Arbeit:Streit über Rückkehr ins Büro eskaliert

Arbeit: Viele Menschen wollen hier am liebsten gar nicht mehr hin - oder zumindest nicht so oft: ins Büro.

Viele Menschen wollen hier am liebsten gar nicht mehr hin - oder zumindest nicht so oft: ins Büro.

(Foto: Frank Sorge/imago images)

Der Rückversicherer Allianz Re verpflichtet seine Mitarbeiter zu vier Präsenztagen im Monat. Der Betriebsrat zieht dagegen vor Gericht. Es geht um nichts Geringeres als um die Zukunft des Arbeitens.

Von Tobias Bug

Die Pandemie ist vorbei, vor etwas mehr als einem Jahr ist die gesetzliche Home-Office-Pflicht ausgelaufen. In vielen Firmen kommen immer mehr Mitarbeiter an immer mehr Tagen zurück ins Büro. Das stellt die Unternehmen vor die Frage, wie genau eine neue Balance zwischen Büro und Home-Office aussehen soll. Denn viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schätzen die Flexibilität des mobilen Arbeitens, sie wollen nicht mehr jeden Tag ins Büro kommen - wie eben noch vor der Pandemie.

Bei manchen Unternehmen sind sie sich sogar so uneinig darüber, wie die Zukunft des Arbeitens aussehen soll, dass es regelrecht eskaliert. Wie beim Rückversicherer Allianz Re. Dort ist der Betriebsrat mit einer einstweiligen Verfügung vor dem Arbeitsgericht München gegen Vorstandschef Oliver Bäte vorgegangen. Die Arbeitnehmervertreter wollen damit verhindern, dass die Regelung zur verpflichtenden Rückkehr ins Büro umgesetzt wird. Die Neuregelung beendet das zuvor geltende Freiwilligkeitsprinzip bei der Wahl des Arbeitsorts und verpflichtet die rund 280 Mitarbeiter am Standort München, an mindestens vier Tagen im Monat ins Büro zu kommen. Diese sogenannten "Teamdays" sollen mit den engsten Mitarbeitern abgestimmt werden und für jede und jeden verpflichtend sein.

Darüber hinaus können Führungskräfte zusätzliche Präsenztage anordnen, wenn diese "betrieblich notwendig" sind. Das Arbeiten im Home-Office soll nur noch mit Zustimmung aller Vorgesetzten möglich sein. Der Allianz-Re-Betriebsrat ist der Auffassung, dass die Mitarbeiter damit auch wieder zu hundert Prozent ins Büro zitiert werden könnten und spricht von einer drohenden "Willkür der Vorgesetzten". Die Vorsitzende Richterin Angelika Rösch sieht das dagegen eher pragmatisch. Sie eröffnet die Verhandlung um die einstweilige Verfügung am Dienstagnachmittag mit den Worten: "Sie streiten hier um des Kaisers Bart." Ihrer Meinung nach geht es um Nichtigkeiten.

Die Schuld am Scheitern der Verhandlungen schieben sich beide Seiten gegenseitig zu

Vor dem Streit über die Präsenzpflicht am Dienstag hatten Arbeitgeber und Betriebsrat monatelang vergeblich versucht, sich auf eine Regelung zu einigen. Die Schuld am Scheitern der Verhandlungen schieben sich beide Seiten gegenseitig zu. In der Geschäftsführung heißt es, dass Betriebsräte zu mehreren Terminen nicht erschienen seien. Der Betriebsrat beschuldigt wiederum die Geschäftsführung, wichtige Termine absichtlich auf Tage gelegt zu haben, an denen der Betriebsrat verhindert war. Einzelne Betriebsräte berichten außerdem von Einschüchterungsversuchen ihres Arbeitgebers, der sie mit Abmahnungen und Kündigungsandrohungen von seinem Einsatz für die Arbeitnehmerseite abbringen möchte. Eine Sprecherin der Allianz Re sagt, dass in der Tat einzelne Abmahnungen ausgesprochen wurden, diese seien ein "Mittel der Personalführung, das aber bei der Allianz äußerst selten, bei schwerwiegenden Verstößen, zur Anwendung kommt". Ob es sich bei den abgemahnten Mitarbeitern um Betriebsräte handele, konnte sie nicht bestätigen.

Anfang April führte der Arbeitgeber die neue Präsenzpflicht dann ein - ohne Zustimmung des Betriebsrats. Die Arbeitnehmervertreter fühlten sich übergangen. Die neuen Regeln sind ihrer Meinung nach mitbestimmungspflichtig. Die Sprecherin der Rückversicherung widerspricht: Weder seien die neuen Regeln mitbestimmungspflichtig, noch würde es dadurch zu einer hundertprozentigen Büroanwesenheit kommen.

Tatsächlich sind sich Juristen uneins in der Frage, inwiefern der Betriebsrat an Regelungen zum Thema Home-Office beteiligt werden muss. Bei Home-Office-Vorschriften geht es um zwei Fragen: um das Ob und um das Wie. Grundsätzlich hat der Arbeitgeber ein Direktionsrecht für seine Angestellten: Er kann also ohne Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter entscheiden, ob er mobile Arbeit erlaubt oder nicht. Über die Einführung und die Beendigung mobiler Arbeit kann er demnach eigenmächtig verfügen. Bei der Frage nach dem Wie allerdings, also nach der Ausgestaltung von mobiler Arbeit, hat der Betriebsrat nach Paragraf 87 des Betriebsverfassungsgesetzes ein Mitbestimmungsrecht. Juristisch umstritten ist nun, ob die Anzahl der Home-Office-Tage eine Ob-Frage oder eine Wie-Frage ist.

"Am liebsten würde ich gar nicht entscheiden", sagt die Richterin

Grundsätzlich habe der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten, sagt Richterin Rösch. Seine Arbeitsleistung sei normalerweise in der Betriebsstätte des Arbeitgebers zu erbringen. Es sei denn, es gebe eine Betriebsvereinbarung, die die mobile Arbeit regelt. In der Allianz Re gibt es eine solche Betriebsvereinbarung schon seit 2016. Sie erlaubt den Mitarbeitern die mobile Arbeit in Absprache mit den Vorgesetzten, solange ihre Funktion und ihre Aufgaben sich dafür eignen. "Der überwiegende Teil der Arbeitszeit soll aber in der Betriebsstätte erbracht werden", heißt es darin weiter.

Die nun eingeführten neuen Regeln zum Home-Office bewegten sich auf der Grundlage dieser Betriebsvereinbarung, so Rösch. Sie legten die Vereinbarung sogar noch deutlich flexibler aus. Außerdem betreffe die Einführung verpflichtender Präsenztage nicht die Frage der mitbestimmungspflichtigen Ausgestaltung des Home-Office, sondern die Frage nach dem Ob. Der Anwalt des Betriebsrates, Felix Bußmann, argumentiert dagegen, doch die Richterin lässt in ihren Ausführungen schnell durchblicken, dass sie die einstweilige Verfügung abweisen würde. "Am liebsten würde ich aber gar nicht entscheiden", sagt sie und fordert die Streitparteien zu einem Vergleich auf. Da sich dazu weder die Arbeitgeberseite noch der Betriebsrat bereit zeigen, weist die Richterin nach nur 15-minütiger Beratung mit den zwei Schöffen die einstweilige Verfügung ab. In ihrer Urteilsverkündung sagt sie aber auch: "Man hätte auch anders entscheiden können."

Dass ein solcher Streit vor Gericht landet, ist eher ungewöhnlich, bei der Allianz Re aber schon lange nicht mehr: Hier treffen sich Arbeitgeber und Betriebsrat mehrmals im Jahr vor Gericht. Gleich nach der Verhandlung kündigen die anwesenden Betriebsräte an, gegen die Entscheidung der Kammer Beschwerde einlegen zu wollen. Auch eine Klage gegen die Neuregelungen würde man einleiten. Der Streit bei der Allianz Re - er ist noch lange nicht beigelegt.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusRenten und Pensionen
:Beamte und Angestellte - was ist dran an der Neiddebatte?

Angestellte erhalten im Alter deutlich geringere Bezüge als Staatsdiener. Rentenexperte Bert Rürup erklärt, warum das so ist, wie es in Österreich gelungen ist, Ungleichheiten zu korrigieren - und was Deutschland daraus lernen kann.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: