Hipster und Hass:Nur im Netz ein Spottobjekt

Christopher D. Hermelin und seine Schreibmaschine

Christopher D. Hermelin und seine Schreibmaschine

(Foto: Carla Souza)

"Was für ein Depp": Solche Kommentare tauchen routinemäßig unter einem Bild des New Yorkers Christopher D. Hermelin auf, das im Internet kursiert. Darauf ist er mit einer Schreibmaschine im Park zu sehen. Wieso er das tut, ist nicht zu sehen. Jetzt erzählt er seine Geschichte.

Von Hakan Tanriverdi

Christopher D. Hermelin ist ein vergleichsweise durchschnittlicher Typ für New York: Auf dem Foto von ihm, das im Internet kursiert, trägt er Hornbrille, kurze Hosen, Stoffschuhe, das war's - nichts weiter Auffälliges. Aber auf dem Bild gut zu sehen ist auch seine klobige Schreibmaschine, die sich Hermelin auf die Knie gelegt hat. Dort liegt sie, schwerfällig und aus der Zeit gefallen in einem New Yorker Park im August 2012.

Das Bild von Hermelin und seiner Schreibmaschine wurde auf Reddit gestellt. Das ist eine amerikanische Internet-Seite, die man sich vorstellen muss wie einen Aufmerksamkeits-Beschleuniger. Was dort auf der Hauptseite landet, geht mit großer Wahrscheinlichkeit "viral". Das heißt, es wird einmal quer durch das Internet geteilt: von Blogs über Twitter, Facebook und Witzeseiten wie zum Beispiel 9Gag. So auch das Schreibmaschinen-Bild.

Egal, auf welcher der vielen Seiten das Bild von Hermelin auftauchte, ob es 8000-mal geliked wurde oder nur fünfmal, der Tenor ging schnell nur noch in eine Richtung: Was für ein Depp. So ein Aufmerksamkeits-Arsch.

Die Schreibmaschine ist der Grund, wieso sich so viele über Hermelin lustig gemacht haben. Ihn, den Inbegriff eines Hipsters.

Die New York Times beschrieb die Erkennungsmerkmale eines Hipsters unter anderem wie folgt: Der Hipster bevorzuge Modetrends, die seit Jahrzehnten passé seien (bei Hermelin wären das die kurzen Shorts) und habe eine Schwäche für Zeiten, die er selbst nie erlebt habe (die Schreibmaschine). Es seien oftmals Menschen, die in der sogenannten Kreativbranche arbeiteten. Dort bekämen sie angeblich viel Geld dafür, sich Konzepte für Start-ups auszudenken, die am Ende doch nicht umgesetzt werden. Ihr einziger Beitrag für das Stadtleben sei, die Mietpreise hochzutreiben und den ganzen Tag lang in Cafés rumzuhängen, wobei sie sich nur einen einzigen Kaffee kaufen und in Wahrheit also nur zahlenden Kunden die Stühle wegnehmen.

Ein Mensch mit Hornbrille und Schreibmaschine, der dieses klischeebeladene Bild so offensiv zu bestätigen scheint, ist da ein willkommener Boxsack. Aber: So einfach ist die Geschichte nicht.

Denn was auf dem Bild nicht zu sehen ist, beschreibt Hermelin, knapp ein Jahr später. In einem ausführlichen Blogbeitrag auf der Seite The Awl. Der Artikel läuft unter der Überschrift "Im Internet bin ich ein Spottobjekt". Dort heißt es an einer Stelle: "Ohne das Schild sehe ich definitiv ein wenig aus wie ein Verrückter." Auf dem Bild nicht zu sehen ist nämlich ein Schild, das erklärt, was Hermelin mit der Schreibmaschine macht.

Auf dem Schild steht: "Schreibe Geschichten gegen Geld. Zahlen Sie, was Sie wollen." Hermelin ist Schriftsteller. Sein Projekt funktioniert so, dass er sich in den Park setzt, die Schreibmaschine für die nötige Aufmerksamkeit sorgt, die Leute idealerweise sein Schild sehen, neugierig werden und ihn fragen, was das denn für Geschichten seien, die er schreibe.

Das Bild, das immer wieder auftaucht

"Ich schreibe die Geschichten speziell für die eine Person, die sie von mir will", sagt Hermelin. Die Person gebe ihm mal eine grobe Rahmenhandlung, mal habe er freie Hand. In seinen Geschichten gehe es oft um die Stadt New York oder um Skurriles, wie zum Beispiel eine Frau, die sich in einen Frosch verwandle. Er bevorzuge die Schreibmaschine, weil er sich seiner Sätze sicher sein müsse, jeder Schlag müsse sitzen.

Das Geld, das er durch die Kurzgeschichten (ein halbes DIN A4-Blatt pro Story) verdiene, variiert: Mal gebe man ihm einen Dollar. Eine Person habe ihm aber auch schon mal 110 Dollar in die Hand gedrückt.

Hermelin hat, so schreibt er, jeden Kommentar in dem Reddit-Beitrag gelesen. "Ich habe mich nicht vorbereitet auf diesen Dauerbeschuss von diesen hipster-hassenden Internet-Kommentatoren, die alles an mir kritisiert haben: meine blasse Haut, mein Outfit, meine Haare, die Art, wie ich die Schreibmaschinen-Tasten drücke, meine Brille. Ein ganzer Diskussionsstrang hat sich der Frage gewidmet, ob ich meine Beine rasiere oder nicht."

Er reagierte, mischte sich ein und erklärte, dass er der Typ auf den Bildern sei. Er erwähnte den Hintergrund, sein Schreibprojekt und stellte das Bild in den richtigen Kontext. Die Kommentare ebbten ab, die Nutzer begannen, sich zu entschuldigen. Aber, so schreibt Hermelin weiter, "das Internet hat die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches und gleichzeitig ein Langzeitgedächtnis."

Sein Bild sei kurze Zeit später erneut aufgetaucht, wieder musste er sich erklären. Beim dritten Mal habe er einfach nur noch seinen Twitter-Account gepostet und es fortan dabei belassen. Mit seiner Rolle, als der Vorzeigetrottel zu gelten, fand er sich ab. Auch dann noch, als seine Ex-Freundin das Thema aufgriff und darüber schrieb, dass sie ihm nicht mehr entkommen könne, weil überall dieses eine Bild auftauche in der Kombination Hermelin, Schreibmaschine und Beleidigung.

Jetzt, knapp ein Jahr später geht er immer noch raus zum Geschichtenschreiben, wenn das Wetter gut genug ist. Hin und wieder werde dieses Bild hochgespült, aber das könne ihm nicht mehr so viel anhaben. "Ich weiß, dass ich das tue, was für mich persönlich wichtig ist." Für jeden anonymen Kommentar gebe es einen Menschen, der eine Geschichte kaufe, sie lese und ihm gleich vor Ort sage, wie er sie findet.

Keine 21 Stunden nach Erscheinen des Artikels landete der Artikel dort, wo zuvor das Foto war: Auf der Reddit-Hauptseite. Diesmal aber mit der ganzen Geschichte.

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