Arbeiten nach Corona:"Unternehmenskultur entsteht an der Kaffeemaschine"

Arbeiten nach Corona: Gunnar Kilian, Fränzi Kühne, Zvezdana Seeger (re.) und Judith Wiese (zugeschaltet) diskutieren mit dem stellvertretenden SZ-Chefredakteur Ulrich Schäfer (li.) über die Frage, wie die Zukunft der Arbeit aussieht.

Gunnar Kilian, Fränzi Kühne, Zvezdana Seeger (re.) und Judith Wiese (zugeschaltet) diskutieren mit dem stellvertretenden SZ-Chefredakteur Ulrich Schäfer (li.) über die Frage, wie die Zukunft der Arbeit aussieht.

(Foto: Friedrich Bungert)

Und jetzt alle wieder zurück ins Büro? Viele Firmenchefs erkennen gerade, wann Präsenz wirklich notwendig ist. Und sie lernen, was besser funktioniert: Ansagen machen oder vertrauen.

Von Nakissa Salavati

Elon Musk hat die perfekte Vorlage geliefert. "Zurück ins Büro", fordert der Tesla- und nun auch Twitter-Chef von seinen Mitarbeitern. Nach zwei Jahren Pandemie, soll das heißen, ist jetzt Schluss. Und? Hat er recht? Zumindest in einigen großen deutschen Unternehmen ist die Antwort recht eindeutig: nein. Oder, wie es die Unternehmerin Fränzi Kühne ausdrückt: "Das ist einfach Quatsch."

Vertrauen und Verbundenheit sind stattdessen zwei Wörter, die auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin häufiger fallen. Nicht das schlechteste Fazit nach bald drei Jahren Pandemie, einer Zeit, in der sich Arbeit für Menschen weltweit von einem Tag auf den anderen massiv verändert hat. Firmen stellten im Frühjahr 2020 radikal auf Home-Office um, auch all jene, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch nie zuvor Heimarbeit ermöglicht hatten. Chefs und Chefinnen konnten nicht mehr kontrollieren, wer wann wie arbeitet. Judith Wiese, Personalvorstand von Siemens, hat das erlebt: "Auch die größten Zweifler mussten vertrauen. Diese Zweifler haben eine positive Erfahrung gemacht. Die Produktivität ist gestiegen. Und die Menschen konnten selbstbestimmt arbeiten."

"Wir machen keine Vorgaben"

Das Energieunternehmen RWE etwa hat Vertrauensarbeitszeit eingeführt: Jede und jeder arbeitet, wann sie oder er will. RWE-Personalvorstand Zvezdana Seeger sagt: "Wir machen keine Vorgaben. Wir brauchen die junge Generation und der wollen wir zeigen, dass wir modern sind." Sie betont dabei, dass die Arbeitnehmervertreter dieses Modell unterstützt hätten. Manch ein Gewerkschafter sieht nämlich vor allem die Gefahren dieser Entwicklung: Vertrauen könne bedeuten, dass Menschen ohne zeitliche Vorgaben und in völliger Selbstbestimmung vor allem eins tun: mehr arbeiten.

Jetzt, die Pandemie ist zumindest im Griff, überlegen Firmen, wie es weitergehen soll. Wie viel Büro braucht es wirklich? Wiese berichtet von Konzern-Mitarbeitern in Mexiko, die drei Stunden bis ins Büro pendeln. "Da muss man sich schon sehr gut überlegen, warum man Anwesenheit verlangt", sagt Wiese.

Denn ganz ohne Anwesenheit geht es auf Dauer auch nicht. Nur, wie dann? Volkswagen-Vorstand Gunnar Kilian erzählt, welchen digitalen Schub das Unternehmen gemacht habe, als die Pandemie kam. "Jetzt merken wir, dass wir stärker kreativ zusammen in Präsenz arbeiten wollen." Auch Siemens-Vorständin Wiese berichtet: "Überall, wo Kooperation und Kreativität gefragt sind, müssen sich Leute direkt austauschen." Und Seeger von RWE ergänzt: "Die ersten Treffen waren persönlich, emotional und haben uns einen kreativen Schub gegeben."

Arbeiten nach Corona: Viele Entscheider haben in der Pandemie gemerkt, dass Anwesenheit und Teamarbeit vor allem für eins wichtig ist: Kreativität. So auch RWE-Personalvorstand Zvezdana Seeger.

Viele Entscheider haben in der Pandemie gemerkt, dass Anwesenheit und Teamarbeit vor allem für eins wichtig ist: Kreativität. So auch RWE-Personalvorstand Zvezdana Seeger.

(Foto: Johannes Simon/Johannes Simon)

Man wolle erhalten, was während der Pandemie erreicht wurde, nicht zurück in alte Zeiten. Führungskräfte bestimmen gemeinsam mit ihren Teams, an welchem Tag alle ins Büro kommen. Selbst in Fabriken sei mehr Flexibilität möglich als man denkt, sagt Judith Wiese von Siemens: "Wo man nicht örtlich flexibel ist, kann man es aber zeitlich sein." Für Chefs stellt sich dabei oft die Frage, wie viel sie vorgeben und ob es nun einfach eine klare Ansage braucht, wann wer wo zu sein hat. Unternehmerin Kühne sagt: "Das braucht es nicht, sondern Eigenverantwortung." Die Teams wüssten selbst viel besser, wann sie sich sehen wollen.

Arbeiten nach Corona: Jetzt alle zurück ins Büro? "Das ist einfach Quatsch", sagt Fränzi Kühne. Sie plädiert für Eigenverantwortung.

Jetzt alle zurück ins Büro? "Das ist einfach Quatsch", sagt Fränzi Kühne. Sie plädiert für Eigenverantwortung.

(Foto: Johannes Simon/Johannes Simon)

Warum man sich regelmäßig treffen sollte, hat Kühne als neue Digitalvorständin bei Edding selbst erlebt. "Wenn man sich nicht sehen kann, ist es enorm schwer, in ein Unternehmen reinzukommen", sagt sie. "Man kann im Home-Office nicht erfassen, wie es tickt, was es ausmacht. Unternehmenskultur entsteht am Kaffeeautomaten." Dort, wo Menschen ins Gespräch kommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: