Hightech:Das neue Silicon Valley wächst in China

Technologiefirmen aus der Volksrepublik schließen immer schneller auf. Ihre Regierung fördert sie stark.

Von Johannes Kuhn, Las Vegas

Die wachsende Dominanz Chinas auf der Elektronikmesse CES lässt sich jedes Jahr im Aussteller-Katalog nachlesen: Inzwischen sind es bereits fünf Seiten, die allein Hunderte von Firmen mit dem Namen "Shenzhen" im Titel füllen. Die Industriemetropole im Süden der Volksrepublik wird wie das gesamte Land gern auf die Rolle als Werkbank der weltweiten Computerindustrie reduziert. Das Vorurteil, "Made in China" sei nur etwas wert, wenn es auf Produkten westlicher Hochglanz-Marken prangt, hält sich hartnäckig. Die chinesische Firmen selbst seien weder kreativ, noch seien sie an bahnbrechenden Entwicklungen interessiert, heißt es oft abschätzig.

Auf der CES in Las Vegas sieht die Realität derweil völlig anders aus: Elektronik-Marken wie Skyworth, Haier, ZTE, Huawei oder Xiaomi sind bereits weltweit etabliert oder zumindest gerade auf dem Weg dorthin. Immer häufiger sind es chinesische Hersteller, die auf dem Markt für komplettvernetzte Heimgeräte, bei der Gesundheitstechnik für den Heimgebrauch oder in der Robotik den Takt vorgeben. Mit 700 Millionen Smartphone-Nutzern, die häufiger als in jedem anderen Land der Erde ihr Telefon fürs Bezahlen, die Einkäufe, den Medienkonsum oder die zwischenmenschliche Vernetzung nutzen, ist China der Ort für Trendsetter in der Mobilbranche. Kalifornische Unternehmen wie Facebook oder Snap kopieren bereits fleißig Funktionen aus Chinas bekannten Apps.

Es geht um Daten und Geräte, nicht um freie Informationen. Das nutzt Chinas Digital-Industrie

Die anbrechende Zeit der Roboter, von miteinander kommunizierenden Geräten und lernenden Algorithmen nutzt den Unternehmen des Landes: Als es noch um klassische Web-Anwendungen ging, war China ein Sonderfall. Die strenge politische Kontrolle des Internets schottete heimische Firmen vor Konkurrenz ab - aber sie isolierte sie auch. Jetzt geht es um Geräte und persönliche Daten, nicht um freie Presse. Politische Einschränkungen sind da nicht zu befürchten, im Gegenteil.

Die Regierung in Peking behandelt die heimische Technologie-Branche als Lebensversicherung für eine Wirtschaft, die angesichts steigender Löhne auch andere Teile der digitalen Wertschöpfung bedienen muss. Besserer Schutz des geistigen Eigentums soll garantieren, dass Erfindungen auch Rendite ermöglichen. Die Unterstützung durch staatliche Banken ermöglicht Startups und Großkonzernen zugleich ein Wachstum durch Preiskampf, inklusive Blasen-Gefahr. Zugleich investiert der Staat direkt in die relevanten Forschungszweige und die digitale Ausbildung. Im Jahr 2020 wird China Vorhersagen zufolge mehr für die Forschung ausgeben als die USA.

Dass die Regierung sich nicht scheut, sich zugunsten einheimischer Firmen zu engagieren und ausländische Tech-Firmen auszubremsen, ist für die Vertreter des Silicon Valley frustrierend. Unternehmen wie Facebook und Google brauchen den Zugang zum chinesischen Markt nicht nur für ihr aktuelles Wachstum, sondern auch um in der nächsten Phase der Digitalisierung dabei zu sein. Apple beispielsweise entfernte jüngst die App der New York Times aus seinem chinesischen App-Store und zeigte damit, dass Geschäfte mit der Volksrepublik so profitabel wie gefährlich sein können.

Noch haben die kalifornischen Großfirmen den Vorteil, dass sie die zentrale digitale Infrastruktur in der Hand haben und neben großen Kapitalreserven oft auch über erstaunliche Daten- und Kundenbestände verfügen. Doch viele Hightech-Firmen sind weiterhin von ein oder zwei Produkten abhängig, über deren Umsätze sie Experimente in anderen Feldern finanzieren.

Nichts aber ist so vergänglich wie der Erfolg von heute, die Weltwirtschaft hat die Geschichte des belächelten Underdogs schon häufiger erlebt: In der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts galten zunächst deutsche Produkte gegenüber denen der Engländer als minderwertig. Japanische Technologie haftete noch Ende der 1970er-Jahre der Ruf an, minderwertig zu sein. Beide Länder stiegen kurz darauf zu Weltmarktführern auf.

Für die Marktführer aus Kalifornien bedeutet ein Präsident Trump unsichere Aussichten

Noch blickt Chinas Technologie-Branche allerdings ehrfürchtig auf das Silicon Valley. Der kulturelle Einfluss ist enorm und das Gehalt dort deutlich höher. Versuche, mit Subventionen wie kostenlosen Luxus-Wohnungen ausländische Talente nach Shenzhen und andere Orte zu holen, laufen schleppend. Eingeschränkte Lebensqualität und Umweltverschmutzung wirken abschreckend. Und auch die Tatsache, dass Peking einerseits die Technologie-Branche fördert, andererseits aber gerade mit einem Bürger-Bewertungssystem Big Data zum Werkzeug des digitalen Totalitarismus macht, ermuntert Exil-Entwickler nicht gerade zur Rückkehr.

Allerdings stehen auch die USA vor ungewissen Zeiten. Ein vom künftigen Präsidenten Donald Trump angezettelter Handelskrieg mit China könnte für Großkonzerne wie Apple Probleme in der Produktionslogistik bedeuten und andere Firmen ganz von einem wichtigen Zukunftsmarkt abschneiden. Ein möglicher Visa-Stopp für hoch qualifizierte Ausländer würde die Entwicklung im Silicon Valley bereits kurzfristig bremsen, ein forschungsfeindliches Klima die technologiestarken Universitäten langfristig schwächen.

Die nächste Runde im Kampf um die Vormachtstellung in der globalen Digital-Ökonomie wird deshalb womöglich nicht durch Erfindungsreichtum entschieden, sondern durch Politik. Aber darauf setzen sie in Peking und Shenzhen ja schon seit längerem.

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