Herbstgutachten:Bloß keine Euphorie

Die führenden Institute für Wirtschaftsforschung sehen für die nähere Zukunft kaum nennenswerte Probleme - auf lange Sicht schon. Das hängt mit der Alterung zusammen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Pensioners Take In The Sea Air On Ruegen Island As Bundesbank Floats Higher Retirement Age

Das Durchschnittsalter der Gesellschaft wächst und wird Auswirkungen auf die Rente haben.

(Foto: Bloomberg)

Was die Konjunktur angeht, so wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für allgemeine Zufriedenheit. Sie brummt. Weltweit befindet sich die Wirtschaft im Aufschwung, so auch in Deutschland. Die Kapazitäten sind ausgelastet, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Steuereinnahmen sprudeln. Der Aufschwung, so heißt es im neuen Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute, "steht mittlerweile auf deutlich breiterer Basis als noch vor einem Jahr". Am Donnerstag haben die Institute das Gutachten vorgelegt, danach wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 1,9 Prozent, im kommenden um zwei Prozent wachsen. Alle Bereiche tragen dazu bei: Konsum, Investitionen, Ausfuhren. Also alles gut?

"Die deutsche Wirtschaft durchläuft ein Zwischenhoch."

Nicht ganz. Denn die Ökonomen machen sich schon Sorgen, dass die gute Lage die nächsten Probleme übertünchen könnte. "Die deutsche Wirtschaft durchläuft ein Zwischenhoch", sagt Stefan Kooths, der für das Kieler Institut für Weltwirtschaft am Gutachten beteiligt war. Dieses aber könne durch die demografische Entwicklung gedämpft werden. Die Alterung der Gesellschaft zeichne sich nicht irgendwann ab, mahnt der Kieler Forscher. "Sie steht schon vor der Tür."

Was das für die deutsche Wirtschaft bedeuten kann, findet sich im Gutachten versteckt auf Seite 64. Dort findet sich der "Altenquotient", das Verhältnis von Menschen im Rentenalter zu denen, die es noch nicht erreicht haben, aber älter als 15 Jahre sind. Um die Jahrtausendwende lag dieser Wert bei 25 Prozent, mittlerweile bei mehr als 30 Prozent. Zwar habe die Einführung der Rente mit 67 die Kurve abflachen lassen. Nach 2030 aber steige sie auf über 40 Prozent. Das allerdings wirft nicht nur die Frage auf, wer dann welche Renten finanzieren soll. "Bereits für die kommenden Jahre ist zu erwarten, dass der demografische Wandel Spuren im Potenzialwachstum hinterlässt", schreiben die Forscher. Schließlich werde es noch schwieriger, offene Stellen in der Wirtschaft zu besetzen - der Nachwuchs fehlt.

Ob das zwangsläufig zu einem höheren Alter für den Renteneintritt führt, lassen die Institute aber offen. Eine Rente mit 70 anstatt mit 67 könne das Phänomen abmildern, ebenso ein höherer Anteil von Frauen und Älteren oder eine "an den Arbeitsmarkterfordernissen orientierte Zuwanderung" und die erfolgreiche Integration Zugewanderter. Keinesfalls aber dürfe eine künftige Regierungskoalition die Augen vor dem Problem verschließen. "Wenn die Gesellschaft gesünder und älter wird, muss man reagieren", sagt Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo-Institut. Von vornherein eine längere Lebensarbeitszeit auszuschließen sei "die falsche Diskussion". Letztendlich sei alles eine Frage des Dreisatzes: Entweder Arbeitnehmer gingen später in Rente, oder sie bekommen weniger Rente, oder sie zahlen mehr ein. "An irgendeiner Stelle muss sich was bewegen", sagt Wollmershäuser.

Das wiederum dürfte auch bei Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen eine Rolle spielen. Während die FDP Arbeitnehmern auch zugestehen will, erst mit 70 in Rente zu gehen, möchte die Union etwa erst nach 2030 wieder an die Rente rangehen. Das Herbstgutachten befeuert diese Debatte weiter.

Zumal sich die befürchteten Engpässe schon jetzt abzeichnen, der guten Konjunktur wegen. So machten sich "in einigen Segmenten der Wirtschaft erste Zeichen einer Anspannung bemerkbar", sagt der Kieler Forscher Kooths. Immer länger dauere es, bis eine gemeldete Stelle besetzt werden könne. Die Arbeitslosenquote werde von 5,7 Prozent in diesem Jahr auf 5,5 Prozent im kommenden Jahr sinken, und dann noch einmal auf 5,2 Prozent im Jahr 2019. Noch zur Jahreswende werde die Zahl der Arbeitslosen auf unter 2,5 Millionen sinken - erstmals seit dem Sommer 1991.

Wenn aber Arbeitskräfte knapp werden, müssten Löhne steigen - so die Theorie. Tatsächlich erwarten die Institute steigende Tariflöhne, wenngleich auch nur in Maßen. Nach 2,1 Prozent im laufenden Jahr, könnten die Abschlüsse in den beiden nächsten Jahren ein Plus von 2,4 respektive 2,5 Prozent bringen. Hinzu kommt für viele Beschäftigte im Niedriglohnsektor die Anhebung des Mindestlohns um vier Prozent. Bei Fachkräften wiederum rechnen die Institute mit einer Ausweitung der übertariflichen Leistungen, wiederum der guten Lage am Arbeitsmarkt wegen. Die Lohndrift, also der Unterschied zwischen Tarifgehältern und den effektiven Verdiensten, werde dadurch weiter wachsen.

Getrübt werden die Zuwächse allerdings durch steigende Verbraucherpreise. Die Wirtschaftsforscher rechnen mit einem Anstieg um 1,7 Prozent in diesem und im nächsten Jahr. 2019 könnten es 1,8 Prozent sein. Die Folge: Die privaten Haushalte verlieren an Kaufkraft. Während ihr Konsum in diesem Jahr um etwa 1,8 Prozent zulegen wird, schwächt sich das Wachstum in den nächsten beiden Jahren ab; auf 1,7 Prozent im nächsten Jahr und 1,5 Prozent im übernächsten.

Für mehr Konsum aber haben die Institute schon einen Vorschlag. Angesichts seiner Überschüsse solle der Staat an der Einkommensteuer drehen oder die Sozialabgaben senken, etwa für die Arbeitslosenversicherung. Dann hätten die Bürger auch wieder mehr Geld - zum Ausgeben.

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