Süddeutsche Zeitung

Historie:Auf Wiedervorlage

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Die Großbank gab sich nach Skandalen zerknirscht, konnte aber offenbar nicht die Finger lassen von Geschäften mit Kriminellen.

Von Simon Groß und Frederik Obermaier

Das Sinaloa-Kartell gilt, obwohl sein berüchtigter Boss Joaquín Guzmán, der legendäre "El Chapo", seit Jahren in den USA inhaftiert ist, noch immer als eine der mächtigsten Drogenbanden von Mexiko. Bis vor wenigen Jahren hielten die US-Geheimdienste Sinaloa sogar für das größte Verbrechersyndikat südlich der USA; den Umsatz der Mafiosi schätzten sie auf mindestens drei Milliarden Dollar jährlich. Das Geld aus Drogen- und Waffengeschäften, solch schmutziges Geld würde kaum jemand annehmen, der dessen Herkunft kennt: Es musste gewaschen werden.

Vor diesem Hintergrund war der 20. Juni 2012 ein Tag der öffentlichen Demütigung. Ein Rechtsanwalt von Europas größter Bank, der HSBC, musste vor dem US-Senat aussagen. "HSBC nutzte seine amerikanische Filiale, um Tochtergesellschaften aus der ganzen Welt Zugang zum amerikanischen Finanzsystem und deren Kunden Zugang zu Dollar-Dienstleistungen zu verschaffen - dabei spielte HSBC ein falsches Spiel im Umgang mit den US-Bankenregularien", fasste der Senat in einem Satz zusammen, was er in einem 330-Seiten-Bericht der Hongkong & Shanghai Banking Corporation - kurz: HSBC - nach langjährigen Ermittlungen vorzuwerfen hatte. Die Bank zeigte sich reuig und willigte wenig später ein, mehr als 1,9 Milliarden Dollar Strafe an den amerikanischen Staat zu zahlen. Das war die Buße für allerlei schmutzige Geschäfte mit Iran, mit Firmen, die gar nicht am internationalen Geldverkehr teilhaben durften - und für die Hilfe, die dem mexikanischen Sinaloa-Kartell durch die HSBC zuteilgeworden war. Hunderte Millionen Dollar waren über die Bank gewaschen worden.

Mehr als eine Milliarde Dollar floss an Firmen, von denen die HSBC nicht wusste, wem sie gehören

Ein Tag der Läuterung und des Neuanfangs war jener 20. Juni 2012 aber offenbar nicht. Denn genau mit jenem Datum ist eine Überweisung gestempelt, mit der sich die HSBC aufs nächste undurchsichtige Geschäft einließ. Viel mehr als den Namen einer mysteriösen Briefkastenfirma kannte die Hongkonger HSBC-Niederlassung offenbar nicht, als sie an jenem Tag die erste einer Vielzahl von Transaktionen für die Trade Leader Corporation abwickelte. Die Information, wem die Firma eigentlich gehört, sei "nicht verfügbar", meldete die Filiale an ihre Kollegen in den USA. Wie man heute weiß, war das Unternehmen Teil eines riesigen Geldwäsche-Netzwerks - des sogenannten Russian Laundromat.

Insgesamt flossen innerhalb von knapp zwei Jahren gut eine halbe Milliarde Dollar von beziehungsweise an die Trade Leader Corporation - Geld, für das die HSBC "keine schlüssige Quelle oder Angaben zur Verwendung der Gelder" hatte und intern festhielt, dass die Transaktionen "keinen erkennbaren geschäftlichen, wirtschaftlichen oder rechtmäßigen Zweck" hätten. Dies geht aus den FinCEN-Files hervor - einem Leak von mehr als 2100 Verdachtsmeldungen von Banken an das US-Finanzministerium, das die Süddeutsche Zeitung zusammen mit Buzzfeed News, dem ICIJ und Dutzenden Medienpartnern weltweit ausgewertet hat.

Sie sei heute eine "viel sicherere Institution" als 2012, zur Zeit der großen Beichte und Buße, teilt die HSBC auf eine detaillierte Anfrage mit. Die FinCEN-Files wecken jedoch ernsthafte Zweifel, ob der globale Finanzriese mit Filialen in mehr als 60 Ländern aus früheren Fehlern tatsächlich gelernt hat. Vielmehr zeigen die Dokumente, dass die Bank selbst in der Zeit, als sie unter Beobachtung eines unabhängigen Aufsehers stand, offenbar weiterhin Geschäfte mit Drogendealern, Geldwäschern und anderen Kriminellen machte. Eine Analyse der geleakten Daten zeigt, dass allein die HSBC-Niederlassung in Hongkong zwischen 2011 und 2016 mindestens 1,5 Milliarden Dollar für Firmen überwiesen hat, von denen die Bank laut einer ICIJ-Analyse oft nicht einmal wusste, wem sie gehörten. Hunderte Millionen flossen an oder von Briefkastenfirmen, die in Verbindung zu bekannten kriminellen Netzwerken stehen. Die Bank half demnach auch, mindestens 31 Millionen Dollar für Firmen zu verschieben, die - wie später bekannt wurde - brasilianische Staatsgelder unterschlagen haben.

Es ist wie ein Muster, dem man im internationalen Geldgeschäft immer wieder begegnet. Egal, wie hoch die Strafe auch gewesen sein mag, egal, wie oft eine Bank öffentlich bedauert, dass ihre Schutzmechanismen Geldwäsche nicht verhindern konnten, egal, wie oft sie Besserung beteuert: Es wird wieder geschehen. Ein neuer Skandal, eine neue Strafe, wieder warme Worte. In der Summe lesen sich alle internationalen Geldwäsche-Fälle wie ein einziger durchgeschriebener Fortgang, zeitlich markiert durch Beichten und Bußen der verschiedenen Banken, aber nie beendet.

Bereits 2015 hatten Journalisten - unter anderem von der SZ - enthüllt, dass die 1865 gegründete HSBC Konten für Waffendealer unterhalten hatte, die vermutlich Granaten zu Kindersoldaten nach Afrika brachten. Außerdem diente das Institut Handlangern von Diktatoren und mutmaßlichen Händlern von Blutdiamanten oder Drogen. HSBC hatte daraufhin erklärt, man habe sich einer "radikalen Transformation" unterzogen. Die Botschaft: Ab jetzt wird alles besser.

Ein Jahr später wurden die Panama Papers publik. Und keine andere Bank weltweit hatte bei der Skandalkanzlei Mossack Fonseca so viele Briefkastenfirmen gegründet wie die HSBC - mehr als 2300. 2017 wurde schließlich bekannt, dass HSBC mehr als 500 Millionen Dollar für russische Geldwäscher transferiert haben soll.

Und nun also die FinCEN-Files. Sie zeigen, dass die HSBC-Filiale in Hongkong Geschäftsbeziehungen zu Kunden aufrechterhielt, als diese schon als problematisch erkannt waren. So konnte eine Investmentfirma namens World Capital Market noch Geschäfte über die HSBC abwickeln, obwohl Aufsichtsbehörden in Peru, Kolumbien sowie den USA diese längst als Zentrum eines gigantischen Schneeballsystems identifiziert hatten. Selbst als die Börsenaufsicht SEC schon Ermittlungen eingeleitet hatte, transferierte die HSBC noch Millionen für World Capital Market. Der mutmaßliche Hintermann dieses Betrugs an arglosen Investoren, der Chinese Ming Xu, erklärte auf ICIJ-Anfrage, er sei von der HSBC nie zu Geldflüssen befragt worden. "Wenn in einem Land ein Schneeballsystem auffliegt und die Konten in einem anderen Land nicht geschlossen werden, dann ist das kein Versehen", sagt der Banken-Experte Shane Riedel, der einst für die HSBC gearbeitet hat und jetzt eine Beratungsfirma betreibt.

Die Frage ist, was eine Bank nicht erkennen kann - und was sie womöglich nicht erkennen will. So schöpfte die Bank offenbar auch keinen Verdacht, als ein Salvadorianer namens Edwin Antonio Flores Escobar über die HSBC-Kanäle 40 000 Dollar an die Firma Vida Panama überwies. Hätten die Banker diesen Vorgang überprüft, hätte ihnen auffallen müssen, dass dem Mann in El Salvador nicht nur Betrug vorgeworfen wurde, sondern dass er sogar mit dem Perrones-Drogenkartell in Verbindung stehen soll. Der HSBC hätte auch auffallen können, dass eine chinesische Firma namens Wide Grace Limited 2013, verteilt auf vier Tranchen, 143 000 Dollar an Vida Panama überwiesen hat. Wide Grace steht im Verdacht, im großen Stil Kokain zu schmuggeln. Weil aber keine dieser Informationen dazu führte, die Geschäftsbeziehung zwischen der HSBC und Vida Panama zu beenden, transferierte das Geldhaus bis 2016 mehr als 292 Millionen Dollar für das Unternehmen aus Panama, eine Firma, die mutmaßlich für Drogenhändler Geld wusch. Erst als das amerikanische Außenministerium Vida Panama auf seine Sanktionsliste setzte, fiel die obskure Kundschaft auch den Bankern auf.

Auf Anfrage erklärte die HSBC, sich nicht zu verdächtigen Geldtransfers äußern zu wollen. Ein Anwalt von Vida Panama bestätigte die Zahlungen von Wide Grace, es habe damals allerdings keine Hinweise für illegale Aktivitäten der Firma gegeben. Ohnehin sei Vida Panama "fälschlicherweise" sanktioniert worden.

Die "New York Times" sprach von einem "schwarzen Tag für die Rechtsstaatlichkeit"

Keine Strafe, kein Skandal, keine Vorführung wie die durch den US-Senat 2012 konnte das Muster beenden, trotz aller Versprechungen ging das Geschäft mit den dubiosen Kunden bei der HSBC weiter. Nachdem bekannt geworden war, dass die Bank dem Sinaloa-Kartell beim Geldwaschen geholfen hatte, erklärte sie sich bereit, einen unabhängigen Aufseher zuzulassen. Er sollte prüfen, ob die Bank genug unternimmt, um nicht noch einmal Kriminellen behilflich zu sein. Dieses Zugeständnis war neben der Strafe von fast zwei Milliarden Dollar Teil eines Deals, um eine Anklage zu vermeiden - ein Entwurf der Anklage lag schon vor, er umfasste 175 Punkte. Die New York Times beklagte damals einen "dark day for the rule of law" - einen schwarzen Tag für die Rechtsstaatlichkeit. Einige Banken seien "too big to indict" - zu bedeutend, um angeklagt zu werden.

Jahre später sollte durch Recherchen des Guardian bekannt werden, dass Großbritannien (wo die HSBC seit 2013 ihren Hauptsitz hat) großen Druck gemacht hatte, damit es nicht zur Anklage kam. Britische Finanzaufseher warnten die US-Notenbank und das US-Finanzministerium demnach im Falle einer Strafverfolgung der HSBC vor "sehr schwerwiegenden Auswirkungen auf die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität, insbesondere in Europa und Asien". Die Bank sei eine "systemrelevante Finanzinstitution". Eine Verurteilung der HSBC hätte zum Entzug der Bankenlizenz in den USA führen können: Die HSBC wäre dann die längste Zeit eine Großbank gewesen.

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SZ vom 25.09.2020
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