Hunderttausende bloggen und twittern:Die digitale Revolution erobert Afrika

Lesezeit: 4 Min.

Jahrhundertelang schrieben vor allem Fremde über Afrika. Jetzt ist der Kontinent am Netz und Hunderttausende nutzen die neu gewonnenen Freiheiten. Sie mailen, bloggen, twittern. Das lässt Diktatoren und Autokraten unruhig schlafen.

Arne Perras

Was früher über den Ozean kam, machte den Afrikanern oftmals Angst. Sklavenhändler, Kolonialeroberer, Ausbeuter - sie alle erreichten den Kontinent über das Meer. Auch die Invasoren des 21. Jahrhunderts kommen nun vom Wasser her, dicke schwarze Schlangen kriechen aus der See und erobern jetzt rasch afrikanisches Land. Aber niemand fürchtet sich vor ihnen. Alle Menschen sind froh, dass sie endlich aufgetaucht sind.

Klicken Sie auf das Bild, um eine Interaktive Infografik zur Internetnutzung in Afrika zu sehen.

Fast alle. Nur die Autokraten und Diktatoren des Kontinents werden unruhiger schlafen als zuvor, weil sie spüren, dass ihre Macht unter dem Druck der neuen Zeiten bröckeln könnte.

Afrika ist jetzt am Netz. Nicht mehr über teure Satelliten wie früher, sondern über leistungsstarke Überseekabel, die in Ost und West an den Kontinent angedockt haben. Die neuen Netze schaffen neue Chancen für Afrikas Entwicklung. Aber das ist noch nicht alles. Erstmals in seiner Geschichte bekommt Afrika nun eine Stimme, die weit über seine Grenzen hinaus hörbar sein wird. Eine Stimme wie die von Rosebell Kagumire zum Beispiel, einer jungen Bloggerin aus Uganda. Aber dazu gleich mehr.

Denn was heißt überhaupt: Stimme? Es sind Hunderttausende Stimmen, die jetzt aus Afrika mailen, bloggen und twittern - und in New York, Berlin oder Tokio abrufbar sind. Vieles davon mag belangloser Smalltalk sein, wie er überall die Netze flutet. Andere Beiträge aus Afrika aber sind von größtem Wert, weil sie Zusammenhänge erhellen, von denen die Welt jenseits des Kontinents bislang kaum Notiz genommen hat.

Teilhabe an globalen Debatten möglich

In früheren Jahrhunderten schrieben fast immer Fremde auf, was sie in Afrika sahen. Missionare, Forschungsreisende, Kolonialbeamte. Es war nicht immer, aber sehr oft das Auge des Überheblichen, das diesen Kontinent betrachtet und bewertet hat. Jetzt öffnet das Internet den Weg für alle möglichen Anschauungen. Und das ist ein gewaltiger Befreiungsschlag. Nie zuvor haben die Menschen südlich der Sahara die Möglichkeit gehabt, so viel von sich nach außen zu tragen. Afrika stellt sich selber aus, statt ausgestellt zu werden. Und in seiner rasant wachsenden digitalen Galerie zeigt sich deutlicher als je zuvor, was seine Bewohner bewegt. Und wie sie dagegen ankämpfen, vom Rest der Welt ständig missverstanden zu werden.

Was früher mühsam, zeitraubend und manchmal sehr gefährlich war, ist jetzt ein Kinderspiel: Afrikas Mittelschicht, Intellektuelle und Geschäftsleute, Parlamentarier und Akademiker - sie alle verständigen sich mit Leichtigkeit über die Grenzen ihrer Staaten hinweg. Und sie können stärker in globale Debatten über Afrika eingreifen.

Rosebell Kagumire, die Bloggerin aus Kampala, hat das gerade wieder erlebt. Sie erinnert sich noch gut an den Tag, als ein ganz besonderer Zorn in ihr hochstieg. Das Video der Kampagne "Kony 2012" eroberte gerade die Welt. Aber Kagumire konnte davon kaum mehr als einige Minuten am Stück ansehen, so sehr ärgerte sie sich über den Clip. Also setzte sie sich hin und nahm ein Video auf, in dem sie alles zusammengetragen hat, was sie an dem Film aufgeregt hat. Und stellte ihn ins Netz.

Die Bloggerin nennt Jason Russell, den Regisseur von "Kony 2012", nicht beim Namen, aber sie kritisiert sein Werk als typisches Beispiel dafür, wie "ein Fremder versucht, den Helden zu spielen, indem er afrikanische Kinder rettet". Dieses Muster haben sie in Afrika schon oft gesehen, und die Botschaft von Filmen wie "Kony 2012" ist immer ähnlich: Afrikaner können sich nicht selbst helfen. Nur die Amerikaner haben demnach die Macht, einen Kriegsherrn wie Joseph Kony auszuschalten. Aber das geht weit an Afrika vorbei. Kein Wort fällt in dem Film über die Anstrengungen der Ugander, diesen Konflikt zu lösen. Und Kagumire führt auch die Absurdität eines Clips vor, in dem so getan wird, als herrsche in Uganda noch Krieg. Tatsächlich ist Warlord Kony mit seiner Miliz schon 2006 nach Kongo geflohen.

Die Kritik der Bloggerin aus Kampala ist nur eines von vielen Beispielen, wie afrikanische Stimmen nach außen drängen und Stereotypen über ihren Kontinent zertrümmern. Aber für Kagumire geht es nicht nur darum, verzerrte Wahrnehmungen im Ausland geradezurücken, fast noch wichtiger ist für sie das wachsende Netzwerk innerhalb Afrikas, das die Staaten und deren Menschen einander näherbringt. Derzeit versucht sie, ein paar Äthiopiern beim Aufbau von Blogs zu helfen. Das, sagt sie, sei in dem sehr autoritär regierten Land aber noch recht schwierig. Die Furcht vor Repression sitzt so tief, dass sich viele Äthiopier gar nicht trauen, sich frei im Netz zu äußern. Obwohl sie es könnten.

Autokraten verbreiten in Afrika immer noch Angst. Aber je weiter sich das Internet vor allem über die Mobilfunknetze verbreitet, umso schwerer wird es für die Regime, den unbändigen Stimmen im Netz noch Herr zu werden. Sie stehen in einem großen Zwiespalt, wie es Ben Scott, ein Berater im US-Außenministerium, beobachtet hat: Wenn Diktatoren zulassen, dass Unternehmen die Netze in ihren Ländern ausbauen, dann bringt das einerseits Aufschwung, Geld und neue Jobs. Und davon profitieren auch die Machthaber. Andererseits öffnet das Internet den Kritikern neue Wege, sich zu organisieren, Rechte einzufordern und Widerstand zu mobilisieren. Ähnlich wie in der arabischen Welt, deren Umbrüche von den Menschen südlich der Sahara seit dem vergangenen Jahr sehr genau beobachtet werden.

Internet allein führt nicht zu Demokratie

Dass Afrikas Staaten es schaffen können, ihre Netze so stark zu überwachen wie die Großmacht China, glaubt die ugandische Bloggerin Kagumire nicht. "Das kostet zu viel Geld und erfordert sehr viele geschulte Kräfte, die man hier nicht so leicht findet", sagt sie. Vor allem dann nicht, wenn die neuen Internet-Spezialisten aus Afrika die Chance haben, auch in der freien Wirtschaft ihr Geld zu verdienen.

Das Internet verhilft der freien Meinung in Afrika zu ihrem Recht, das ist die gute Nachricht. Wahr ist aber auch, dass es nicht immer die Aufrechten und Tapferen sein müssen, die Demokraten und Verteidiger der Menschenrechte, die das Netz für ihre Zwecke nutzen. Betrüger und Demagogen, Hassprediger und Scharlatane haben nun auch ihr großes Forum. Und wehe, sie nutzen das Netz einmal auf ähnliche Weise, wie die Völkermörder in Ruanda das Radio einst eingesetzt haben, um ihren Massenmord vorzubereiten.

Bei aller berechtigten Freude über Afrikas späte digitale Revolution darf man die Möglichkeiten des Netzes, den Kontinent voranzubringen, nicht überschätzen. "Das Internet alleine schafft noch keine demokratischen Verhältnisse", sagt Bloggerin Rosebell Kagumire. "Es ist ein neues Werkzeug, nicht mehr und nicht weniger."

© SZ vom 25.05.2012/pauk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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