Hoffen auf den Aufschwung:Gefangen im ewigen Auf und Ab

Politiker, Notenbanken und Manager suchen fieberhaft einen Ausweg aus der Krise. Doch ohne eine Finanzreform wird es keinen Aufschwung geben.

Nikolaus Piper

Es kommt immer auf den Standpunkt an. Für sich genommen, sind die Aussichten für das kommende Jahr alles andere als berauschend. Die deutsche Wirtschaft wird nach der neuesten Prognose des Internationalen Währungsfonds 2010 um magere 0,3 Prozent wachsen. Vielleicht werden es ein paar Zehntelprozentpunkte mehr, vielleicht schrumpft das Bruttoinlandsprodukt aber auch noch einmal.

Bauarbeiter, Frankfurt, Foto: dpa

Bauarbeiter in Frankfurt am Main: Experten prognostizieren für 2010 einen Aufschwung.

(Foto: Foto: dpa)

Kurse ohne Substanz

Auf jeden Fall wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen, wie in fast allen Industrieländern. Zwar sind Aktien heute so teuer wie seit 13 Monaten nicht mehr, aber die Hausse hat Züge einer Spekulationsblase: Alle wollen noch schnell mitmachen, ehe die Musik aufhört zu spielen; alle wissen, dass den Kursen die Substanz fehlt.

Richtig würdigen lässt sich die gegenwärtige Lage aber nur, wenn man zurückblickt. Vor einem Jahr schien der Weltuntergang nahe zu sein. Nach dem Fall von Lehman Brothers stürzte alles in den Keller, die Wachstumsprognosen, die Aktienkurse, die Kredite. Zwischen den großen Banken war jedes Vertrauen verschwunden. Hätten nicht die Regierungen und die Notenbanken in der ganzen Welt in einer beispiellosen Aktion koordiniert eingegriffen, wäre die Wirtschafts- und Finanzkrise vermutlich noch schlimmer geworden als die Große Depression der Jahre 1929 bis 1933.

Aber die Staaten haben eingegriffen, und die Lage sieht heute wieder fast normal aus. Möglicherweise liegt aber gerade in diesem Anschein der Normalität die derzeit größte Gefahr für die Zukunft. Wer glaubt, alles sei wie vor der Krise, neigt zu Fehlschlüssen.

Der Untergang ist abgesagt

Leicht wird jetzt im politischen Alltag vergessen, welch große Errungenschaft es war, dass die Staatengemeinschaft erstmals in der Geschichte gemeinsam den Absturz in eine globale Depression verhindert hat. Schon allein die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr wieder wachsen wird, so bescheiden die Zahlen auch sein mögen, ist daher ein riesiger Erfolg.

Aber die Lage ist eben alles andere als normal. Politiker, Notenbankgouverneure und Manager befinden sich in einer Situation, wie es sie noch nie gab in der Geschichte und für die deshalb auch noch keine Handlungsanleitungen vorliegen. Der Weltuntergang ist abgesagt, aber jetzt hängt die Weltwirtschaft komplett von der staatlich verordneten Geldschwemme ab. Die Notenbanken pumpen weiter Dollar und Euro ins System, im amerikanischen Staatshaushalt klafft ein Defizit von 13 Prozent des BIP. So etwas gab es zuvor nur in Zeiten des Krieges. All dies ist nicht nachhaltig und muss korrigiert werden. Die Frage ist nur, wann.

Einiges weiß man immerhin aus der Wirtschaftsgeschichte. Rezessionen, die mit einer Finanzkrise verbunden waren, sind zäher als andere. Der nächste Aufschwung fällt also schwächer aus. Die Gründe dafür sind einfach: Nach einer Finanzkrise ist der Bankensektor geschwächt, die Versorgung mit Krediten für die Wirtschaft wird knapper. Hohe Gewinne von Goldman Sachs, Deutscher Bank und anderen Investmentbanken dürfen über dieses Problem nicht hinwegtäuschen. Dies lässt sich besonders gut in den Vereinigten Staaten beobachten.

An der Wall Street suggeriert der Dow-Jones-Index mit Werten deutlich über der Marke von 10.000 Punkten, es könne nur noch nach oben gehen. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sieht das Bild dagegen ganz anders aus. In den vergangenen sechs Monaten sind die Kredite der Geschäftsbanken um sechs Prozent gesunken. Allein in diesem Jahr mussten bisher 120 kleine und mittlere Banken aufgeben und sich unter die Kontrolle der staatlichen Einlagensicherung FDIC begeben. Die Welle der Bankpleiten dürfte noch bis Mitte 2010 anhalten. Auch in Deutschland ist der Banksektor schwer getroffen von der Krise. Das ungelöste Problem der maroden Landesbanken lastet auf der Gesamtwirtschaft.

Der IWF glaubt, dass es noch bis in die Mitte des nächsten Jahrzehnts dauern könnte, bis sich die Kreditvergabe weltweit normalisiert hat. Die Banken müssen ihre Reserven aufstocken und die Verschuldung verringern. Schärfere Regeln für die Finanzinstitute, die jetzt als Konsequenz aus der großen Krise beschlossen werden, verstärken die Tendenz noch.

Aufwärts im Schneckentempo

Es gibt noch andere Faktoren, die den nächsten Aufschwung schwach machen. Bis zum Ausbruch der Krise 2007 haben die Vereinigten Staaten mit ihrem riesigen Handelsdefizit die Weltwirtschaft angetrieben. Das werden sie nicht mehr können. Die Regierung von Präsident Barack Obama muss so schnell wie möglich eine glaubhafte Strategie zur Begrenzung der Staatsausgaben vorlegen. Obama darf das Vertrauen in die Solidität der Finanzpolitik nicht beschädigen, vor allem darf er nicht schnell steigende Zinsen riskieren. Die amerikanischen Verbraucher werden nicht mehr als Nachfrager für die Welt zur Verfügung stehen.

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Die Sparquote der US-Haushalte, die 2006 auf nahe null gefallen ist, muss sich wieder normalisieren. Nach Expertenmeinung sollte sie bei sieben bis zehn Prozent liegen, damit die Amerikaner im Durchschnitt nach der Pensionierung so leben können, wie sie das vorhaben. Eine weitere Korrektur ist also unabweislich. Exportnationen wie Deutschland und China müssen daher mehr auf eigenes Wachstum setzen.

Es gibt für das nächste Jahrzehnt ein Negativszenario, und das trägt die Überschrift: "Japan". Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt war zu Beginn der neunziger Jahre in eine schwere Finanzkrise geraten. Die Regierung in Tokio stützte zwar die Konjunktur, unterließ es aber, den Banksektor zu sanieren. Die sogenannten "Zombie-Banken" blieben am Leben und bescherten Japan ein Jahrzehnt der Stagnation und der Deflation. Wer dieses Japan-Szenario vermeiden will, muss also entschlossen im Banksektor aufräumen.

Gestiegene Lohnkosten

Deutschland hat im derzeitigen, noch sehr fragilen Aufschwung einige Vorteile und einige Nachteile. Zunächst die Nachteile: Anders als in vielen anderen Industrieländern sind die Lohnkosten in Deutschland während der Krise nicht gesunken, sondern gestiegen. In den Vereinigten Staaten, wo das Feuern von Mitarbeitern besonders leicht ist, stieg die Arbeitsproduktivität im dritten Quartal um 9,3 Prozent. Übers Jahr gerechnet dürfte der Anstieg bei 2,3 Prozent liegen, in der EU wird mit einem Rückgang um 1,4 Prozent gerechnet. Unternehmensgründer, die die Krise nutzen wollen, haben also in den USA klare Vorteile.

Die positive Seite aus deutscher Sicht: Dank des Kurzarbeitergeldes konnten die Firmen ihre Belegschaft auch in den schlimmsten Tagen der Krise behalten; sie gehen jetzt mit bewährten Kräften in den Aufschwung. Nicht zu vergessen ist auch die Agenda 2010 der rot-grünen Koalition; sie bewirkte, dass Deutschland bei der letzten Rezession mit viel weniger Arbeitslosen in die Krise gegangen ist. Weil die deutsche Wirtschaft überdies auf Investitionsgüter spezialisiert ist, dürfte sie von der unerwartet schnellen Erholung in einigen Schwellenländern profitieren.

All das sind Gründe für verhaltenen Optimismus, vorausgesetzt, das Problem der Banken wird gelöst.

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