Süddeutsche Zeitung

Hongkong:Zweifel an der Stabilität

Der Kampf um Freiheitsrechte in der von China kontrollierten ehemaligen britischen Kolonie verunsichert die internationale Geschäftswelt. Hongkongs Regierungschefin ist nach Davos gereist, um sich zu erklären.

Von Meike Schreiber, Davos

Das Coronavirus ist für Carrie Lam, die umstrittene Regierungschefin von Hongkong, ein weiteres und höchst unwillkommenes Glied in einer Kette von Problemen. Als Drehscheibe der Geschäftswelt in Asien ist die chinesische Sonderverwaltungszone mit ihren vielen An- und Abreisenden anfällig für den Krankheitserreger und wird bereits in einem Atemzug mit Städten wie Peking, Shanghai und Macau genannt. Hongkong habe aber seit dem Ausbruch der Lungenkrankheit Sars vor mehr als zehn Jahren robuste Kontrollen, betonte die Regierungschefin beim Weltwirtschaftsforum. Eigentlich war Lam nach Davos gekommen, um die internationale Geschäftswelt davon zu überzeugen, dass ihre Regierung die politische Lage unter Kontrolle habe. Seit mehr als sieben Monaten demonstrieren die Menschen in Hongkong für mehr Freiheit, Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte, ein Ende ist nicht in Sicht. Das hat die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen, der Ruf der früheren britischen Kronkolonie, politisch stabil zu sein, ist angekratzt, und die Spannungen zwischen USA und China werden schärfer.

In Davos versuchte Lam deshalb, für ihren Standort zu werben. Die Region sei immer noch wertvoll für China und ein wichtiges Finanzzentrum. Sie selbst habe keine Probleme mit "friedlichen Protesten" gegen "nachvollziehbare Schwierigkeiten" wie die hohen Wohnungspreise, beteuerte sie, auch halte sie die Presse- und Meinungsfreiheit hoch. Inzwischen aber seien die Demonstrationen aus dem Ruder gelaufen, und viele Menschen würden die Rolle Chinas falsch interpretieren.

Mit der Übergabe der früheren Kronkolonie gehört Hongkong zwar zu China. Nach dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" genoss es aber eine gewisse Autonomie und freie Marktwirtschaft. Ob Peking diese Besonderheiten weiter akzeptieren will, daran wachsen die Zweifel. Womöglich habe sie selbst nicht gut genug erklärt, was es mit dem umstrittenen Auslieferungsgesetz auf sich habe, sagte Lam. "Die Behauptung, die Zentralregierung verschärfe die Lage in Hongkong, ist nicht wahr." Das habe ihr Chinas Präsident Xi Jinping mehrfach versprochen und das könne man glauben.

Ob allerdings die internationalen Finanzmärkte Carrie Lam glauben, muss sich zeigen. Erst am Montag hatte die US-Ratingagentur Moody's die Kreditwürdigkeit von Hongkong auf "Aa3" herabgesetzt und Zweifel an der Autonomie der Hongkonger Regierung ausgedrückt. Am Mittwoch warnte der Berliner China-Thinktank Merics in einer Studie, Pekings Agieren in Hongkong könne dauerhaft Folgen haben für die Wirtschaft. Zwar erweise sich der Finanzmarkt auf den ersten Blick als erstaunlich stabil. Weder sei die Funktion der Stadt als Offshore-Finanzzentrum in Mitleidenschaft gezogen worden, noch sei Kapital massenhaft abgeflossen, auch die Börse sei weiter attraktiv.

Dennoch sehen die Autoren der Studie Hongkongs Rolle als gefährdet an. Das größte Risiko gehe nicht von den Protesten selbst aus, sondern von der chinesischen Regierung. Das Rechtssystem funktioniere noch, aber es gebe erste Anzeichen, dass es nicht mehr unabhängig sei. Hongkongs Freiheiten aber, besonders Rechtsstaatlichkeit und freier Kapitalverkehr, seien essenziell, wenn China seinen wachsenden Hunger auf internationales Kapital auch künftig stillen wolle. Die Autoren argumentieren aber auch, dass es für China kurz- und mittelfristig keine überzeugende Alternative zu Hongkong gibt. "Hongkong ist als Chinas Tor zu den globalen Finanzmärkten derzeit nicht ersetzbar." Die Stadt biete China Zugang zu Devisen und sei wichtig für die Integration des chinesischen Finanzsystems in die Weltmärkte.

Die Demonstrationen in Hongkong haben auch deutsche Unternehmen in ein Dilemma gestürzt. Als Markt ist Hongkong zwar nicht sonderlich relevant; wer dort aber aneckt, indem er den Demonstranten den Rücken stärkt, bekommt Probleme in China. Doch darf man schweigen, wenn Hunderttausende auf die Straße gehen, um für ihre Freiheit zu kämpfen? "Das ist keine einfache Diskussion für uns", sagt der Chef einer großen Beratungsfirma, die auch in Hongkong und China präsent ist. Natürlich nehme China Einfluss, weswegen man sich vorsichtig bewegen müsse. Deutsche Unternehmenslenker hätten China kritisiert, "aber mit Augenmaß, um den Konflikt nicht zu eskalieren".

Han Zheng, Vizepremier der Volksrepublik China, bekräftigte in Davos derweil Chinas Engagement für eine globale Wirtschaftsintegration. "Trotz der protektionistischen und einseitigen Schritte einiger Länder wird China nicht aufhören, sich zu öffnen", beteuerte er. "Wir werden nicht in die Fußstapfen derer treten, die sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4767158
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.