Süddeutsche Zeitung

Gesetzentwurf:So will Heil den Paketboten helfen

  • Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will noch im April einen Gesetzentwurf vorlegen nach dem Zustelldienste für ihre Subunternehmer haften müssen, wenn Sozialversicherungsbeiträge bei diesen nicht einzutreiben sind.
  • Bei einer Razzia des Zolls hatte sich jedes sechste Beschäftigungsverhältnis als tendenziell missbräuchlich erwiesen.
  • Mit dem Vorstoß riskiert Heil Streit mit dem Koalitionspartner, denn Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Altmaier sind dagegen.

Von Cerstin Gammelin und Benedikt Müller

Mancher glaubt an einen Streich, wenn er nach Hause kommt und einen Paketlieferschein vorfindet, auf dem zu lesen ist: abzuholen bei "Keine Werbung". Aber nein, das ist kein Witz. Wer einen solchen Schein vorfindet, kann ziemlich sicher sein, dass sein Paketbote der deutschen Sprache nicht mächtig war - und abgeschrieben hat, was auf dem Briefkasten zu lesen war: Keine Werbung. In diesem Jahr werden in Deutschland etwa 3,6 Milliarden Pakete ausgeliefert. Die Branche boomt. Immer öfter müssen kurzfristig engagierte Arbeitskräfte aus Süd- und Osteuropa aushelfen - häufig unterbezahlt und nicht ordnungsgemäß versichert. Dagegen will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gesetzlich vorgehen. "Es geht um Recht und Ordnung am Arbeitsmarkt. Ich werde noch im April einen Gesetzentwurf vorlegen", sagte Heil am Freitag der Süddeutschen Zeitung.

Der Gesetzentwurf "zur Erstreckung der Nachunternehmerhaftung für Sozialabgaben auf die Kurier-, Express- und Paketbranche" liegt der SZ vor. Damit sollen "die Solidargemeinschaft der Beitragszahler geschützt und Schwarzarbeit sowie illegale Beschäftigung eingedämmt werden". Heil will verhindern, dass die Sozialkassen um die rechtmäßig zu zahlenden Beiträge betrogen werden. "Wir wollen Generalauftragnehmer verpflichten, im Zweifelsfall, wenn die Sozialversicherungsbeiträge bei den Subunternehmern nicht einzutreiben sind, auch in Haftung genommen zu werden", sagte Heil. Dass in der Branche nicht gut bezahlt werde, sei bekannt, "und auch daran muss sich etwas ändern. Aber dass auch noch der soziale Schutz ausgehebelt wird, ist für mich völlig inakzeptabel."

Die sogenannte Nachunternehmerhaftung besteht bereits in der Baubranche und in der fleischverarbeitenden Industrie. Die Regelung besagt, dass der eigentliche Auftraggeber für die korrekten Arbeitsbedingungen bei allen Subunternehmern verantwortlich ist. Es geht vor allem darum, Verstöße gegen die Versicherungspflicht bei scheinselbständig beschäftigten Subunternehmern zu verhindern. In solchen Fällen sollen die auftraggebenden Paketdienste die Sozialbeiträge nachzahlen. "Es gibt erhebliche Belege für massiven Missbrauch, also Schwarzgeldzahlungen und Sozialversicherungsbetrug durch Subunternehmer-Konstruktionen", begründete Heil seinen Gesetzentwurf, den er am Freitag dem Kanzleramt überstellt hat. Heil verweist in dem Gesetzentwurf auf eine bundesweite Razzia des Zolls im Februar. Dabei hatte sich jedes sechste Beschäftigungsverhältnis als tendenziell missbräuchlich erwiesen. Der Zoll befragte 12 135 Fahrer; daraus folgten 25 Strafverfahren, 49 Bußgeldverfahren und 2143 Verdachtsfälle auf Mindestlohnunterschreitungen.

"Die Paketbranche ist so etwas wie die menschliche Rückseite des wachsenden Onlinehandels."

Der Bundesarbeitsminister riskiert mit seinem Vorstoß neuen Streit in der Koalition. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in der letzten Fragestunde des Bundestages Widerstand gegen die Pläne erkennen lassen. "Wir sollten nicht als einzigen Ansatz immer die Nachunternehmerhaftung nehmen", sagte sie auf die Frage, wie die Entlohnung der Paketzusteller verbessert werden könnte. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte die Idee als bürokratisch und falsch abgewiesen. Die Nachunternehmerhaftung behebe nicht das Problem: "Den Auftraggeber haftbar zu machen, der selbst keine Möglichkeit hat, diese Dinge bei Subunternehmern zu kontrollieren, halte ich für einen bürokratischen und falschen Weg", sagte Altmaier in einem Interview.

Heil will sich nicht aufhalten lassen. "Die Paketbranche ist so etwas wie die menschliche Rückseite des wachsenden Onlinehandels", sagte er. Dass sich die Bundesregierung - und er als zuständiger Minister - darum kümmern muss, in diesem durch die Digitalisierung neu entstandenen Arbeitsmarkt für faire Bedingungen zu sorgen, hält er für selbstverständlich. Er will den Mindestlohn durchsetzen, Sozialbetrug bekämpfen und am liebsten einen Tarifvertrag anstreben.

Für den Mindestlohn ist der Zoll zuständig. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat ihn personell aufgestockt und ein Gesetz zur Bekämpfung von Schwarzarbeit vorgelegt. Beim Tariflohn ist Heil auf die Branche angewiesen. "Wir haben es bei Paketlieferungen mit einer sehr zerklüfteten Tariflandschaft zu tun. Das größte Problem ist aber, dass einige Unternehmen viele Subunternehmer beschäftigen, die größtenteils auch noch selbständig sind und für die kein Tariflohn gilt." Das solle sich ändern, "indem wir die Unternehmen, die gut und ordentlich zahlen, vor denen schützen, die sich der Tarif- und Abgabenverpflichtung entziehen."

Heil geht davon aus, dass sein Gesetz durchkommt: "Es gibt im Bundesrat große politische Unterstützung für mein Vorhaben. Ich rechne auch damit, dass die gesamte Regierung das Vorhaben unterstützt". Die Bürokratiekosten halten sich dem Gesetzentwurf zufolge in Grenzen: Heil rechnet mit 355,20 Euro durchschnittlich pro Jahr und Unternehmen.

Kurier-, Express- und Paketdienste liefern sich in Deutschland einen harten Wettbewerb, Pakete möglichst billig zuzustellen. Onlinehändler wie Amazon entscheiden je nach Region, welcher Dienst ihre Millionen Sendungen ausfahren soll. Sie handeln hohe Mengenrabatte aus. Die Zusteller beschäftigen 230 000 Menschen, Tendenz steigend. Im Mittel verdienen Paketzusteller 2478 Euro brutto pro Monat. Selbständige oder scheinselbständige Paketfahrer in Subunternehmen sind dabei noch nicht erfasst.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4422873
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.04.2019/vwu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.