Süddeutsche Zeitung

Historischer Schritt der EZB:Zinsen gesenkt - nur für wen?

Noch nie waren die Zinsen in der Währungsunion so tief wie jetzt: Die Europäische Zentralbank hat den Satz um einen viertel Prozentpunkt gesenkt. Doch was bringt das überhaupt? Hilft es der Konjunktur in der Euro-Zone? Und bekommen nun Bankkunden günstiger Kredit? Die Wirklichkeit ist bedrückend.

Hans von der Hagen und Lutz Knappmann

An diesem Tag darf mal ein großes Wort verwendet werden: Die Zinsen der EZB fallen auf ein historisches Tief. Die Geschichte der EZB erstreckt sich zwar nur auf den übersichtlichen Zeitraum von etwas mehr als einer Dekade, aber immerhin: Auch zu Zeiten der Bundesbank hat es einen derart tiefen Zinssatz nicht gegeben.

Allerdings erschöpft sich mit dem Begriff historisch auch schon die Bedeutung des Schritts. Denn die Zinssenkung dürfte für die Mehrheit der EU-Bürger ohne jede Konsequenzen bleiben. Ist das normal?

Formal gesehen ist die Welt des Geldes ja ganz einfach: Wenn die Zinsen fallen, bekommt die Wirtschaft mehr Schwung. Steigen sie hingegen, wird die Konjunktur gebremst. Warum? Weil die Höhe des Leitzinses nichts anderes als der Preis des Geldes ist. Und wenn Kredite durch die Zinssenkung günstiger werden, sollte mehr gekauft, mehr gebaut und mehr investiert werden. So weit, so normal.

Doch derzeit ist nichts normal: Die Zinsen sind zwar tief wie nie, doch in den Banken regiert Furcht. Und wo die Angst herrscht, da wird gespart.

EZB als Großinvestor

Im vergangenen Dezember und im Februar hatte die EZB in zwei spektakulären Aktionen gewaltige Mengen frischen Geldes zu besonders günstigen Konditionen angeboten - zu einem Zinssatz von einem Prozent und mit einer ungewöhnlich langen Laufzeit von drei Jahren. Die Geldhäuser griffen damals beherzt zu, liehen sich insgesamt fast eine Billion Euro. Von denen allerdings flossen umgehend Hunderte Milliarden als Einlagen zur EZB zurück. Schon damals konstatierten Händler: "Der reine Liquiditätsbedarf der Banken ist inzwischen übererfüllt. Das Problem ist, dass das Geld nicht von A nach B kommt. Es hakt an der Umverteilung."

Das Verhalten der Banken ist umso bemerkenswerter, als sie bislang nur mickrige 0,25 Prozent und künftig sogar überhaupt keine Zinsen bekommen, wenn sie Einlagen bei der EZB anlegen. Das ist deutlich weniger, als sie für Kredite bezahlen müssen. Sie machen mit diesen Einlagen also real Verluste. Und dennoch parken sie derzeit mehr als 800 Milliarden Euro bei der EZB - statt sie untereinander und an ihre Kunden weiterzuverleihen.

Ähnlich wird es mit der Zinssenkung sein. Die Banken werden zwar entlastet, doch ihre Kunden, Unternehmen wie Privatleute, werden kaum profitieren. Selbst EZB-Chef Mario Draghi sagte nach der Zins-Entscheidung: "Ich erwarte nicht, dass sich das Verhalten der Banken ändert." Aus seiner Sicht ist aber auch die schwache Nachfrage nach Krediten Ursache dafür, dass in der Euro-Zone so wenig Kredite vergeben werden. Die Wirtschaft traut sich keine Investitionen zu - ein paar Zehntelpunkte weniger Zins werden das nicht ändern.

Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum die EZB unter ihrem früheren Chef Jean-Claude Trichet trotz Krise auf weitere Zinssenkungen verzichtet hatte. Denn die Sorge davor, dass das ohnehin schon so stumpfe geldpolitische Instrument "Zinssenkung" vollends seine Funktion verliert, ist groß. In den Vereinigten Staaten und Japan ist das jetzt schon zu beobachten. Obwohl dort die Leitzinsen praktisch bei null Prozent liegen, gewinnt die Konjunktur nicht an Fahrt.

Die Folge: Der EZB droht der Verlust an Respekt, weil immer offenkundiger wird, dass sie in der aktuellen Krise kaum noch etwas ausrichten kann - zumindest nicht mit den Instrumenten, mit denen sie normalerweise arbeiten soll. Draghi gibt sich gleichwohl zuversichtlich: "Uns gehen die Optionen nicht aus".

Doch die "Optionen" stehen vor allem für die unkonventionellen Methoden der EZB - etwa die Käufe von Staatsanleihen aber auch die Milliardenspritzen für die Banken. Und die sind gefährlich: Mit ihnen ersetzt die EZB Banken und Versicherer in ihrer Rolle als Investor. Sie übernimmt Risiken, die normalerweise von der Privatwirtschaft getragen werden. Die Finanzwirtschaft beschränkt sich neben ihren Einlagen bei der EZB hingegen auf scheinbar sichere Investments, treibt die Preise von Immobilien und Land in die Höhe - und schafft damit die Grundlage für die nächste Krise. Dies umso mehr, wenn jetzt das Geld zumindest für die Banken noch billiger wird.

Die großen Worte, "historischer Schritt" und "rekordtiefe Zinsen" signalisieren also am Ende nur, wie verfahren die Lage in Europa tatsächlich ist.

Und wer der Zinssenkung unbedingt etwas Positives abgewinnen möchte, darf sie als Fingerzeig der EZB verstehen, dass sie immer und überall parat steht, um die Wirtschaft mit Geld zu überschütten. Egal was kommen mag.

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