Heiner Flassbeck:Die Mär vom Lohnverzicht

Lohnerhöhungen notwendig: Nur wenn die Konsumenten erwarten können, dass ihre Einkommen steigen, kann Deutschland aus eigener Kraft die Krise überwinden.

Heiner Flassbeck

Beschäftigungssicherung ist das Gebot der Stunde. Beschäftigungssicherung ist das, was Belegschaften wollen. So oder so ähnlich klingt es aus den Vorstandsetagen wichtiger Gewerkschaften. Die IG Metall stellt die Beschäftigungssicherung sogar über die Lohnforderung. Das bedeutet, die Mitarbeiter verzichten auf eine Lohnerhöhung oder sie arbeiten weniger, wenn die Zahl der Arbeitnehmer im Betrieb gehalten wird.

Heiner Flassbeck, dpa

Heiner Flassbeck war unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und ist heute Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, UNCTAD.

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Doch dieses vermeintlich gute Zusammenspiel entpuppt sich oft als schwerwiegender Irrtum. Lohnverzicht kann die Beschäftigung in einem einzelnen Betrieb sichern - gesamtwirtschaftlich führt er tiefer in die Rezession. Die Gewerkschaften haben lange nicht hinterfragt, wie die Verkürzung der Arbeitszeit und ein damit verbundener Lohnverzicht auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirken. Das rächt sich jetzt in der Krise.

Nehmen wir den mittlerweile klassischen Fall. Der Autokonzern Daimler macht Verluste. Er kürzt daher die Arbeitszeit der Mitarbeiter, die nicht in Kurzarbeit sind, im Einvernehmen mit den Gewerkschaften um zehn Prozent. Im Gegenzug verzichtet das Unternehmen auf Kündigungen. Folglich sinkt die Lohnsumme der betroffenen 90.000 Arbeitnehmer um zehn Prozent. Dies ergibt bei einem durchschnittlichen Monatslohn von 4000 Euro eine Kostensenkung für das Unternehmen von etwa 400 Millionen Euro. Immerhin werden dadurch die erwarteten Verluste von Daimler erheblich reduziert.

Die zweite Rechnung

Die gesamtwirtschaftliche Rechnung sieht dagegen anders aus: Die 400 Millionen Euro verringern die Kaufkraft der Daimler-Mitarbeiter. Wenn die Beschäftigten den Gürtel enger schnallen, wirkt sich das auf die Nachfrage nach Gütern anderer Unternehmen aus. Die zu erwartenden Verluste dieser Firmen steigen also genau in dem Ausmaß, wie sich die von Daimler erwarteten Verluste vermindern. Für die Volkswirtschaft als Ganzes bringt die Sparmaßnahme des Autokonzerns und seiner Gewerkschaften folglich schon im ersten Zug keine Verbesserung. Wenn nun andere Firmen wegen der erwarteten Verluste dem Daimler-Beispiel folgen und die Löhne kürzen, dann führt das direkt in die Katastrophe.

Nehmen wir an, die Löhne der zehn Millionen Beschäftigten aller Industriebetriebe in Deutschland würden im Laufe des nächsten Jahres im Einvernehmen mit den Gewerkschaften um zehn Prozent gesenkt werden, dann sinkt - wiederum bei unverändertem Sparverhalten der Arbeitnehmer - die gesamtwirtschaftliche Nachfrage allein von dieser Seite um etwa 50 Milliarden Euro. Was werden die Unternehmen tun, wenn sie merken, dass ihre Verlusterwartungen immer wieder falsch sind, weil die Nachfrage immer wieder schwächer ist als erwartet? Werden sie noch einmal mit den Gewerkschaften verhandeln, um eine Lohnkürzung von 20 Prozent zu erreichen? Vielleicht werden sie auch versuchen, ihre Marktanteile bei sinkender Nachfrage dadurch zu halten, dass sie die Preise senken.

Auf der Suche nach der Kaufkraft

Der skizzierte Effekt tritt ein: Wenn dies nur ein Unternehmen macht, dann verschlechtert sich die Situation aller anderen. Tun es alle Unternehmen, sinken die Preise vielleicht so stark, dass die Arbeitnehmer ihren ursprünglichen Kaufkraftverlust wieder ausgleichen können. Dies hätte zur Folge, dass sie real so viel in der Tasche haben wie vorher, obwohl sie weniger arbeiten. Dann ergibt sich gar keine Kostensenkung, wohl aber eine Deflation, die zu Kaufzurückhaltung führen würde, weil alle erwarten, dass die Preise bald noch stärker fallen.

Konsum, Waschmaschinen, ddp

Wenn die Löhne steigen, springt auch die Konjunktur an.

(Foto: Foto: ddp)

Es gibt nur einen Weg

Was also sollen die Gewerkschaften tun? Sie können doch keine Lohnerhöhungen fordern, so als gäbe es gar keine Krise, hört man allenthalben. Doch, das genau ist der einzige Weg, um die Krise rasch zu überwinden. Nur wenn die Konsumenten in Deutschland - und das sind überwiegend Arbeiter und Rentner - erwarten können, dass ihre Einkommen trotz Krise im normalen Umfang steigen, kann Deutschland aus eigener Kraft die Krise überwinden. "Normaler Umfang" bedeutet, dass die Löhne entsprechend dem mittelfristigen Trend des Produktivitätszuwachses von etwa 1,5 Prozent plus der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent erhöht werden.

Das können die Unternehmen jedoch nicht darstellen, deren Gewinne in der Krise stark gesunken sind, wird dagegen eingewendet. Auch wenn man nicht vergessen sollte, dass die Gewinne vieler Unternehmen vor allem im Auslandsgeschäft in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert sind, ist das Argument sicher in vielen Fällen nicht von der Hand zu weisen. Doch die gesamtwirtschaftliche Logik lässt keine andere Lösung zu, wenn Deutschland auf einen stabilen Wachstumspfad gelangen will.

Der Export wird Deutschland nicht retten

Die Hoffnung auf den Export, der durch sinkende Kosten angeregt würde, ist diesmal vergebens: Der Euro ist kräftig gestiegen und würde noch weiter steigen, wenn die größte Volkswirtschaft der Eurozone auf steigende Außenhandelsüberschüsse setzen würde. Hinzu kommt, dass der Konsum und die Investitionen in Europa und den USA sehr schwach sind, Osteuropa noch tief in seiner Finanzkrise steckt und die Länder Asiens alles daran setzen, Exportüberschüsse zu erzielen.

Es gibt nur dann einen Weg aus der Krise, wenn der Staat über die Verschuldung der Wirtschaft einen Impuls gibt. Die Unternehmen sollten dadurch in die Lage gebracht werden, bei der Entlohnung das gesamtwirtschaftlich Richtige zu tun. Eine Steuersenkung, wie von der Regierung geplant, ist dazu allerdings das am wenigsten geeignete Mittel. Es würden sicher 15 bis 20 Prozent dadurch verpuffen, dass die Menschen mehr sparen und die berühmten "Leistungsanreize" reine liberale Phantasie sind.

Weil man die Problematik der lohninduzierten Konsumschwäche in den USA weit besser als bei uns erkennt, ist der amerikanische Staat mit seiner Defizitpolitik viel aggressiver als europäische Staaten. Um die Falle Lohnsenkung, in die eine Marktwirtschaft ohne staatliche Mitwirkung tappt, zu vermeiden, wird das US-Defizit in diesem Jahr etwa dreimal so hoch sein wie das deutsche - gemessen am Bruttoinlandsprodukt etwa zwölf Prozent. Dort hat man aus der Erfahrung Japans gelernt, das seit fast 20 Jahren erfolglos versucht, der deflationären Lohnpolitik zu entkommen.

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