Süddeutsche Zeitung

Heikles Thema Eurobonds:Sprengstoff zum Nachtisch

Kanzlerin Merkel wehrt sich vehement dagegen. Doch Frankreichs Präsident Hollande will beim Abendessen der EU-Mächtigen in Brüssel "alles auf den Tisch bringen" - auch das Streitthema Eurobonds. Was steckt hinter dem Begriff? Welche Varianten sind in der Diskussion? Warum sperrt sich Deutschland so dagegen?

Kathrin Haimerl, Brüssel

Eine Pressekonferenz in Brüssel. Vorne werden gerade "Pfeiler" aufgelistet, ein Wort, das Ökonomen gerne benutzen. Es geht darum, die Finanzstrategie in bildhafter Sprache zu erklären, die zusätzlich noch Sicherheit und Stabilität suggeriert. Irgendwo im Hintergrund scheppert es gewaltig, die Gegend um den Schuman-Platz in Brüssel, wo die EU-Institutionen angesiedelt sind, ist seit Jahren eine große Baustelle. "Das war dann wohl der vierte Pfeiler", scherzt einer der Journalisten. Gelächter im Saal.

Gescheppert hat es auch schon im Vorfeld dieses informellen Gipfeltreffens zwischen den Staats- und Regierungschefs. Politiker sind deshalb bemüht, die Bedeutung des "Abendessens für Wachstum" herunterzuspielen: Es handle sich um eine reine "Ideensammlung" vor dem offiziellen Gipfel Ende Juni, heißt es aus Berliner Regierungskreisen, Entscheidungen werden nicht erwartet. Auch EU-Diplomaten halten sich bedeckt. Nur so viel: Sollten die Gespräche auf das Thema Eurobonds kommen, dann "wird es eine ganze Anzahl an Reaktionen geben", heißt es im Vorfeld. Die Eurobonds seien für "einige Delegationen" ein "umstrittenes Gebiet".

Für die deutsche Delegation sind Eurobonds übrigens "kein Thema", hieß es am Vortag aus Berlin. Anders sieht das Frankreich: "Es geht darum, alle Ideen für das Wachstum auf den Tisch zu legen", sagte der neue Präsident François Hollande nach einem Treffen mit dem spanischen Regierungschef Mariano Rajoy. Hollande wolle alles dafür tun, dass das hoch verschuldete Griechenland Teil des Euro-Raums bleibe.

Ein Überblick über die Debatte um die neue Anleiheform:

Was sind Eurobonds?

Dabei handelt es sich um europäische Staatsanleihen, mit denen die Schulden in der Eurozone vergemeinschaftet werden sollen. Die Euroländer würden also gemeinsam Schulden am Finanzmarkt aufnehmen, die Mittel unter sich aufteilen und zusammen für die Rückzahlung der Schulden inklusive Zinsen haften. Ziel ist es, die Eurozone zu stärken und heftige Kapitalbewegungen innerhalb der Währungsunion zu unterbinden. Während Berlin für Bundesanleihen relativ wenig Zinsen zahlt, schießen Staatsanleihen von Krisenländern extrem in die Höhe. Gemeinsame Staatsanleihen würden bewirken, dass die Zinskosten für alle gleich sind. Das wiederum heißt aber auch, dass Länder mit soliden Staatshaushalten vergleichsweise mehr, Krisenländer wie Italien oder Spanien dafür aber deutlich weniger zahlen müssten. Experten hoffen, dass damit die Eurozone als Ganzes von den Ratingagenturen eine höhere Bewertung erhalten könnte und überschuldete Staaten wieder leichter an Geld kämen.

Was ist der Unterschied zu Projektbonds?

Ganz sicher auf der Themenagenda des Gipfels an diesem Abend stehen EU-Diplomaten zufolge sogenannte Projektbonds. Diese sollen in der EU Milliardeninvestitionen für bestimmte grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte ermöglichen. Am Tag vor dem Gipfel haben sich Rat und Europaparlament auf ein Pilotprojekt geeinigt. Die Einigung soll an diesem Abend den EU-Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden. In einer Art "wilden Phase" will die EU von 2012 bis 2014 230 Millionen Euro aus ihrem Haushalt als Garantien zur Verfügung stellen, um Investoren aus der Privatwirtschaft anzulocken. Damit übernehmen die EU-Länder wie bei Eurobonds ein gewisses gemeinsames finanzielles Risiko. Sollte sich das Projekt als erfolgreich erweisen, könnte im EU-Haushalt 2014 bis 2020 eine sehr viel größere Summe zur Verfügung gestellt werden.

Welche Varianten sind bei Eurobonds in der Diskussion?

[] Am radikalsten ist die erste Variante: Sämtliche Staatsanleihen im Euroraum würden auf Eurobonds umgestellt, die Rendite also für alle Staaten vereinheitlicht. Schulden und Haftung in der Währungsunion würden auf diesem Weg komplett vergemeinschaftet.

[] Die zweite Variante sieht nur eine teilweise Ablösung einzelstaatlicher Anleihen vor. Die Länder würden sich nur bis zu einem bestimmten Grad über gemeinschaftliche Anleihen refinanzieren, beispielsweise bis zu der in den Maastricht-Kriterien vorgegebenen Schuldenobergrenze. Alles, was darüber liegt, müssten die Länder selbst decken. Trotz gemeinsamer Haftung also könnten die Finanzmärkte nach wie vor zwischen den einzelnen Ländern differenzieren, so dass die Anreize für Haushaltsdisziplin hoch blieben. Der Brüsseler Think Tank Bruegel spricht von "blauen", sichereren, und "roten", unsichereren Bonds.

[] Bei der dritten Variante gibt es zwar ein Gemeinschaftspapier, die Euroländer würden also ihren Finanzbedarf zum Teil über gemeinschaftliche Anleihen decken. Allerdings würden sie auch nur anteilig haften. Der Grundgedanke, der hinter der Einführung von Eurobonds steckt, ist hier kaum mehr umgesetzt. Allerdings wäre für dieses Modell keine Änderung der EU-Verträge nötig.

Warum sträubt sich Deutschland so gegen Eurobonds?

Im Moment kann sich Deutschland zu besonders günstigen Konditionen Geld an den Kapitalmärkten leihen, da Bundesanleihen als besonders sicher gelten. Bei einer Vergemeinschaftung der Schulden müsste Deutschland seine Spitzenbonität zur Verfügung stellen, um schwächeren Mitgliedstaaten den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Unterm Strich kämen auf Deutschland Mehrkosten von mehreren Milliarden Euro zu, das Münchner Ifo-Institut geht von 47 Milliarden Euro aus. Offiziell lautet die Argumentation der Bundesregierung freilich anders: Sie warnt davor, dass mit der Vergemeinschaftung der Schulden die Anreize für Krisenländer wegfallen würden, die nötigen Sparmaßnahmen zu ergreifen. Außerdem gebe es keinerlei Rechtsgrundlage für diese Art gemeinsamer Anleihen. Vielmehr enthalte Artikel 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein ausdrückliches Verbot. Dabei handelt es sich um die sogenannte Nichtbeistands-Klausel, die ausschließt, dass ein EU-Land für ein anderes haftet. Allerdings erfolgen auch die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Eurorettung in einer rechtlichen Grauzone.

Steht Deutschland damit alleine?

Nein. Ähnlich wie die Bundesregierung sehen es andere Länder mit vergleichsweise soliden Staatshaushalten. Österreich zum Beispiel: Nachdem die EU-Kommission im Dezember vergangenen Jahres ihre Vorschläge für Eurobonds vorgelegt hatte, hatte Finanzministerin Maria Fekter bereits erklärt, dass diese "für Österreich ein großer Nachteil" wären. Nun bekräftigte sie ihren Widerstand: Solange die Haushaltsdisziplin in den Eurostaaten nicht zur Gänze eingehalten werde und es keinen direkten Einfluss darauf gebe, wie Staaten wirtschaften, "werde ich die österreichische Bonität nicht dafür hergeben". Ähnlich die Haltung Finnlands und der Niederlande. Die finnische Finanzministerin Jutta Urpilainen hatte im vergangenen Jahr Eurobonds als "ausgeschlossen" bezeichnet. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte bekräftigte am Rande des Nato-Gipfelds in Chicago die ablehnende Haltung seines Landes: "Wir sehen Eurobonds nicht als Lösung für die Krise", sagte er niederländischen Presseberichten zufolge. Doch auch der konservative spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy zeigte sich skeptisch, obwohl sein Land selbst von der Krise betroffen ist. Gemeinsame Anleihen benötigten Zeit. Wichtiger für das Wachstum in der EU sei Finanzstabilität.

Wie ist die Haltung der Kommission?

Die Kommission macht sich bereits seit längerem für gemeinsame Anleihen stark. Im November vergangenen Jahres präsentierte sie ein Grünbuch zur Einführung sogenannter Stabilitätsanleihen. Darin stellt sie die genannten drei Varianten zur Debatte. Im Vorfeld des informellen Gipfels drängte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn darauf, dass dem Vorschlag der Kommission möglichst bald ein "mittel- bis langfristiger Fahrplan" folgen müsse. Ziel müsse eine stärker abgestimmte Haushalts- und Wirtschaftspolitik in der EU sein.

Wie ist die Haltung des Europaparlaments?

Das Europaparlament verabschiedete im Februar einen Aufruf, wonach Eurobonds "eine wichtige Komponente mittelfristiger Lösungsansätze" seien. Die Parlamentarier begrüßten das Grünbuch der Kommission, allerdings müsse an einigen Punkten noch "gefeilt" werden, "um potentielles moralisches Fehlverhalten" zu verhindern.

Mit Material von dpa-insight

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