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Haute Couture:Jetzt auch für alle

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Auf der Pariser Haute Couture zeigen Designer neue Formate. Giambattista Valli öffnet seine Ausstellung einem breiten Publikum.

Von Katharina Wetzel

Als ökologisch, sozial und ethisch korrekt, menschennah und digitalaffin wollen Modefirmen sich heute geben. Um dem Wunsch gerecht zu werden, nutzen sie neben klassischen Messen und Shows immer mehr Formate. Dies lässt sich seit ein paar Saisons gut auf der Pariser Modewoche beobachten.

Eine zehnminütige Modenschau kann schnell eine sechsstellige Summe verschlingen, aber nicht immer ist die Aufmerksamkeit garantiert. Und spätestens seitdem junge Menschen für "Fridays for Future" auf die Straße gehen, erscheint manch aufwendige Inszenierung auch nicht mehr als ganz zeitgemäß. Firmen großer Modehäuser haben dies auch erkannt. Zur Haute Couture, die vom 20. bis 23. Januar stattfand, zeigten sie teils ein eher abgespecktes Programm, das jedoch nicht weniger glamourös war.

Giorgio Armani etwa hat nur eine Schau für seine Privé-Kollektion angesetzt. Sonst hatte er oft für VIPs und Presse sowie Kunden zwei separate Durchläufe. Giambattista Valli macht seit zwei Saisons lieber eine Ausstellung. Dieses Mal lud er jedoch nicht nur vermögende Kunden - die Unsummen für ein Kleid ausgeben -, Moderedakteure, VIPs und Blogger ein, sondern auch Studenten, Valli-Fans und einfach alle, die sein Instagram-Profil besucht haben. Den Schlangen zufolge, die sich vor der Galerie nationale du Jeu de Paume gebildet haben, waren es einige, die sich nach dem Fachpublikum die Ausstellung ansahen. Innen warteten eine beeindruckende Kollektion, Videoausschnitte und ein entspannter Giambattista Valli. Wer könnte die Entwürfe auch besser erklären als der Designer selbst?

So eine Robe wirft man nicht einfach weg

Auf einem Moodboard zeigt Valli all die schönen Dinge, an die er gedacht hat, als er die Kollektion entwarf: römische Skulpturen, Säulen gesäumte Passagen und Parks, die den Blick auf das blaue Meer freigeben, Zitronenbäume und Stilikonen wie Marella Agnelli im Arm ihres Gatten Gianni Agnelli auf dem Weg zu einem Maskenball. "Sehen, schmecken, fühlen, riechen ...meine Kreationen sprechen alle Sinne an", meint der aus Rom stammende Valli. Städte an der italienischen Riviera und der Mittelmeerküste wie Palermo und Positano hätten ihn inspiriert, sagt er. Seine zitronengelben Roben sind so volumenreich als würde immer ein leichter Wind gehen. Valli, der erst kürzlich mit H&M kooperierte, weiß, was eine gute Inszenierung heißt.

Giambattista Valli ließ sich für seine Haute-Couture-Kollektion von der italienischen Riviera inspirieren. Seine Roben sind so volumenreich als würde immer ein leichter Wind gehen, sagt er selbst.

Auf der Giorgio-Armani-Privé-Schau sind Ikat-Muster das große Thema, wie etwa bei diesem Umhang aus Plissee-Seidentüll.

Clare Waight Keller zeigt für Ihre Givenchy-Kollektion ein indigo-blaues Rüschenkleid. Dazu spielen Musiker erhöht im Raum wie Engel am Himmel.

Bei Valentino beeindruckt dieses rückenfreie Kleid mit aufgefächerten Federn als Bustierersatz.

Alexis Mabille zeigt eine Kollektion ganz in Weiß mit vielen Corsagen und transparenten Capes und Mänteln.

Bei Elie Saab sind viele glitzernde Roben mit teils extravaganten Ausschnitten zu sehen.

Auch Kreationen mit hohem Beinausschnitt gibt es viele, wie etwa bei Alexandre Vauthier.

Die Designerin Bouchra Jarrar präsentiert nur wenige Teile in intimer Atmosphäre. Darunter ist dieser schwarze Anzug.

Nachhaltigkeit ist das neue Thema: Viktor & Rolf setzen deshalb auf Patchwork.

Und Jean Paul Gaultier spielt in seiner letzten Schau mit Ironie und Upcycling.

So eine Robe wirft man nicht einfach aus seinem Kleiderschrank, meint Valli. Das ist das Argument, das Designer gerne anführen, wenn man auf das Thema Nachhaltigkeit zu sprechen kommt. Auf der Valli-Ausstellung ist auch Pascal Morand. Als Geschäftsführer der Fédération de la Haute Couture et de la Mode sieht er sich alle Schauen und Events an. Im vergangenen Jahr hat die Modekammer angekündigt, ein Glossar für nachhaltige Mode und ökologische Kriterien für die gesamte Wertschöpfungskette zu entwickeln. Dafür arbeite man mit der Beratungsgesellschaft PWC zusammen, verrät Morand in Paris. Ergebnisse seien noch dieses Jahr zu erwarten. Dann läge zudem auch ein Tool vor, das die ökologische, soziale und wirtschaftliche Leistung der Pariser Modewoche messe. "Wir müssen so einen Maßstab haben."

In Sachen Nachhaltigkeit hat die Modeindustrie noch viel zu tun. Sie verbraucht zu viel Energie, belastet die Umwelt und ist abfallintensiv. Die Beratungsgesellschaft McKinsey und The Business of Fashion zählen das Thema Nachhaltigkeit zu den zehn prägenden Themen der Modebranche für 2020. Modeanbieter müssten dieses Jahr Maßnahmen ergreifen, heißt es in einer Ende November veröffentlichten Studie. Verbraucher verlangen nachhaltige Materialien, eine ressourcen-arme Herstellung und den Schutz von Arbeitnehmerrechten. Greenwashing sei heute nicht mehr möglich, meint Morand. "Die junge Generation macht das nicht mit."

Auf der Pariser Haute Couture beeindrucken auch die Inszenierungen und Locations. Stéphane Rolland zeigt seine Roben im Théâtre National de Chaillot mit Blick auf den Eiffelturm.

Bei Guo Pei stapfen die Models durch eine verschneite Winterlandschaft.

Giambattista Valli präsentiert seine Entwürfe in einer beeindruckenden Ausstellung.

Und zu Jean Paul Gaultiers letzter Show kamen alle Modefreunde in das Théâtre du Châtelet.

Klimawandel und geopolitische Risiken wie der Handelsstreit: Auf der Haute Couture geben die Designer ihre eigenen Antworten. Viktor & Rolf setzen auf Patchwork und schicken ihre Models mit Botschaften wie "Dream" und "Love" vor das Publikum. Jean Paul Gaultier tut es seiner Mutter gleich, die beschädigte Hosen zu Röcken umnähte, und setzt in seiner letzten großen Schau auf Upcycling. Ronald van der Kemp ist hier ohnehin Vorreiter.

Auch andere Inszenierungen und Locations beeindrucken. Stéphane Rolland zeigt seine Roben im Théâtre National de Chaillot mit Blick auf den Eiffelturm. Bei Givenchy laufen die Models in anmutigen Kreationen, während die live spielenden Konzertmusiker erhöht im Raum wie Engel am Himmel schweben. Bei Guo Pei stapfen die Models durch eine verschneite Winterlandschaft - als müssten sie schon lange der Kälte trotzen, sind ihre Wimpern und Augenbrauen eingeschneit. Und zu Jean Paul Gaultiers ausschweifender Jubiläumsfeier kamen alle Modefreunde in das Théâtre du Châtelet.

Es muss aber nicht immer eine große Schau sein. Die Designerin Bouchra Jarrar zeigt wenige Looks ganz privat in einer kleinen Wohnung. Vorab stimmt ein "sonniges" Glas Champagner (Rare Milléssime 2006), eine Kooperation mit Piper-Heidsieck, auf die elegant-schlichte, schwarze Kollektion ein. Auch Julie de Libran präsentiert ihre Entwürfe in einer intimen Atmosphäre. Große Show-Effekte braucht es nicht, um in Erinnerung zu bleiben.

Angesichts schwieriger Zeiten steht die hohe Schneiderkunst im Vordergrund. Meister Giorgio Armani glänzt mit einer Privé-Kollektion, die stark auf Seidentüll und Ikat-Muster setzt. Viele Hosen, Tops und Umhänge sind zudem mit Kristallen bestickt. Bei einigen Labels (Stéphane Rolland, Alexandre Vauthier, Ralph & Russo, Elie Saab) sind Roben mit ungewöhnlich hohem Beinausschnitt, teils bis zur Taille hoch, zu sehen, was vielleicht reizvoll, aber nicht immer vorteilhaft sein mag. Valentino spielt gekonnt mit Farben und Silhouetten. Breite Gürtel erleben ein Revival bei Givenchy und als Kleid bei Gaultier.

Bleibt noch die Frage, was gegen neuartige Viren hilft? Während die Haute Couture vom Coronavirus noch verschont blieb, litten danach die Pariser Textil- und Bekleidungsmessen. Auch bei der Prêt-à-Porter, die am Montag begann, sind deutliche Auswirkungen zu spüren. So haben die Labels Masha Ma, Shiatzy Chen, Jarel Zhang, Calvin Luo und Maison Mai ihre Schauen abgesagt. Uma Wang veranstaltet eine Präsentation. Die Volksrepublik China spielt in der Modebranche eine führende Rolle. Viele Firmen sind von dem riesigen Markt abhängiger als ihnen nun lieb ist. Auch eine weitere Ausbreitung des Virus, wie etwa in Italien, könnte die Branche noch empfindlich treffen.

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SZ vom 25.02.2020
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