Geschichten wie diese sind sehr ungewöhnlich in Italien. Aber nicht nur dort. Am 28. April 2012 raste der amarantrote Schienenflitzer Italo zum ersten Mal von Neapel nach Mailand. Die Premierenfahrt beendete das Monopol der römischen Staatsbahnen auf den lukrativen Hochgeschwindigkeitsstrecken der Apenninenhalbinsel. Knapp sechs Jahre später verkaufen die privaten Eigentümer der superschnellen Züge das Bahn-Start-up nun für 2,5 Milliarden Euro an den amerikanischen Fonds Global Infrastructure Partners (Gip). Sie kassieren eine Traumrendite und geben eine Lektion zum Thema Marktöffnung.
Der Vater des Bahn-Coups ist Luca di Montezemolo, langjähriger Chef der Sportwagenfirma Ferrari, ehemaliger Industriellenchef, der für Made in Italy steht. 2006 ging es mit einem weißen Blatt und einer bizarren Idee los: Montezemolo und ein paar seiner Freunde hatten sich in den Kopf gesetzt, den italienischen Staatsbahnen Konkurrenz auf ihren teuren Rennstrecken zu machen. Viele hielten den Einfall für verrückt. Möglich war er durch die Liberalisierung des superschnellen Schienenverkehrs geworden, die 2007 von der römischen Regierung unter Romano Prodi durchgesetzt worden war. Italien war einmal da, wo der damalige Ferrari-Chef sein Land am liebsten immer sähe: ganz vorn. Es öffnete das Hochgeschwindigkeitsnetz für einen privaten Betreiber - eine Weltpremiere. Nur Südkorea ist bisher nachgezogen. Dieser Vorsprung macht Italo nun für den US-Spezialisten Gip so interessant. Denn im Dezember 2020 fallen die Wettbewerbsschranken in ganz Europa. Dann, so prognostiziert Montezemolo, wird Italo für die Amerikaner zur Startrampe für die Expansion auf dem Kontinent. Spanien und Deutschland werden in Rom als attraktivste Ziele gehandelt.
Das Zug-Abenteuer des Grafen war kein Selbstläufer. Schon nach zwei Jahren stand der Angreifer vor dem Aus. Nur eine Kapitalerhöhung und der Einstieg der Mailänder Großbank Intesa Sanpaolo bewahrten Italo 2014 vor dem Konkurs. Marktführer Ferrovie dello Stato (FS), der auch das italienische Schienennetz und die Bahnhöfe kontrolliert, hatte dem Konkurrenten das Leben schwer gemacht. Er begrüßte den Neuling mit einem Preiskrieg und behinderte dessen Markteintritt mit allerlei Schikanen. Die Wende kam 2015 mit zusätzlichem Geld und einem neuen Chef.
Flavio Cattaneo brachte das junge Unternehmen auf einen neuen Kurs. Obwohl die Großraumwagen von Italo damals bei Weitem nicht ausgelastet waren, bestellte der Manager neue Züge. Rentabel würde das Unternehmen nur, wenn die Frequenz der Verbindungen erhöht wird, glaubte er. Bei einem Anschaffungspreis von 30 Millionen Euro pro Zug war das ein kostspieliges Kalkül. Doch es ging auf. 2016 erzielte das Start-up erstmals einen Profit. 2017 stieg der Gewinn auf 33,8 Millionen Euro, der Umsatz um 25 Prozent auf 455 Millionen Euro. Italo beförderte im vergangenen Jahr knapp 13 Millionen Fahrgäste.
Das ganze Land profitiert vom Wettbewerb
Die Aktionäre verdienen nun beim Verkauf kräftig mit. Nach Schätzungen aus Finanzkreisen haben sie 1,1 Milliarden Euro investiert. Neben dem Kaufpreis von 1,98 Milliarden Euro bot Gip auch die Übernahme von 430 Millionen Euro Schulden und der Kosten des geplanten und nun kurzfristig abgesagten Börsengangs von Italo an. Montezemolo und Co. haben ihren Einsatz so mehr als verdoppelt. Der Unternehmenswert ist allein seit dem vergangenen Herbst um das Vierfache gestiegen.
Die Aktionäre sind durchaus nicht die einzigen Gewinner. Das ganze Land hat vom Wettbewerb kräftig profitiert. Auch die Bahnkunden. Italo hat das Angebot verbessert und neue Nachfrage geschaffen. Der Markt ist im kriselnden Italien konstant zweistellig gewachsen. Gleichzeitig sanken die Fahrpreise um 40 Prozent und liegen weit unter den Tarifen in den Nachbarländern. Auf der Strecke Mailand-Rom - knapp 600 Kilometer in 2 Stunden 55 Minuten - ersetzen die Schnellzüge das Flugzeug nahezu komplett. Auch viele Autofahren sind umgestiegen. Die Zahl der Passagiere nahm um 100 Prozent zu. Italo hat in sechs Jahren fast ein Drittel des Marktes erobert. Auch dem Staatskonzern FS hat die Konkurrenz am Ende nicht geschadet. Er weitet das Geschäft mit seinem "Frecciarossa" (roter Pfeil) seit zwölf Jahren erfolgreich aus und kassiert von Italo Gebühren für die Schieneninfrastruktur.
"Italo ist eine tolle italienische Unternehmensgeschichte", prahlte Montezemolo. Da er diese Geschichte aber in amerikanische Hände gibt, hinterlässt sie auch einen bitteren Nachgeschmack. Ausgerechnet sein enger Freund Diego Della Valle, Italo-Mitbegründer und Eigentümer des Luxuskonzerns Tod's, kritisierte den Verkauf. Denn wie so oft gelingt es Italienern nicht, ein visionäres Projekt auf eigene Faust ins Ausland zu tragen.