Süddeutsche Zeitung

Huawei:"Wir sind alle aufgewacht"

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Von Christoph Giesen, Peking, und Georg Mascolo

Es kommt nicht oft vor, dass sich deutsche Politiker und Spitzenbeamte über chinesische Gesetze beugen, über einzelne Paragrafen und Absätze sinnieren, Auslegungen und Einschränkungen diskutieren. Das Nachrichtendienstgesetz der Volksrepublik China, das am 27. Juni 2017 vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses verabschiedet wurde, ist da eine Ausnahme. Es wird in Berlin gelesen und analysiert, Gutachten werden erstellt. Und immer geht es um den Artikel Nummer 14. Dieser ist gemeint, wenn das Auswärtige Amt erklärt, es gebe da chinesische Gesetze "die uns mit Sorge erfüllen." Oder die Bundeskanzlerin gerade erst bei ihrem Besuch in Japan verkündete, man müsse sicherstellen, "dass, wenn man in Deutschland arbeitet, der chinesische Staat nicht auf alle Daten aller chinesischen Produkte zugreifen kann".

Der verflixte Artikel 14: Die chinesischen Nachrichtendienste "können von den zuständigen Organen, Organisationen und Bürgern die erforderliche Unterstützung, Hilfe und Zusammenarbeit verlangen", so lautet der entscheidende Satz. Die Anzahl der Fragen, die diese knappe Formulierung aufwirft, ist lang. Sind damit auch private Firmen gemeint? Was verbirgt sich hinter der "erforderlichen Unterstützung"? Wie weitreichend wäre eine solche Amtshilfe? Und gilt das Gesetz auch außerhalb Chinas?

Fest steht nur: An diesen Fragen hängt ein Milliardengeschäft. Wie sie zu beurteilen sind, könnte darüber entscheiden, ob die deutsche Telekommunikationsindustrie beim anstehenden Ausbau des Mobilfunknetzes auf den neuen Standard 5 G weiter in China einkaufen darf.

Innerhalb weniger Jahre ist Huawei zum Marktführer aufgestiegen

So war es bisher - in den deutschen Netzen steckt viel Technik aus der Volksrepublik. Innerhalb weniger Jahre ist der chinesische Ausrüster Huawei zum Marktführer aufgestiegen, allzu große Bedenken gab es nicht. Nur das von der Telekom betriebene Regierungsnetz ist aufgrund einer ausdrücklichen Ansage aus Berlin frei von Bauteilen chinesischer Anbieter.

Seit einigen Monaten warnen Diplomaten und Nachrichtendienste aus den Vereinigten Staaten, aber auch zahlreiche Verbündete, Briten, Australier, Norweger und Neuseeländer vor chinesischen Anbietern, allen voran Huawei. In Berlin wird seitdem diskutiert, ob man die kritischste Infrastruktur der Zukunft mit Equipment aus China betreiben darf. Zwei Sorgen haben vertraulich tagende Expertenrunden identifiziert: die Angst vor Spionage, also die Frage, ob die chinesischen Nachrichtendienste Huawei verpflichten könnten, Daten zur Verfügung zu stellen; und, noch weitreichender, die Sorge, dass die Führung in Peking in einem Konflikt Huawei anweisen könnte, ausländische Netze zu stören oder gar lahmzulegen. "Sabotage ist das größte Risiko," sagt eine mit den Vorgängen in der Regierung vertraute Person. "Wir sind alle aufgewacht."

Huawei gibt sich empört, das Ganze gleiche inzwischen der Umkehrung der Unschuldsvermutung. Trotz jahrzehntelanger Überprüfungen sei bis heute kein Hinweis auf versteckte Hintertüren oder Softwaremanipulationen gefunden worden. Durch die Debatte solle nur "das Geschäft zerstört" werden. Zudem würden auch westliche Staaten eine Kooperationspflicht für Telekommunikationsanbieter kennen. Und tatsächlich gelten in vielen westliche Staaten Bestimmungen, die den Anbietern vorschreiben, den Geheimdiensten des eigenen Landes zu helfen. Der Betreiber des weltgrößten Internet-Knotenpunktes De-Cix in Frankfurt klagt derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die im G-10-Gesetz festgelegte Pflicht, Daten an den BND weiterleiten zu müssen.

In Berlin wird allerdings darauf verwiesen, dass sich die chinesischen Bestimmungen viel weitergehender lesen und noch weitergehender auslegen lassen: als Verpflichtung, dem Staat weltweit zur Hand zur Hand zu gehen, als verlängerter Arm der Führung. Die Sorge ist: Wo immer Huawei ein Stück des Marktes beherrsche, da habe auch Peking einen Fuß in der Tür. Das sei ein entscheidender Unterschied zu demokratischen Staaten. Deutschland etwa könne keinesfalls von der Telekom verlangen, Daten außerhalb der Bundesrepublik zur Verfügung zu stellen.

Um Zweifel zu zerstreuen, hat Huawei ein Gegengutachten in Auftrag gegeben; 37 Seiten lang, verfasst von zwei Pekinger Juristen. Das Kernargument lautet: Der chinesische Staat könne eine Firma nicht zu geschäftsschädigendem Verhalten zwingen. "Es ist offensichtlich, dass die Integration von Hintertüren, Abhörtechnik oder Spyware in die Ausrüstung den Geschäftsinteressen eines Telekommunikationsausrüstungsherstellers widerspricht", heißt es in dem Gutachten.

"Eine Nebelkerze", nennt Mareike Ohlberg vom Berliner Mercator Institute for China Studies das Papier. "China lehnt das Prinzip der Gewaltenteilung ab, die Gerichte unterstehen dem Parteistaat. Selbst wenn eine Firma seine Rechte einklagen wollte, sehe ich nicht, wie das möglich wäre, sobald die Partei sich auf die nationale Sicherheit beruft", sagt sie. Bemerkenswert ist auch, dass in dem Gutachten nicht ein einziges Mal das neue Sicherheitsgesetz erwähnt wird. Die 2015 in Kraft getretene Bestimmung legt fest, wer wann welche Befugnisse hat. "Es muss als wichtiger Rahmen für andere Bestimmungen, wie das Nachrichtendienstgesetz, verstanden werden", sagt Ohlberg. "Die Definition ist eindeutig, die Belange der Kommunistischen Partei stehen über allem, folglich auch über den geschäftlichen Interessen einzelner Unternehmen." Umfassend ist auch der Geltungsbereich des Sicherheitsgesetzes: Das gesamte Internet, die Tiefen des Ozeans, die Polarregionen, ja selbst der Weltraum sind demnach Teil der nationalen Sicherheitssphäre Chinas. In Berlin werden die Bedenken daher sehr ernst genommen.

Es gibt allerdings auch beschwichtigende Stimmen. Sie weisen darauf hin, dass es doch amerikanische Firmen seien, die den chinesischen Anbietern die Chips für den technologischen Siegeszug liefern. Und die Produkte für den US-Markt, etwa die Geräte von Apple, würden von Foxconn zusammengeschraubt - unweit der Huawei-Zentrale im südchinesischen Shenzhen.

Zudem ist eine Art No-Spy-Abkommen im Gespräch

Immer wieder zu hören ist, dass China der größte deutsche Handelspartner sei, da wolle man einen Konflikt lieber vermeiden. Außerdem brauche es eine klare Rechtsgrundlage, um deutschen Firmen zu verbieten, chinesisches Equipment zu kaufen. Als einziger Anbieter hat bislang Vodafone erklärt, chinesische Technik vorläufig nicht im sogenannten Kernnetz einzusetzen.* Die Wettbewerber sind zögerlicher. Ohne die bewährten Lieferanten werde es zumindest schwieriger, 5-G-Empfang bald "an jeder Milchkanne" zu gewährleisten, argumentieren sie. Noch tückischer macht die Sache, dass der neue Standard 5 G nur dann funktioniert, wenn man die bisherigen Netze dafür nutzt. Muss dann die Technik von Huawei und dem zweiten chinesischen Anbieter, ZTE, rückgebaut werden? Die Kosten wären jedenfalls enorm.

Inzwischen gibt es Einigkeit in der Regierung, das Telekommunikationsgesetz zu verschärfen. Sämtliche Netzwerkausrüster, also auch die Konkurrenz von Huawei, müssten sich dann verpflichten, ihre Produktionsmethoden und Quellcodes offenzulegen sowie ihre Hardware zertifizieren zu lassen. Zudem ist eine Art No-Spy-Abkommen im Gespräch, das eine Weitergabe von Daten an ausländische Behörden untersagt. Mit solchen zusätzlichen Garantien ist die Bundesregierung in der Vergangenheit vorgegangen: Erst im März schloss das Wirtschaftsministerium einen Vertrag mit einem Ausstatter für den Digitalfunk der Sicherheitsbehörden. Der britische Anbieter Sepura war zuvor vom chinesischen Unternehmen Hytera übernommen worden. Ohne ausdrückliche Zusicherungen zögerten einige Bundesländer die Geräte einzusetzen. Das Unternehmen unterschrieb. Könnte man Huawei nach diesem Vorbild verpflichten? Oder müsste nicht besser ein ranghoher Regierungsvertreter aus Peking gegenzeichnen? Es geht schließlich um Vertrauen, und Artikel 14 des chinesischen Nachrichtendienstgesetzes liest sich für viele in Berlin beunruhigend.

*Anmerkung der Redaktion: Vodafone hat erklärt, Huawei-Technologie vorläufig nicht im Kernnetz einzusetzen. In einer vorherigen Version hieß es, Vodafone habe erklärt, "weitgehend auf chinesische Technik zu verzichten".

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SZ vom 11.02.2019
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