Hohe Kurse von Tech-Konzernen:Süchtig nach Wachstum

Alibaba hat mit seinem Börsengang Rekorde gebrochen - nun folgt Rocket Internet. Auch für Firmen wie Facebook und Netflix werden verrückte Preise bezahlt. Kommt jetzt der Crash?

Von Catherine Hoffmann und Jan Willmroth

Jack Ma ist jemand, der in einer Menschenmenge schnell untergeht. Als die Glocke an der New Yorker Börse am vergangenen Freitag zum größten Börsengang der US-Geschichte erklang, stand der kleine Chef der Alibaba-Gruppe auf dem Parkett, grinste und reckte die Daumen in die Höhe. Die große Empore und die Glocke überließ er acht Kunden seines Konzerns, auch sie mit einem Grinsen im Gesicht. Klingeling, geschafft: 228 Milliarden US-Dollar Marktwert, fast so viel wie der Ölkonzern Chevron.

Der Mega-Börsengang des chinesischen Online-Händlers wirft ein grelles Licht auf eine Branche, deren Kurse abgehoben scheinen. Der S&P 500 Index für Technologieaktien ist in den vergangenen fünf Jahren um 100 Prozent gestiegen, der Rekord aus dem Jahr 2000 nicht mehr fern. Längst sind einige Firmen absurd bewertet. Die Online-Videothek Netflix zum Beispiel wird mit dem 167-fachen ihres Jahresgewinns gehandelt, Facebook-Aktien kosten gut hundert mal so viel wie das Unternehmen pro Anteilsschein verdient, Twitter ist viele Milliarden Euro wert und macht keinen einzigen Cent Gewinn. Für Silicon-Valley-Firmen, die hohe Verluste machen, werden Unsummen bezahlt.

Viele fühlen sich erinnert an die Neunzigerjahre, als Investoren rund um den Globus vor lauter Gewinnen den Verstand verloren: Die Stimmung ist blendend, damals. In den Banktürmen in London und an der New Yorker Wall Street schauen Banker mit Freude auf ihre Bildschirme, denn die Kurse kennen nur eine Richtung: aufwärts. Nach Feierabend fließt der Champagner in Strömen. Volkswirte versprechen Unternehmen stetig wachsende Gewinne, Analysten prophezeien unermessliche Gewinne am Aktienmarkt. Und das amerikanische Zeitgeistblatt Wired schreibt: "Vor uns liegen 25 Jahre Reichtum und Freiheit - haben Sie damit etwa ein Problem?"

Die Aktien von Facebook oder Amazon sind teuer. Zu teuer?

Ganze Nationen verfallen dem Börsenfieber, auch die Deutschen mischen kräftig mit. Gilt 1994 noch Netscape Communicator als heißester Tipp, ein Browser mit dem sich auch Laien durchs digitale Neuland navigieren konnten, ist es einige Jahre später der Yahoo-Kurs, der auf neue Höhen zurast.

Auch Amazon ist schon dabei: In den zwölf Monaten nach dem Börsengang 1997 legt der Kurs um fast 400 Prozent zu - nicht selten in diesen verrückten Tagen. Internetaktien setzten alle bekannten Börsenregeln außer Kraft. Bis auch den größten Optimisten die astronomischen Kurse kleiner Firmen aus dem Silicon Valley unheimlich werden. Kurz bevor die Blase im Jahr 2000 platzt, gibt es Buden, die keinen Cent verdienten, aber Milliarden wert sein sollen. Technologieaktien werden mit dem 70-fachen des Jahresgewinns gehandelt. Im Durchschnitt. Wahnsinn.

Ist es heute wieder so weit? Die Zahlen sagen: nein. "Die durchschnittliche Bewertung des IT-Sektors ist vollkommen okay", sagt Frederic Fayolle, Fondsmanager bei der Investmentgesellschaft DWS. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 sind Technologieaktien kaum teurer als der gesamte Markt. Allerdings ist auch das: ein Durchschnitt. Dahinter stecken große Namen wie Microsoft, IBM und Intel, die mit moderaten Aktienkursen die Bewertung der gesamten Branche drücken. Es gibt aber auch das andere Extrem: Die Aktien von Amazon, Facebook oder Salesforce, die beängstigende Preise erzielen - übertrieben? "Billig sind die Aktien nicht, aber auch nicht verrückt teuer", sagt Fayolle. "Man kann ihre Bewertung rechtfertigen, man muss nur optimistisch sein."

Immerhin können die neuen Börsenstars hohe und schnell wachsende Umsätze oder Kundenzahlen vorwiesen, eine solide Basis für künftige Gewinne. Facebook ist schon heute profitabel. Amazon könnte Gewinne ausweisen, wenn Chef Jeff Bezos das wollte, doch er investiert lieber in die Zukunft des Online-Shoppings. Verrückt? Vielleicht.

Wer zu behäbig ist, verliert

Die Anleger jedenfalls gieren nach Erfolgsgeschichten von jungen Gründern, die fast über Nacht reich wurden. Und sie sind süchtig nach Wachstum. Die Internetunternehmer bieten beides, sie versprechen den Aufbruch in entfernte Galaxien des großen Geldes. Unternehmen wie Facebook locken mit einem jährlichen Umsatzwachstum von mehr als 50 Prozent, Amazon und Google kommen immer noch auf plus 20 Prozent. Dagegen sehen die Zahlen für die alte Garde der Technologiewerte geradezu bescheiden aus. Microsoft bietet noch mehr als zehn Prozent Umsatzplus, bei Intel und IBM schrumpft das Geschäft.

Wer zu behäbig ist, verliert. Denn in der Welt der Tech-Konzerne geht es um Tempo. Wer vorne mit dabei ist, wenn sich ein neues Geschäft auftut, wird schnell zum Börsenliebling. So ist auch der Wirbel um Rocket Internet zu erklären: Neue Märkte zu erobern ist dort Kern des Geschäftsmodells. Nur Gewinne gibt es im Rocket-Imperium kaum. Ob die Rechnung aufgeht, mit dem globalen Expansionskurs auch reich zu werden? Das weiß noch keiner so genau.

Dem stehen die großen Konzerne gegenüber, die teils seit Jahrzehnten erprobte Geschäftsmodelle haben und prächtig verdienen. Ihnen verzeihen die Investoren auch mal, wenn sie nicht schnell genug auf die neuesten Trends reagieren. Und doch müssen sie sich stets überlegen, welche Zukunftsmärkte die richtigen sind. Zum Beispiel der Markt für Cloud-Angebote, in dem bisher Amazon, IBM und Google den Ton angeben. Oder das Internet der Dinge, die Vernetzung aller möglichen Gegenstände, für die noch ein einheitlicher Standard fehlt. "Wer sich zuerst mit einer Lösung durchsetzt, auf den warten hohe Pioniergewinne", sagt Werner Ballhaus, Leiter des Technologie-Bereichs bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC.

Was für Aktionäre beruhigend ist: Viele Konzerne sitzen auf immensen Geldreserven. Wem nichts besseres einfällt, kauft damit einfach eigene Aktien zurück, wie Apple-Chef Tim Cook. Das treibt den Aktienkurs und hinterlässt ein schales Gefühl: Hat der Mann keine zündenden Ideen? Andere hauen das Geld lieber für Akquisitionen raus, so wie Facebook, die ein Vermögen für Whatsapp ausgegeben haben - eine fragwürdige Investition. Da ist es gut, wenn kritische Aktionäre etwas zu sagen haben im Unternehmen und dem Management nicht alles durchgeht. Das ist leider nicht überall der Fall. Bei Amazon zum Beispiel sind die Stimmrechte ganz auf das Management konzentriert, sprich: auf Gründer Jeff Bezos. Ganz ähnlich ist das bei Alibaba. Der Begeisterung an der Börse schadet das bislang nicht.

"Es gibt große Gewinner und große Verlierer"

Wer jetzt glaubt, dass IT-Aktien in den vergangenen zehn Jahren den gesamten Markt abgehängt haben, der irrt: Sie liefen weitgehend parallel. Das täuscht allerdings über einen gravierenden Unterschied hinweg: "Tech-Aktien haben unter allen Branchen die größte Streuung. Es gibt große Gewinner und große Verlierer", sagt Fayolle. Dazwischen liegen Welten. Blackberry-Hersteller RIM hatte den Siegeszug der Touchscreens verschlafen - Totalabsturz. Apple zog locker davon.

Es kommt also auf die richtige Auswahl an. Können sich Privatanleger die überhaupt zutrauen? "Wenn ein privater Anleger ausschließlich in Amazon, Facebook und Zalando investiert, hat das mehr mit Glücksspiel zu tun als mit sinnvoller Geldanlage", sagt Markus Glaser, Professor für Finanzwirtschaft. Möglich, dass es unter den Aufsteigern aus dem Silicon Valley den nächsten Bill Gates gibt. Microsoft wurde zum Marktführer für Software und sein Gründer zum reichsten Mann der Welt. Seit dem Börsengang 1986 legte der Kurs um 49 000 Prozent zu. Nur vorhersagen lässt sich ein solcher Treffer nicht. Wer anderes behauptet, ist ein Scharlatan.

Mit den Technologiefirmen von heute verhält es sich nicht anders als mit den Eisenbahnunternehmen des 19. Jahrhunderts. Sie waren damals der große Hype und wurden zu phantastisch hohen Kursen gehandelt. Bis die Spekulationsblase platzte und viele Firmen pleitegingen. Das haben die wenigsten Unternehmen überlebt - nur die Eisenbahn ist geblieben.

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