Traumjobs - so sind sie wirklich:"Der Körper entscheidet selbst, wann es so weit ist"

Traumjobs - so sind sie wirklich: Nach drei Jahren im Kreißsaal kennt Naomi Hampl den Grundkonflikt, der viele Hebammen plagt: Ist es möglich, den einzelnen Frauen gerecht zu werden?

Nach drei Jahren im Kreißsaal kennt Naomi Hampl den Grundkonflikt, der viele Hebammen plagt: Ist es möglich, den einzelnen Frauen gerecht zu werden?

(Foto: Catherina Hess)

Sie helfen Frauen, Kinder zur Welt zu bringen. Für viele gibt es nichts Schöneres, dennoch ist der Personalmangel gewaltig. Ein Arbeitstag mit einer jungen Hebamme, die den ständigen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit kennt.

Von Helena Ott

Die Türen zu Kreißsaal drei gehen auf und zu. Aber Naomi Hampl bleibt bei ihr, ganz dicht steht sie neben der schwangeren Frau. Die 34-Jährige hatte schon am Tag zuvor Wehen im Fünf-Minuten-Takt, aber der Muttermund ist kaum einen Zentimeter geöffnet. Mit weiß gemustertem Krankenhauskittel sitzt sie auf der breiten Liege, die Füße auf einem kleinen Tritt. Ihre Stimme ist brüchig. In der Nacht habe sie kaum Schlaf gefunden. "Das Problem ist, dass sie inzwischen starke Schmerzen und kaum noch Kraft hat", sagt Hampl vor dem Zimmer. Sie hat den Stationsarzt gerufen, er soll der 34-Jährigen eine PDA, eine Narkose für das Becken, legen.

Aber erst kommt die nächste Wehe. Die Frau drückt die Hand von Naomi Hampl, bis die Fingerspitzen weiß werden. Mit offenem Mund stößt sie dumpfe Laute aus. "Atme tief durch die Nase ein und laaaange durch den Mund aus", sagt sie mit ruhig dahinbrummender Stimme auf Englisch zu der Frau, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. "Sehr gut machst du das." Naomi Hampl hält sie durchweg an den Schultern fest. Aber wer kümmert sich so lange um die andere Schwangere, die sie gleichzeitig betreut?

Traumjobs

Die SZ-Serie "Traumjobs - so sind sie wirklich" erklärt, wie Berufe wie Feuerwehrmann, Meeresbiologin oder Schauspieler wirklich sind. Was kann man verdienen? Wie sind die Arbeitsbedingungen? Wie erfüllend ist das? Alle Folgen finden Sie auf dieser Überblicksseite.

Manchmal ist das Betreuungsverhältnis 1:4

Die Frage stellen sich Hebammen, die im Kreißsaal arbeiten, ständig. Wer braucht ihre Hilfe dringender? Jetzt bloß nichts übersehen. Jeden Tag dabei zu helfen, wie neue Menschen geboren werden, das ist ohne Frage ein Traumjob. Es ist aber eben auch ein Mangelberuf. Im Durchschnitt kümmert sich eine Hebamme um drei Gebärende gleichzeitig. Das ergibt ein wissenschaftliches Gutachten der IGES-Stiftung 2020. Bei hoher Auslastung im Kreißsaal betreuen 85 Prozent sogar drei bis vier Frauen. Der Mangel ist nicht neu: Schon 2015 hatte fast jede zweite Klinik Probleme, offene Stellen zu besetzen. Inzwischen fehlen nach einer Befragung des Deutschen Hebammenverbands (DHV) durchschnittlich 1,6 Hebammen pro Klinik.

"Es ist jedes Mal einfach wahnsinnig berührend." Je anstrengender und schwieriger eine Geburt, desto größer sei im Nachhinein die Erleichterung, sagt Hampl. "Da fließen schon auch mal Tränen bei mir." Durchschnittlich acht Kinder werden in der Geburtsklinik in der Münchner Innenstadt in 24 Stunden geboren. Die 23-jährige Hampl mit den dunklen Korkenzieherlocken arbeitet seit drei Jahren am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Aber auch sie hadert immer wieder mit dem Spagat zwischen Anspruch und der Wirklichkeit. "Man geht ja in den Beruf, um Frauen zu stärken bei der Geburt und sie auch mental zu unterstützen."

In Kreißsaal drei sticht der Arzt jetzt eine dicke Nadel mit einem dünnen Röhrchen in den Rücken der Schwangeren. Mit sanftem Druck versucht er, zwischen die Wirbelkörper und ein Stück nach oben zu gelangen. Doch es klappt nicht, er kommt nicht weiter, ohne dass die Frau Schmerzen hat. Nach dem zweiten Anlauf holt er die Oberärztin dazu. Obwohl sie eine lokale Betäubung gespritzt bekam, spürt die Frau etwas, "wie kleine Stromstöße", sagt sie. Ihre Beine zittern, und sie beißt die Zähne zusammen. Naomi Hampl versucht, sie zu beruhigen. "Wir passen auf dich auf, das schaffst du", sagt sie. Der zweite Versuch der Oberärztin gelingt. Endlich. Naomi Hampl rät der 34-Jährigen, eine Kleinigkeit zu essen, und sich, so gut es geht, auszuruhen. Das sei jetzt wichtig, dass sich auch der Muttermund entspannen und damit weiter öffnen könne, erklärt die Hebamme.

Weniger Kontrolle, mehr Extremwetter

Sie wirkt souverän, wie jemand, der sein Handwerk beherrscht, dabei hat sie erst im vergangenen Jahr ihre Examensprüfung abgeschlossen. Aber Geburten bleiben etwas Archaisches, das der Mensch nicht zu steuern vermag. "Der Körper der Frau und das Kind entscheiden selbst, wann es so weit ist", das sagt Hampl auch den Schwangeren. Ihr Jahrgang war der letzte, der an der Hebammenschule ausgebildet wurde, 2021 wurde es zum Studienfach umgewandelt. Der hohe Praxisanteil wurde beibehalten, regelmäßig begleiten Studentinnen Hampl in ihren Diensten. Sie lernen, wie man den Muttermund ertastet, das Veratmen von Wehen anleitet und die erste Untersuchung des Babys macht.

An diesem Dienstag Anfang August, 16 Uhr, ist es ungewöhnlich ruhig auf der Geburtsstation. Ein Baby kam kurz nach Dienstbeginn bei einer Kollegin zur Welt, und zwei andere Frauen sind mit ihren Wehen noch ziemlich am Anfang. Trotzdem gibt es in dem offenen Stationszimmer an der Ecke viel Gewusel. Naomi Hampl kümmert sich um die Dokumentation, trägt jeden Schritt der Behandlung in der Patientenakte nach. Zwischendrin guckt sie immer wieder nach oben. Ein großer Bildschirm überträgt die Herztöne der Babys und die Wehenkurven der Schwangeren aus den Kreißsälen. Der erste ist gerade leer, dort gibt es eine große Über-Eck-Badewanne. Die anderen vier sind jeweils mit Behandlungsliege, Seilen von der Decke, Matte und Sprossenwand ausgestattet.

Drei Schichten, an 365 Tagen im Jahr

Wenn Naomi Hampl Frühschicht hat, steht sie um fünf Uhr auf, um rechtzeitig zur Übergabe da zu sein. Für bis zu drei Nachtschichten kann sie hintereinander eingeteilt werden, so ist es am LMU-Klinikum geregelt, dann folgt ein Ausschlaftag. "Der fehlende Rhythmus macht einen schon manchmal mürbe." Bereits am ersten Ausbildungstag habe ihnen die Schulleiterin gesagt, dass sie viele Weihnachten, Wochenenden und Geburtstage künftig nicht mehr mit der Familie verbringen könnten. Um abseits vom Schichtbetrieb später auch lehrend tätig sein zu können, holt Hampl das Hebammenstudium gerade nebenberuflich nach.

Eine Berufseinsteigerin, egal ob studiert oder mit Ausbildung, verdient in Bayern um die 3200 Euro brutto, das variiert je nach Bundesland. Da bleibt netto nicht viel Geld übrig, wenn man bedenkt, dass eine Zweizimmerwohnung in München schon um die 1300 Euro kostet. Im Vergleich verdienen Ärztinnen und Ärzte nach ihrem Grundstudium im ersten Berufsjahr etwa 4700 Euro und damit 1500 Euro mehr als Hebammen.

Wenn sich Geburt an Geburt an Geburt reiht

Die Hauptursache für den Personalmangel liege dennoch woanders, sagt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands (DHV). "Mit so wenig Personal ist es schlicht nicht möglich, Frauen adäquat zu betreuen." Immer wieder müssten sie Gebärende allein lassen, um sich um andere Patientinnen zu kümmern. Sogar in der sogenannten aktiven Geburtsphase, wenn der Muttermund schon vier Zentimeter geöffnet ist. Der DHV fordert stattdessen eine Eins-zu-eins-Betreuung in dieser Phase. "Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es zu besseren Ergebnissen und weniger Interventionen führt", sagt Geppert-Orthofer. Das Modell hatte es sogar in den Koalitionsvertrag der Ampelregierung geschafft. Aber ein Jahr später hat sich an der Arbeitsbelastung nichts geändert.

Einen Tag nach dem Besuch im Kreißsaal ist die Nachtschicht von Naomi Hampl unterbesetzt, eine Kollegin ist kurzfristig krank. "Wir hatten dann zu zweit fünf volle Kreißsäle und noch zwei Frauen auf dem Gang sitzen." Solche Schichten zehren zusätzlich an den Kräften, sagt Naomi Hampl. Wenn sich nur noch Geburt an Geburt reiht, "dann ist man nur noch dazu da, Komplikationen zu verhindern". Im Schnitt einmal in der Woche werde sie gefragt, ob sie noch bei einem zusätzlichem Dienst einspringen könne. Ob sie den Job ihrer kleinen Schwester empfehlen würde? "Wenn du es aus voller Leidenschaft und Überzeugung machst, dann ja, aber sonst packt man die Belastung nicht", sagt sie.

Physische und psychische Gewalt in der Geburtshilfe

"Wir könnten sofort zehn zusätzliche Hebammen gebrauchen und auch einstellen", sagt Sven Mahner, Leiter der LMU-Frauenklinik. Es fehlten nur die ausgebildeten Fachkräfte. In einer Umfrage des DHV geben 85 Prozent "eine zu hohe Arbeitsbelastung" als Hauptgrund an, warum sie über einen Ausstieg aus der Geburtshilfe nachdenken. Aber der Mangel belastet nicht nur die Geburtshelferinnen, sondern schadet auch den Müttern. Die WHO kritisiert, dass sich die Kaiserschnittrate in den vergangenen 30 Jahren fast verdoppelt hat. Kritiker vermuten dahinter auch das Abrechnungssystem der Kliniken mit den Krankenkassen. Kaiserschnitte gingen schnell, und Kliniken könnten dennoch mehr Geld als für eine natürliche Geburt abrechnen. Durch die hektische Atmosphäre im Kreißsaal hätten die Frauen mehr Stress, und es käme häufiger zu Geburtsstillständen.

Im Stationszimmer der LMU-Klinik erzählt eine Kollegin von Hampl von einem Artikel über Gewalt in der Geburtshilfe. Seit etwa zehn Jahren gibt es als Zeichen des Protests den "Roses Revolution Day". Schwangere, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, legen rote Rosen vor den jeweiligen Kreißsälen ab. "Ich hoffe einfach nur, dass so etwas nie bei uns passiert", sagt die Hebamme. Laut WHO sollen etwa 40 Prozent der Mütter von übergriffigem Verhalten, physischer oder psychischer Gewalt betroffen sein. Demgegenüber stehen jedoch die Zahlen des IGES-Report, wonach bundesweit 86 Prozent mit der Hebammenbetreuung im Kreißsaal zufrieden seien. Für die DHV-Präsidentin ist das ein Zeichen dafür, dass nicht die Arbeit der Hebammen, sondern die Arbeitsbedingungen im Kreißsaal für die negativen Erfahrungen während der Geburt verantwortlich sind.

Fünf Zentimeter können ein echter Fortschritt sein

In Kreißsaal drei besucht Naomi Hampl jetzt eine andere Frau als zu Beginn ihrer Schicht. Die Erschöpfung ist aus ihrem Gesicht gewichen. Ihr Mann hat Essen aus der Kantine besorgt, geräuschvoll beißt sie in die Nektarine, die es zum Nachtisch gab. Die PDA scheint zu wirken. "Kannst du das Geräusch wieder anmachen?", fragt sie und deutet auf den Wehenschreiber. Sie kann die Wehen jetzt nicht mehr spüren, aber durch das gleichmäßige Rauschen und Gurgeln weiß sie zumindest, dass da was passiert im Bauch. "Ich würde dich jetzt gerne untersuchen", sagt Naomi Hampl. Einverstanden. Die Frau nickt. Hampel streift einen sterilen Handschuh über, die linke Hand legt sie auf den Bauch, mit der rechten tastet sie sich behutsam Richtung Muttermund. "Ich kann schon das Köpfchen fühlen", sagt sie, während sie die 34-Jährige mit schiefem Kopf ansieht.

Und? "Fünf Zentimeter", sagt Hampl, "das ist ein echter Fortschritt." Den muss sie ihrer Patientin jetzt gut verkaufen, die hatte mit sieben gerechnet. Für die Geburt braucht sie zehn. Halb voll oder halb leer, immer wieder geht es in ihrem Job darum, die Motivation hoch zu halten.

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