiter, von denen knapp die Hälfte älter ist als 45, nicht gerade rosig. Was Betriebsrat Fahrettin ebenso auf die Palme bringt, sind die mageren Abfindungen. Als Panasonic 2005 ein Werk in Hamburg schloss, hätten die Beschäftigten fünffache Summen dessen kassiert, was Panasonic in Esslingen anbiete. Auf Nachfrage stellt sich allerdings heraus, dass es sich in Hamburg nicht um eine Fabrik, sondern um eine Vertriebsgesellschaft gehandelt hat, "mit Direktoren, die zum Teil 25 Jahre beim Unternehmen beschäftigt waren", wie ein Panasonic-Vertreter aufklärt.

Wo ein Kampf um Arbeit in der Metallindustrie tobt, da dürfte die dazugehörende Gewerkschaft nicht weit sein, sollte man meinen. Aber weit gefehlt, die IG Metall hat sich ausgeklinkt, das Tischtuch zwischen Panasonic-Belegschaft und der Arbeitnehmerorganisation ist zerschnitten. Betriebsrat Hüseyn Kurc regt sich auf, dass die IG Metall herumerzähle, die Panasonic-Leute wollten nur hohe Abfindungen kassieren, um sich Hotels in der Türkei zu kaufen: "Das ist eine Lüge." Die 300 organisierten Kollegen seien wild entschlossen, der Gewerkschaft die Mitgliedschaft zu kündigen.

Ilona Dammköhler wiederum, Geschäftsführerin der IG-Metall-Verwaltungsstelle Esslingen, hält nicht viel von den "Maximalforderungen", die die Panasonic-Kämpfer auf den Tisch legten. Vom lebensbedrohlichen Hungerstreik hält sie gleich gar nichts: "Das gehört nicht zum gewerkschaftlichen Aktionsrepertoire." Der Hungerstreik könnte indessen bald ausgestanden sein. Eine Einigungsstelle tagte am Donnerstag 14 Stunden lang und legte am Freitag einen Sozialplan mit etwas höheren Abfindungen vor. Den entschlossenen Protestierern dürfte kaum etwas anderes übrig bleiben, als den Plan anzunehmen.

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