Süddeutsche Zeitung

Start-ups:"Jedes Produkt ist nur so gut wie die Leute, die es machen"

Lesezeit: 3 min

Mit der Multikrisen-Lage hat ein Wirtschaftsbereich kaum etwas zu tun: die Personalarbeit. Junge Firmen für HR-Software und Dienstleistungen boomen, darunter Workwise aus Karlsruhe.

Von Kathrin Werner

Martin Trenkle und Jannik Keller wollten unbedingt ein Unternehmen gründen. Und zwar nicht irgendein hippes Start-up mit einem coolen Produkt, mit dem man auf Partys angeben kann, ganz im Gegenteil. "Wir wollten ganz bewusst in ein langweiliges Thema gehen", sagt Trenkle. "Wir haben uns extra eine Branche gesucht mit veralteten Strukturen." Die beiden Wirtschaftsingenieur-Studenten dachten an Bau oder Immobilien, kamen dann aber auf Personalvermittlung. "Weil da einfach so viele Firmen existieren, die ineffizient arbeiten."

Das Ergebnis ihrer Marktforschung und Gründung hieß erst Campusjäger und heißt jetzt Workwise und zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Start-ups in der Personalarbeit. Workwise ist eine Plattform, über die vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen Bewerberinnen und Bewerber für Jobs finden können.

Die beiden Gründer kennen sich seit der Schule, studierten dann zusammen Wirtschaft in Karlsruhe. Geld für ihre Gründung hatten sie keines, also vermieteten sie ein Zimmer in ihrer WG unter und schliefen selbst auf der Isomatte auf dem Boden. Es war klar: Ihr Unternehmen musste sofort Geld verdienen. "Das waren die ganz wilden Anfangszeiten", sagt Trenkle. "Investments und Wagniskapital und solche Dinge waren uns als Erstsemester ja noch gar nicht bekannt."

Und es klappte. Campusjäger war eine digitale Vermittlung von Werksstudenten, bald heuerten Trenkle und Keller ihre ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, der Umsatz und das Team verdoppelten sich jedes Jahr. Die Gründer, heute 29 und 30 Jahre alt, brachen ihr Studium ab. Auf dem Boden mussten sie nicht mehr schlafen. Inzwischen haben sie mehr als 140 festangestellte Mitarbeiter und vermitteln nicht nur Studenten und Berufseinsteiger, sondern auch alle anderen Arbeitskräfte - gegen eine Gebühr von meist 18 Prozent des Jahresgehalts. "Wir haben einfach einen Nerv getroffen", sagt Trenkle. "Gerade bei kleineren Unternehmen macht oft eine Person die Personalarbeit und nebenher noch Buchhaltung und alle möglichen anderen Sachen. Da ist der Bedarf nach professioneller Unterstützung sehr groß."

Die Workwise-Gründer sind nicht allein mit der Erfahrung, dass der Bedarf groß ist. Personalarbeit, auch Human Resources (HR) genannt, boomt in Zeiten des Fachkräftemangels. Unternehmen nehmen das einst als weiches Thema vernachlässigte Gebiet immer ernster und sind zunehmend bereit, dafür mehr Geld auszugeben, etwa für bessere Software, die bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden hilft. Entsprechend steigt die Zahl der Start-ups, die sich eine Geschäftschance mit Personalarbeits-Technik und -Dienstleistungen versprechen. 2015 gab es in Deutschland erst 69 HR-Start-ups. 2022 waren es in Deutschland, Österreich und der Schweiz insgesamt 310, zeigt der "HR Startup Monitor" der Hochschule München in Kooperation mit der Unternehmensberatung Quantum Partners. Fast die Hälfte der jungen Unternehmen beschäftigen sich mit Personalauswahl und -marketing.

Viele der HR-Start-ups können sich vor Geld kaum retten, Wagniskapitalgeber und andere Investoren interessieren sich sehr für die boomende Branche. Laut der Branchenanalysten von Work Tech haben Investoren jungen HR-Tech-Firmen allein in den ersten drei Quartalen dieses Jahres weltweit schon 11,2 Milliarden Dollar an Wagniskapital gegeben. 2021 waren es insgesamt 17,9 Milliarden - Rekord.

Inzwischen gibt es etliche HR-Einhörner, so nennt man Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet sind, darunter Gusto aus San Francisco, Darwinbox aus Singapur, Coachhub aus Berlin und seit der letzten Finanzierungsrunde im Oktober auch Factorial aus Barcelona. Der deutsche Star der Branche ist Personio aus München, eines der wertvollsten Start-ups Europas, das mit inzwischen rund 1000 Mitarbeitenden eine Software herstellt und verkauft, die alle HR-Prozesse in Unternehmen übernehmen und vereinfachen will. Durch die Pandemie hat die Digitalisierung der Personalarbeit einen Schub bekommen, weil viele Mitarbeitende im Home-Office nur noch digital erreichbar seien und zum Beispiel keine Spesen auf Papier abrechnen konnten.

"Manchmal komme ich ins Büro und denke: krass."

Workwise, die Firma von Trenkle und Keller, ist zwar längst noch kein Einhorn, hat aber in diesem Jahr auch erstmals Wagniskapital angenommen, 12 Millionen Euro von Armira Growth und LEA Partners, nachdem die Gründer fast acht Jahre lang stolz darauf waren, ohne Kapital von großen Investoren ausgekommen zu sein und profitabel zu arbeiten. Der Fachkräftemangel sei einerseits Treiber, weil viele kleinere Unternehmen ohne Hilfe einfach gar keine Leute mehr finden, mache andererseits aber auch für digitale Recruiter wie Workwise die Suche schwerer, sagt Trenkle. "Der Druck ist groß." Je angespannter die Lage, desto weniger müsse Workwise erklären, wie wichtig gute Personalarbeit ist und wie teuer es ist, eine Stelle über längere Zeit unbesetzt zu lassen.

Workwise will nicht nur Stellen besetzen, sondern unter anderem auch dabei beraten, wie sich Unternehmen besser als Arbeitgeber präsentieren können, welche Gehälter angemessen sind und wie man neue Leute gut in die Firma integriert. "Es gibt noch immer viele Geschäftsführer gerade bei kleinen Unternehmen, denen nicht klar ist, dass Recruiting eigentlich das wichtigste Thema ist", sagt Trenkle. "Jedes Produkt ist nur so gut wie die Leute, die es machen." Einerseits steige gerade das Interesse an Personalarbeit wegen des Arbeitskräftemangels sehr, andererseits seien viele Führungskräfte auch zunehmend mit den anderen großen Krisen beschäftigt, etwa Inflation und Lieferengpässen.

Auch dieses Jahr, prognostiziert Trenkle, werde sein Unternehmen sowohl Umsatz als auch die Mitarbeiterzahl verdoppeln. Genaue Finanzzahlen veröffentlicht Workwise nicht. Die Studenten mit den Isomatten von damals sind jetzt Chefs von bald 200 Menschen. Manchmal sei das noch ein ziemlich überwältigendes Gefühl, sagt Trenkle. "Einerseits war es eine Entwicklung, man wird ja nicht über Nacht zu Geschäftsführer Martin", sagt er. "Aber trotzdem komme ich manchmal ins Büro und denke: krass."

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