Heimwerken:Warum Basteln so im Trend liegt

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Erst ausrüsten, dann loslegen: Schutzkleidung und gutes Werkzeug ist wichtig. Von Billigware raten Experten meist ab. (Foto: imago/Westend61)

Nähen, Sticken, Schleifen und tropfende Wasserhähne reparieren: Selbstmachen boomt. Das ist ein Glück für die Baumärkte.

Von Bernadette Winter, Stuttgart

"Ich habe schon als Kind gerne alles auseinander genommen und wieder zusammen gebaut", sagt Joël Ernsdorff. Bei seinem ersten Hausanbau - da war er 20 Jahre alt - wollte er hauptsächlich Geld sparen. Also legte er selbst Hand an. Die ersten Wände habe er einige Male wieder abgeklopft, bevor sie schön genug waren, berichtet er. Doch der Funke war übergesprungen. Der gelernte Elektriker und Flugzeugmechaniker hat sich dann auch das Selbermachen selbst bei gebracht. Der 45-Jährige besuchte Stuckateure, Schreiner oder Maurer und schaute sich von ihnen alles ab. Mittlerweile hat der Luxemburger drei Häuser gebaut und regelt außer Gas, Wasser und Elektrik die anfallenden Arbeiten alleine. Heute sagt er: Etwas selbst geschaffen zu haben, gibt den Dingen eine gewisse Wertigkeit.

Die Begeisterung fürs Selbermachen geht bei Ernsdorff sogar so weit, dass er sie unbedingt an andere weiter geben will. Besuch in einem Baumarkt im rheinland-pfälzischen Bingen an einem ganz normalen Samstag. "Ganz wichtig: mit der Uhr reindrehen, gegen die Uhr raus", sagt Ernsdorff und hält das Gewinde demonstrativ in die Luft. Vorsichtig nimmt er die Rolle Teflonband, wickelt es straff um das Gewinde und knipst das Ende ab. "Das könnten Sie jetzt zum Beispiel mit dem Wasserhahn verschrauben, es wird nicht mehr tropfen." Eifriges Nicken ist die Antwort. "Als ich das probiert habe, hat sich das Band verkrumpelt", merkt Bianca Marx-Gibson an. "Deshalb ist die Drehrichtung entscheidend", entgegnet Ernsdorff.

Marx-Gibson kommt aus Bingen. Als sie umzog, wollte sie sowohl in der alten als auch in der neuen Wohnung so viel wie möglich selbst gestalten. Um Geld zu sparen und nicht auf Hilfe angewiesen zu sein. Zusammen mit zehn anderen Frauen lernt sie von Kursleiter Ernsdorff, wie man mit tropfenden Armaturen umgeht oder die Heizung entlüftet.

Die Damen liegen voll im Trend, denn Selbermachen ist "in". Vom Hosen-Schnittmuster bis zur komplizierteren Fassadenrenovierung findet sich im Netz längst so ziemlich jede Gebrauchsanweisung. Das dient der Entspannung, ist ein guter Ausgleich zu sitzender Büroarbeit und verschönert ganz nebenbei noch das eigene Zuhause oder pimpt den Kleiderschrank auf. Nach Angaben der Do it yourself Academy besuchen drei Viertel aller deutschen Haushalte mindestens einmal jährlich einen Baumarkt. Das Schulungsinstitut wurde 1988 als Deutsche Heimwerker Akademie gegründet. Seither bietet sie - wie in Bingen - Kurse in Baumärkten, aber auch in eigenen Werkstätten an. Waren es 2014 noch 620 solcher Lehrgänge, wurden 2016 bereits über 1400 angeboten. Etwa 20 Prozent davon sind spezielle Angebote für Frauen. Denn für sie hat "Do it yourself" nicht unbedingt nur was mit Stricken oder Häkeln zu tun.

Manuela Lay zum Beispiel erzählt am Rande des Kurses "Kleinreparaturen im Haushalt", sie habe schon Wasserrohre und Laminat selbst verlegt oder tapeziert. "Klar ist das viel Arbeit, ohne einen gewissen Enthusiasmus macht man das nicht", sagt die 55-Jährige. "Meist probiere ich einfach aus, wenn es nicht klappt, dann wird noch einmal probiert." Zum Ausgleich malt sie mit Acrylfarben. Ihre Werke konnte sie bereits öffentlich ausstellen und sogar verkaufen. Noch ein netter Nebeneffekt des Do-it-yourself-Trends -wer will, kann damit auch Geld verdienen.

Nach Ernsdorffs Erfahrung gehen Frauen vorsichtiger ans Heimwerken. Erst nach langem Grübeln und Studieren fassen sie mal eine Bohrmaschine an. Viele hält die Angst vor dem Gerät davon ab. Es könnte ja etwas kaputt gehen. Männer dagegen meinen häufig, das nötige Wissen für handwerkliche Arbeiten schon mit der Muttermilch intus zu haben. Sie machen einfach, und wenn das Loch zu groß ist, wird es eben wieder zugespachtelt. Frei nach dem Motto: Man muss auch mal kreativ scheitern, dann ist die Freude über einen Erfolg umso größer.

"Der finanzielle Aspekt spielt zwar eine Rolle, aber es ist auch ein großer Spaß, etwas selbst zu erschaffen", erklärt Klaus Radwanski. Der Binger Marktleiter muss es wissen. Er ist qua Beruf nicht nur passionierter Heimwerker, er hat sich auch das Sticken beigebracht. Dafür hat er lediglich einen Nähkurs besucht. "Um zu lernen, wie man Reißverschlüsse erneuert", sagt er. Später kaufte sich Radwanski eine gebrauchte Stickmaschine, jetzt verziert er seit vier Jahren zur Freude seiner Frau Tischdecken.

Was begeistert die Menschen so am Basteln und Werkeln? Laut Trendforscher Harry Gatterer geht es vor allem darum, etwas zu erschaffen, mit dem sich die Heimwerker identifizieren können. "Immer mehr Menschen arbeiten hochgradig spezialisiert und technisiert", erklärt der Geschäftsführer des Zukunftsinstituts mit Sitz in Frankfurt und Wien. "Sie haben immer weniger das Gefühl, wirklich etwas zu Ende gebracht zu haben." Das soll die Freizeit ausgleichen. Dabei muss die Eigenkreation nicht mal perfekt sein. "Wir suchen nach unserer Identität und wollen mit unserem schön gestalteten Wohnzimmer zeigen, wer wir sind", sagt der Forscher. Perfektion sei unmenschlich, das könnten nur Maschinen. "Wir wollen ja gerade nicht, dass es aussieht wie aus dem Katalog." Trends wie Upcycling, bei dem aus altem Material etwas Neues entsteht, entsprächen genau diesem Bedürfnis.

Ein Bedürfnis, das auch die Baumärkte erkannt haben. "Die Branche wächst im Schnitt um ein bis zwei Prozent pro Jahr", sagt Peter O. Wüst, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Heimwerker- und Baumärkte e.V. Dabei machen die Klassiker wie Schrauben, Nägel und Bohrmaschine heute nur noch ein Drittel des Gesamtumsatzes aus. Längst haben hier auch Dinge wie Acrylfarben und Leinwände oder Gartenutensilien Einzug gehalten. Gut die Hälfte der Baumarktbesucher sind laut Wüst Frauen. "Sie entscheiden, was gekauft wird und packen dann auch gerne selbst mit an. Die Zeiten, in denen nur Männer die Kreissäge schwangen und Frauen strickten, sind vorbei."

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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