Höchststand des Börsenbarometers:Warum der Dax-Rekord diesmal keine Blase ist

Frankfurter Börse

Rekordhoch: Der Dax am vergangenen Dienstag.

(Foto: dpa)

Der Deutsche Aktienindex ist auf mehr als 8000 Punkte gestiegen und hat einen neuen Rekord erreicht. Genauso war es in der Vergangenheit schon zwei Mal. Beide Male folgte ein jäher Absturz. Diesmal aber ist alles anders, meinen Experten.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Es war eine Woche, die Börsianer früher vor Freude trunken gemacht hätte. Am vergangenen Dienstag erreichte der Deutsche Aktienindex (Dax) seinen bisher höchsten Stand bei 8206 Punkten, am Freitag kletterte er zeitweise über 8300 Zähler. Die Börse kennt derzeit kein Halten, doch der Jubel bleibt merkwürdig verhalten. Ein Grund dafür ist, dass die Akteure an der Börse die Geschichte kennen. Und die gibt allen Anlass zur Skepsis.

Schon zweimal stieg das Börsenbarometer in der Vergangenheit über 8000 Punkte, das erste Mal im März 2000, als wegen der ungeahnten Möglichkeiten des Internet allseits Euphorie herrschte. Doch kaum hatte der Index den Rekord erreicht, platzte die Blase, und es folgte ein jäher Absturz. Drei Jahre später war der Dax um 73 Prozent gefallen. Die 30 Dax-Unternehmen waren nur noch mit einem Viertel ihres einstigen Höchststandes bewertet. Danach begann ein steter Wiederaufstieg. Als der Dax im Juli 2007 aber erneut die 8000-Punkte-Grenze überschritt, kündigte sich schon die Finanzkrise an. Bis März 2009 verlor der Index daraufhin 55 Prozent seines Werts.

Kurzfristige Durststrecke

Solche Ereignisse brennen sich in das kollektive Gedächtnis ein. Zweimal folgte nach dem Rekord der Absturz. Sind aller schlechten Dinge drei? Wiederholt sich die Geschichte? Es gibt Experten, denen der starke Anstieg an der Börse seit August vergangenen Jahres nicht geheuer ist. "Die Weltwirtschaft dürfte sich in diesem Jahr zwar erholen, aber die Risiken haben insgesamt zugenommen", warnt zum Beispiel Matthias Thiel, Kapitalmarktstratege bei MM Warburg. Vor allem in der Euro-Zone, aber auch in den USA hätten Frühindikatoren zuletzt nicht überzeugt. Thiel erwartet deshalb, dass es beim Dax in nächster Zeit "einen Rücksetzer" geben könnte.

Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hält kurzfristig eine Durststrecke an der Börse für möglich. Das ändert aber nichts an seiner Einschätzung, dass es langfristig weiter nach oben geht. Ende des Jahres sieht er den Index bei 8500 Punkten. Die Erfahrungen aus den Jahren 2000 und 2007 machen ihm keine Angst. "Die Situation ist diesmal grundlegend anders", sagt Krämer. "Damals waren Aktien teuer, heute sind sie im Vergleich immer noch billig."

Der Gradmesser dafür ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Es setzt den Aktienkurs in Bezug zum Gewinn je Aktie, den das Unternehmen im laufenden Geschäftsjahr erwartet. Über alle 30 Dax-Unternehmen liegt dieses Verhältnis derzeit bei zwölf. Im Jahr 2000, vor dem Platzen der Internet-Blase, war es mehr als das Doppelte. "Das KGV war damals außer Rand und Band, heute befindet es sich immer noch unter dem langfristigen Durchschnitt", sagt Krämer.

"Die EZB hat die Büchse der Pandora geöffnet"

Deutsche Aktien schneiden heute auch im Vergleich zu den Anlagealternativen deutlich besser ab als in den Boomzeiten der Vergangenheit. Allein die Dividendenrendite der 30 Dax-Konzerne liegt jetzt mit 3,2 Prozent höher als die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen (1,37 Prozent) oder für Unternehmensanleihen, die mit der Rating-Note BBB bewertet sind (2,6 Prozent). In den Jahren 2000 und 2007 war das Verhältnis umgekehrt: Sowohl Bundes- als auch Unternehmensanleihen brachten deutlich mehr Rendite als die Dividenden der Dax-Konzerne.

Auch eine andere Bewertungsmethode spricht dagegen, dass auf den Dax-Rekord wieder ein Einbruch folgen könnte: der langfristige Trend. Im Durchschnitt ist das Börsenbarometer seit 1960 jedes Jahr um 5,8 Prozent gestiegen*. Zieht man eine Linie mit dem langfristigen Trend über die letzten 50 Jahre, dann liegt der Index derzeit genau auf der Trendlinie. Im Jahr 2000 aber stand er um 180 Prozent darüber, im Jahr 2007 um 70 Prozent.

Eine wichtige Ursache für den Börsenboom der vergangenen Monate ist die Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank (EZB). Mit ihrem billigen Geld hat sie fast alle Alternativen zur Aktie unattraktiv gemacht, egal ob Staatsanleihen, Unternehmensanleihen oder Sparprodukte von Banken. An der Börse nährt dagegen ein Rekord den nächsten. "Die neuen Hochs locken immer mehr Investoren an den Aktienmarkt, und ein Ende ist nicht absehbar", sagte ein Händler am Freitag an der deutschen Börse.

Der Trend zeigt nach oben

Hinzu kommt, dass ein Ende der Politik des billigen Geldes nicht in Sicht ist. Sowohl im März 2000 als auch im Juli 2007 bekämpften die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank die heraufziehende Inflation damit, dass sie die Zinsen anhoben und die Geldmenge zurückfuhren. Dies ist nun nicht zu erwarten. "Die EZB hat die Büchse der Pandora geöffnet, es wird in absehbarer Zeit keine Zinserhöhung oder Abschöpfung der Liquidität geben", sagt Robert Halver, Aktienmarktexperte bei der Baader Bank.

Die "geldpolitische Happy-Hour" müsse noch auf Jahre hinaus weitergehen, weil sonst die Flucht aus Anleihen südeuropäischer Schuldenstaaten einsetzen und die Euro-Zone auseinanderbrechen würde. Das werde die Zinsen von Staatsanleihen niedrig halten und Anleger weiter in Aktien treiben. "Versicherer und Vermögensverwalter können kein Interesse an einem Zins haben, der gegen Null geht", sagt Halver. Auch die Fiskalpolitik der Staaten tendiere dazu, weniger zu sparen und mehr Verschuldung zuzulassen, um die Konjunktur nicht abzuwürgen. Und das wiederum stütze die Aktienmärkte. "Von daher gibt es für die Börsen derzeit keine bekannte Gefahr", sagt der Experte. Der Trend zeigt nach oben - und nicht in Richtung Abgrund wie 2000 und 2007.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand, der Dax sei seit 1960 im Schnitt um 7,2 Prozent pro Jahr gestiegen. Die Information stammte aus einer Studie der Commerzbank, in die sich die falsche Zahl eingeschlichen hatte. Korrekt sind 5,8 Prozent.

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