Süddeutsche Zeitung

Asien:32 Milliarden Dollar ärmer in einer Woche

Gautam Adani, der reichste Mann Asiens, hat mit seiner Adani-Gruppe einen beispiellosen Verlust an der Börse erlitten. Hintergrund ist der Bericht einer US-Investment-Firma, die den Wert des indischen Giganten anzweifelt.

Von David Pfeifer, Bangkok

Das muss man sich erst mal leisten können: Etwa 32 Milliarden Dollar hat der indische Unternehmer Gautam Adani innerhalb einer Woche verloren. Das Vermögen des reichsten Mann Asiens sank laut des Wirtschaftsdienstes Forbes von 119 Milliarden auf 87 Milliarden Euro an diesem Montag. Adani, 60, wird es überleben. Er rangiert damit nicht mehr auf dem dritten, aber immer noch auf dem siebten Platz der Personen mit dem größten Netto-Vermögen der Welt. Doch die ganze Sache ist mittlerweile eine Affäre mit weltpolitischer Tragweite. Und sie ist noch lange nicht vorbei.

Am Sonntag legte die Adani-Gruppe eine Art Gegendarstellung vor, die 413 Seiten umfasst. Damit versucht der indische Konzern schwerwiegende Vorwürfe der US-amerikanischen Investment-Firma Hindenburg aus der vergangenen Woche zu entkräften. "Wie der drittreichste Mann der Welt den größten Unternehmensbetrug durchzieht", lautete eine der Schlagzeilen der so aktivistischen wie recherchefreudigen Investoren. Es geht unter anderem um die Frage, ob die Adani-Gruppe tatsächlich Unternehmen in Offshore-Steuerparadiesen wie Mauritius und der Karibik besitzt, wie sie behauptet. Es geht um den Vorwurf, dass der gigantische indische Mischkonzern einen Wert vorgegaukelt hat, den er nicht decken kann. Die Investoren sagen jedenfalls, die Adani-Gruppe habe "über Jahrzehnte hinweg Aktienmanipulationen und Bilanzfälschungen betrieben".

An der Börse verlor nicht nur Gautam Adani, sondern auch seine "Adani Gruppe" innerhalb einer Woche etwa 66 Milliarden US-Dollar an Wert. Der Konzern drückte es am Sonntag so aus: Der Verlust sei das Ergebnis eines "kalkulierten Angriffes auf Indien". Eine Gegenattacke auf höchster Ebene? Nun, die Nähe von Gautam Adani zu Indiens Premierminister Narendra Modi gibt seit Jahren Anlass zu Spekulationen über die Einflussnahme des Unternehmers auf die Ökonomie Indiens.

Adani brachte es vom Schulabbrecher zum Milliardär

Die Geschichte von Gautam Adani ist in Indien so bekannt wie ein Volksmärchen: Adani brach die Schule ab, war als Kunststoffhändler mit einem Motorroller unterwegs und begann seinen wirtschaftlichen Aufstieg, als Indien seinen geschlossenen Markt in den 1990er-Jahren öffnete: Mit seinem ersten eigenen größeren Unternehmen sicherte Adani sich die Entwicklung des Tiefseehafens Mundra, heute der größte Handelshafen Indiens.

Mit Kohleminen und Kohlekraftwerken wurden Adani und seine Gruppe schließlich wirklich reich. Mehr als 60 Prozent der Einnahmen seiner Holdinggesellschaft stammen aus dem Kohlegeschäft, so die Washington Post. Trotzdem, so heißt es, arbeite Adani weiter in einem eher schmucklosen Büro in seiner Heimat Ahmedabad. Diese ostentative Bescheidenheit teilt er ebenfalls mit Premierminister Narendra Modi.

Die Adani-Gruppe betreibt heute nicht nur Häfen, Flughäfen und Bergbau, sie produziert auch Zement und verkauft Speiseöl. Dass sie vor kurzem auch "ND-TV" kaufte, einen der letzten unabhängigen Nachrichtensender Indiens, wurde international als Warnsignal gewertet. Die Nähe zur Politik lässt nichts Gutes für die Pressefreiheit in Indien ahnen, um die es ohnehin nicht gut bestellt ist: Die Regierung ließ gerade eine BBC-Dokumentation sperren, in der Modi nicht gut wegkommt.

Der Politiker Modi und der Geschäftsmann Adani haben quasi im Gleichschritt märchenhaft Karriere gemacht: Gautam Adani stammt aus dem Bundesstaat Gujarat, die politischen Geschicke dort leitete Modi, bevor er Premierminister Indiens wurde. Modi sorgt sich vor allem um bessere Infrastruktur - wovon Adani profitierte. Und als Modi 2014 zum ersten Mal zum Premierminister gewählt wurde, flog er wiederum in einem Privatjet mit dem violetten Adani-Logo nach Delhi.

Regierung und Wirtschaft sind eng verbunden

Als die Adani-Gruppe sich nun gegen die Vorwürfe verteidigte, war die Wahl des Dekors abermals auffällig. Finanzchef Jugeshinder Singh stand am Sonntag vor einer riesigen indischen Flagge, die ihn wie einen Regierungsbeamten aussehen ließ. "Leider ist das nicht ganz unwahr", kommentierte die Straits Times aus Singapur: "Die Adani-Gruppe ist heute ein wichtiges Vehikel für Indiens wirtschaftliche Ambitionen unter Premierminister Narendra Modi." So weit die Fantasie.

Doch nun eben diese sehr realen Vorwürfe von Hindenburg: Offshore-Fonds und Briefkastenfirmen würden "heimlich" Aktien von Adanis börsennotierten Unternehmen besitzen. Der Wert der gesamten Gruppe sei künstlich aufgepumpt. Fünf der sieben wichtigsten börsennotierten Adani-Unternehmen hätten ein "erhöhtes kurzfristiges Liquiditätsrisiko" und hätten wohl zu Unrecht "himmelhohe Bewertungen", so die Investoren, die sich durch diverse Dokumente gewühlt haben. Die Unternehmen seien "erheblich verschuldet", die finanzielle Basis der Gruppe sei insofern als "prekär" zu bezeichnen.

Und schließlich kritisieren die Investoren auch noch die Verstrickungen zwischen Management und der Gründerfamilie: "Die obersten Ränge der Gruppe und acht von 22 wichtigen Führungskräften sind Mitglieder der Adani-Familie", heißt es von Hindenburg. Damit liege die Kontrolle über den Konzern in den Händen einiger weniger. Tatsächlich sind die Hindenburg-Finanzinvestoren für harte Anschuldigungen gegen Start-ups und etablierte Unternehmen bekannt, die aber mitunter auch zutreffen: Der Elektro-Lkw-Hersteller Nikola wurde falscher Produktversprechen überführt.

Alle Transaktionen seien ordnungsgemäß offengelegt, heißt es zur Verteidigung

Die Gegenrede der Adani-Gruppe: Alle internen Transaktionen seien ordnungsgemäß offengelegt worden, so heißt es in dem 413-seitigen Bericht vom Sonntag. Darin wird dann auch Hindenburg selbst scharf kritisiert. Das Finanzunternehmen ist ein sogenannter Shortseller, ein Leerverkäufer, der auf fallende Kurse eines Unternehmens wettet. "Es handelt sich um einen Interessenkonflikt, der nur darauf abzielt, einen falschen Wertpapiermarkt zu schaffen, damit Hindenburg auf Kosten zahlloser Anleger mit unlauteren Mitteln massive finanzielle Gewinne erzielen kann" - so stellt es die Adani-Gruppe dar.

Es geht also relativ ruppig hin und her, zwischen der Adani-Gruppe und Hindenburg. Im aktuellen Fall erklärt Hindenburg recht lapidar, die Antwort von Adani habe "unsere Erkenntnisse weitgehend bestätigt und unsere wichtigsten Fragen ignoriert", 62 von 88 Fragen, um genau zu sein. Und ja, man sei mittels Anleihen bei der Adani-Gruppe beteiligt und halte Short-Positionen, erklärten die Finanzinvestoren.

Die Adani-Gruppe möchte nun wohl Hindenburg wegen der schwerwiegenden Vorwürfe verklagen. Dort wiederum begrüßt man das, denn so könne man ja alle Fragen vor Gericht klären. Währenddessen will die Adani-Gruppe aber Aktien platzieren - was herausfordernd werden könnte: 2,5 Milliarden Dollar sollen eingesammelt werden, doch jetzt ist ja der Kurs eingebrochen.

Bei Hindenburg ist man sich indes bewusst, dass das alles auch zu politischen Verwicklungen führen könnte, angesichts der Verbindungen von Adani und Modi. Und so versuchen sich die Investoren ihrerseits in Appeasement. "Wir glauben, dass Indien eine lebendige Demokratie und eine aufstrebende Supermacht mit einer aufregenden Zukunft ist", erklärte Hindenburg. Aber: "Wir glauben auch, dass Indiens Zukunft von der Adani-Gruppe aufgehalten wird, die sich in die indische Flagge gehüllt hat, während sie die Nation systematisch ausplündert." Das Ganze könnte noch Stoff für einen Film abgeben, oder einen Netflix-Achtteiler.

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