Hilfswerk Emmaus:Gemeinschaft der Lumpensammler

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Die Mitglieder des Hilfswerks Emmaus reparieren alten Hausrat und verkaufen ihn. So finden Menschen ohne Job und Obdach wieder eine neue Aufgabe.

F. Brüning

Franz Opfergelt hat "Platte gemacht"- er war obdachlos in Köln. Vera Becker aus Kasachstan hat in Deutschland keine Arbeitsstelle gefunden und Ingo, ein ehemaliger Berufsfeuerwehrmann, war süchtig. Heute arbeiten sie alle. Bei Emmaus. Der 57-jährige Franz ist von den dreien am längsten dabei, schon seit 15 Jahren. "Eigentlich können wir nicht miteinander leben und auch nicht miteinander arbeiten. Aber es funktioniert", sagt Willi Does, der mit seiner französischen Frau Pascale seit 25 Jahren die deutsche Emmaus-Gemeinschaft in Köln leitet. Tadellose Lebensläufe und Vorzeige-Bewerbungen spielen bei Emmaus keine Rolle. Nur der Mensch zählt, und zwar der, den viele Arbeitgeber sofort wieder wegschicken würden.

Bei dem Hilfswerk Emmaus bekommen Menschen ohne Job und Wohnung wieder eine Aufgabe. (Foto: Foto: Jardner)

Emmaus ist ein weltanschaulich unabhängiges internationales Hilfswerk, das nach dem Zweiten Weltkrieg von dem französischen Priester Abbé Pierre gegründet worden ist. Der Name geht auf die Emmausgeschichte in der Bibel zurück. Dort treffen zwei Jünger auf dem Weg nach Emmaus den auferstandenen Jesus, ohne ihn zu erkennen. Erst beim gemeinsamen Abendmahl merken sie, mit wem sie zusammensitzen. Seitdem steht Emmaus für den Namen eines Ortes, "wo Verzweifelte die Hoffnung wiedergefunden haben", wie es in den Kölner Vereinsstatuten heißt. Heute gibt es rund 400 solcher Orte in 36 Ländern, die dem Dachverband Emmaus International angehören - drei davon in Deutschland.

Sicherheit durch Zusammenhalt

Im wirklichen Leben lief Abbé Pierre im Jahr 1949 ein Arbeitsloser über den Weg. Der katholische Priester bot dem verzweifelten Mann an, dass er ihm dabei helfen könne, für obdachlose Familien in den Vorstädten von Paris Unterkünfte zu bauen. Damit war der Grundstein gelegt, für die Emmaus-Bewegung und für das Motto: "Arbeit statt Almosen". In Köln arbeiten die Emmaus-Mitglieder heute als "Lumpensammler", wie sie sich selbst in rheinischer Selbstironie nennen. Dabei ist völlig unerheblich, welcher Religion oder Nationalität sie angehören und ob sie gesund oder krank, jung oder alt oder vorbestraft sind. Es zählt allein, dass sie wieder arbeiten möchten, sich sauber halten und akzeptieren, mit anderen Benachteiligten friedlich unter einem Dach zu leben.

Manche schaffen das nur 14 Tage lang, andere bleiben bis zu ihrem Lebensende. "Wir können garantieren, dass die Leute, die es zwei Jahre bei uns ausgehalten haben, sich stabilisiert haben", sagt Willi Does. Sozialhilfe allein würde das nicht garantieren. Erst der soziale Zusammenhalt bei Emmaus gibt diese Sicherheit.

Zurück in die Gesellschaft

Die Kölner Emmaus-Mitglieder sammeln alten Hausrat, reparieren und putzen ihn und verkaufen ihn anschließend als Second-Hand-Ware - mit bescheidenem Gewinn. Es reicht, um die Gemeinschaft eigenständig zu finanzieren und jedem Arbeiter ein Zimmer, Essen und sogar ein kleines Gehalt, inklusive Sozialversicherung und Rücklagen für die Zukunft zu bieten. Ohne zwingend auf zusätzliche Spenden angewiesen zu sein. Weit wichtiger aber ist, dass die Emmaus-Bewohner in Köln - meistens sind es zwölf - durch ihre Arbeit wieder einen Sinn im Leben sehen, Selbstvertrauen zurückgewinnen und vielleicht sogar den Weg aus der kleinen Gemeinschaft zurück in die Gesellschaft finden. Immer mehr wollen deshalb bei Emmaus arbeiten. Immer mehr kaufen aber auch bei Emmaus ein, weil sie sich die Waren im Handel nicht mehr leisten können.

"Wir geben nicht nur den Menschen wieder einen Wert, sondern auch den Sachen, die in unserer Wegwerfgesellschaft keinen Wert mehr zu haben scheinen", sagt Johannes Does, der gemeinsam mit seinen drei Geschwistern und seinen Eltern, die Emmaus in Köln leiten, in der Gemeinschaft aufgewachsen ist und halbtags mitarbeitet. Während der 29-jährige Sozialarbeiter das sagt, betrachtet er eine Lampe, die in der Verkaufshalle in der Geestemünder Straße im Kölner Gewerbegebiet, gleich neben den Ford-Werken, an der Decke baumelt. Die Lampe ist nur an ihrer Aufhängung als solche zu erkennen. Sonst erinnert sie an vier Kartoffelstampfer, die vier Glühbirnen unter gelben Saugnäpfen verbergen. Manche mögen das braun-gelbe Monstrum in die Kategorie Landhausstil einordnen. Aber eigentlich ist die Lampe eine Beleidigung für die Augen. Bisher wollte niemand 25 Euro dafür zahlen.

Die Frage ist, ob ein Käufer kommt und an ihr eine Qualität entdeckt, die auf den ersten Blick nicht zu sehen ist. So wie bei Franz Opfergelt vor 15 Jahren. Seitdem er wieder gebraucht wird, ruht er in sich selbst und möchte bei Emmaus in Köln "bis zum bitteren Ende" bleiben. "Von meinem Leben natürlich", sagt er und lacht. Opfergelt macht gern Scherze. Er trägt ein schwarzes verwaschenes T-Shirt, eine bundeswehrgrüne Dreiviertelhose und Arbeitsschuhe. Wenn er spricht, duftet es ein bisschen nach dem frischem Kaffee, den er in einer Metalltasse mit sich herumträgt. Er ist stolz auf seine Arbeit und die Verantwortung, die er hat.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie hoch das Gehalt der Emmaus-Bewohner ist.

Auf dem 800 Quadratmeter großen Gelände, das die Kölner Emmaus-Gemeinschaft mit einer Erbschaft gekauft hat, die ihnen ein ehemaliges Vorstandsmitglied vermacht hat, stehen heute ein Bürohaus, zwei Lagerhallen, eine kleine Fahrradreparaturwerkstatt, eine kleine Schreinerei, drei Container und drei Bauwagen. Opfergelt führt durch die Lagerhallen. In einer werden gebrauchte Schränke, Betten, Matratzen, Sofas und Sessel verkauft. In der anderen Halle steht ein buntes Sammelsurium aus Elektrogeräten für die Küche, Fernsehern und Fotoapparaten, Kleidung für Erwachsene und Kinder, ein Raum für Weißwäsche, Spielzeug, Geschirr, Taschenbücher, Videos und natürlich die Kasse. Draußen gibt es noch eine Recycling-Stelle, an der Abfälle getrennt werden - eine weitere Einnahmequelle.

Opfergelt ist für den Hausrat zuständig. Er sortiert und sucht aus, was für den Verkauf in Köln geeignet ist oder in Container-Hilfslieferungen nach Osteuropa oder Südamerika geschickt werden kann. Er muss morgens nach der täglichen Arbeitsbesprechung um 8 Uhr 15, Kisten packen und Regale einräumen. Zum Mittagessen fahren alle im kleinen Emmaus-Bus in ihr Wohnhaus in Köln-Longerich, das zum Dormagen-Stift, einer sozialen Einrichtung, gehört und mietfrei bewohnt werden darf. "Jeden Tag wechselt der Küchendienst, es wird gemeinsam gegessen und abgewaschen. Das gemeinsame Leben und das gemeinsame Arbeiten stärkt den Zusammenhalt", sagt Does. Jeder arbeitet dabei so lang, wie es seine Kräfte zulassen.

Essen für Obdachlose

Opfergelt hat viel Kraft. Sein Arbeitstag ist lang. Nach der Mittagspause fährt er zurück aufs Betriebsgelände, wo ab 15 Uhr das Tor für die Kunden geöffnet wird. Auch Samstagvormittag wird gearbeitet. Vier Mal die Woche fährt Opfergeld auch noch mit auf den Appellhofplatz in der Kölner Innenstadt, um Essen an Obdachlose zu verteilen. Die Nahrungsmittel kommen zum Großteil von der Kölner Tafel und meistens schickt das Gesundheitsamt auch noch einen Arzt und eine Schwester, die die Obdachlosen medizinisch betreuen. "Da wird es manchmal ganz schön spät und das bei Wind und Wetter. Wir stehen immer da. Man braucht uns", sagt Opfergelt.

Er weiß, wovon er spricht. "Von November 1993 bis Mai 1994 habe ich Platte gemacht", sagt er, "und dann habe ich auf dem Appellhofplatz Emmaus kennengelernt. Die ersten 14 Tage bin ich nur tagsüber gekommen und habe abends noch im Container geschlafen". Wie er obdachlos geworden ist, verrät er nicht. "Da habe ich jetzt gerade eigentlich gar keine Lust zu", sagt er und presst seine Lippen aufeinander. Dafür erzählt er viel lieber von seiner Tochter, mit der er wieder Kontakt hat und die er jedes Wochenende besucht. Niemand bei Emmaus erzählt sofort, was ihn in seinem Leben aus der Bahn geworfen hat. Ihr Schicksal ist nichts für Ungeduldige.

"Bei uns wohnen Männer und Frauen und manchmal ganze Familien, die gescheitert sind und solche, die sich ihrer Privilegien bewusst sind", sagt Does. Inga Hoolmans beispielsweise weiß, dass es ihr materiell gesehen gut gegangen ist. Sie hat Politikwissenschaften studiert und ein Referendariat begonnen und dann alles aufgegeben, um bei Emmaus zu leben. "Es muss im Leben mehr geben als mein Haus, mein Auto, meine Familie", sagt sie. Ob sie ihr Glück in Köln gefunden hat? "Ja, ich habe es hier gefunden. Aber hier ist nicht mein Endziel, sondern ein Stück auf dem Weg." Hoolmans betrachtet das Leben bei Emmaus als Prüfung. Sie möchte Nonne werden.

Traum von einer eigenen Wohnung

Jene, die das Leben bei Emmaus nicht aus freien Stücken gewählt haben, sondern weil sie nicht so Recht wissen, wo sie sonst hin sollen, sind nicht immer so glücklich wie Franz oder Inga. "Alle haben Kommunikationsprobleme, manche schweigen aber lieber, bevor sie wieder bei unserem wöchentlichen Gesprächsabend von der Obrigkeit platt geredet werden und dann die Doofen sind, weil sie den Mund aufgetan haben", sagt einer, der nicht sagen möchte, wie er heißt. Er träumt im Stillen von einem Leben in einer eigenen Wohnung, einem echten Job und davon, Freunde zu finden. Einige haben diesen Absprung schon geschafft. Gleichzeitig fürchtet er sich aber auch davor, wieder einsam zu sein.

Willi und Pascale Does legen deswegen Wert darauf, dass die Leute wissen, wofür sie arbeiten und nicht vergessen, dass es ohne Emmaus noch schwieriger für sie wäre. Jede Woche hängen sie im Essensraum die aktuellen Zahlen über die Einnahmen und Ausgaben von Emmaus aus. Die Kasse führen sie allerdings selbst: "Wir haben da leider schlechte Erfahrungen gemacht. Die Leute haben sich bedient."

Sie leben dabei genauso bescheiden, wie alle anderen Emmaus-Bewohner. Jeder bekommt ein Brutto-Gehalt von rund 600 Euro, davon gehen 400 Euro für Kost und Logis ab, sowie 150 Euro für die Krankenkasse und für Rücklagen, für den Fall, dass jemand Emmaus wieder verlassen möchte und beispielsweise Geld für eine Kaution braucht. Jedem bleiben genau 50 Euro Taschengeld in der Woche. "Wenn Pascale und ich ein sattes 3000 Euro-Bruttogehalt bekommen und Ein-Euro-Jobber einstellen würden, könnten wir auch leben", sagt Does. "Wir wollen aber teilen und legen Wert auf Selbsthilfe. Das ist einfach eine Lebenseinstellung."

© SZ vom 20.09.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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